Zehn Gründe um am Morgen aus dem Bett zu steigen

Hallo, Leute, dies geht euch alle an, die ihr am Morgen im Bett liegt und euch fragt, ob sich die Mühe, aufzustehen, überhaupt lohnt. Die Arbeit ist nichts als ein Hemm­schuh, die Freunde lassen einem im Stich, und der Kaffee ist übertrieben teuer. Hört mir zu! Ich habe zwei Polio-Anfälle über­standen. Eine meiner Töchter wurde 1971 von drei Strolchen vergewaltigt, und eine zweite, meine jüngste, hat man letztes Jahr brutal ermordet. Dennoch lehne ich, wie bereits Faulkner in seiner Ansprache beim Empfang des Nobel-Preises, den Gedanken ab, „an das Ende der Menschheit zu glau­ben“. Ich glaube fest daran, dass wir am Anfang eines Zeitalters stehen, neben dem sich die Renaissance wie ein „Sturm im Wasserglas“ ausnehmen wird. Jeder von uns kann dazu beitragen, den Menschen in einen Supermenschen zu verwandeln.

Eine alte Sufi-Legende: Der ehrwürdi­ge Weise Mullah Nasredin wurde einst zum Tode verurteilt, weil er witzige und satirische Äußerungen gemacht hatte, die das Missfallen des Schahs erregten. Bald schon machte Nasredin folgenden Vorschlag: „Verschiebe die Hinrichtung um ein Jahr“, flehte er, „und ich werde dein Pferd fliegen lehren“. Der Schah, dessen Neugierde er­wacht war, willigte ein. Einen Tag später fragte ein Freund Nasredin, ob er mit die­sem Schachzug tatsächlich der Todesstrafe zu entrinnen hoffe. „Warum nicht?“ antwortete der gott­selige Mullah. „Innerhalb eines Jahres kann viel geschehen. Vielleicht kommt es zur Re­volution und somit zur Bildung einer neuen Regierung. Es ist möglich, dass wir von einer fremden Macht bezwungen werden und un­ter einem neuen Schah leben. Ferner kann der jetzige Schah eines natürlichen Todes sterben oder irgend jemand im Palast könn­te ihn vergiften. Wie du weißt, will es die Tradition, dass ein neuer Schah bei der Thronbesteigung alle zum Tode verurteil­ten Verbrecher begnadigt. Im übrigen wer­den meine Häscher im Laufe eines Jahres des öftern nachlässig sein, und ich werde stets die Augen offen halten, um mir keine Gelegenheit zur Flucht entgehen zu lassen.“ „Schlimmstenfalls“, schloss Nasredin, „kann ich möglicherweise das verflixte Pferd tatsächlich fliegen lehren!“

Nasredin drückte damit das Schlüssel­element der Sufi-Weltanschauung aus, die davon ausgeht, dass jeder Mann und jede Frau einen inkarnierten Teil Gottes dar­stellt. Jeder hat die unbegrenzte Möglich­keit: seine Lebensumstände und die Welt als Ganzes zu verbessern. „Vielleicht kann das verflixte Pferd fliegen“ ist ein Sufi-Sprich­wort, das darauf hinweist, dass es stets ver­früht ist, die Hoffnung aufzugeben.

Die nahe Zukunft scheint eher die Unsterblichkeit als die Apokalypse zu bringen

Wir leben in einer Zeit, in der die Hoff­nungslosigkeit zum „fashionablen“ Status geworden ist; seit dem tiefsten Mittelalter hat die Selbstverachtung des Menschen kei­ne solchen Maße mehr erreicht, und der Glaube, dass je etwas Gutes zustande ge­bracht werden kann, gilt geradezu als naiv. Dies alles lässt sich teilweise auf das Trauma von Vietnam zurückführen, in dessen Ver­lauf viele zum ersten Mal erkennen mus­sten, dass Amerikaner genau so bestialisch sein können wie Deutsche. Die Nixon-Ge­genrevolution, die dem Optimismus und Zukunftsglauben der sechziger Jahre ein Ende setzte, hat dazu ebenso beigetragen, wie die Haltung Nixons und seiner Freunde die Millionen bis anhin vertrauensseliger Amerikaner begreifen ließ, dass ihre höch­sten Beamten Lügner, Diebe und noch Schlimmeres sein können. Wir haben die gewaltsame Zerstörung der Unschuld er­lebt, und wie verbitterte Halbwüchsige, die zum ersten Mal der Härte des Lebens be­gegnet sind, fürchten wir uns, erneut Ver­trauen oder Hoffnung zu hegen.

Ich glaube, dass ich genauso triftige Gründe habe, deprimiert zu sein, wie jeder andere. Nebst meinem persönlichen Un­glück gibt es da auch all die Gefängnisse, die ich während drei Jahren besucht habe; ich weiß, wie grauenhaft unsere Gesellschaft aussieht, wenn man sich auf dem tiefsten Punkt, in den schwarzen Löchern der Isola­tionszelle befindet, in denen die Menschen wie Tiere angekettet sind. Vor zwanzig Jah­ren habe ich als Notfallwagen-Helfer in Harlem gearbeitet, und ich habe die schlimmste Seite von Armut und Rassismus kennengelernt. Niemand braucht mich fort­an über die Unmenschlichkeit der Men­schen aufzuklären, und dennoch glaube ich, dass, wie die Sufis sagen, in jedem von uns etwas Göttliches ruht, das frei wird, sobald wir Liebe, Glaube und Optimismus walten lassen.

In diesem Sinne möchte ich die folgen­den zehn Gründe zur Hoffnung darlegen:

1.

Ziehen Sie einmal für kurze Zeit die Folgerungen selbstgestellter Pro­gnosen in Betracht. Mit einfachen Worten; wenn Sie überzeugt sind, dass Sie eine Frau zurückweisen wird, machen sie keinerlei Annäherungsversuch. Wenn Sie glauben, dass Sie die Prüfung ohnehin nicht bestehen, werden Sie sich nicht mit Lernen abpla­gen, und wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie die Arbeitsstelle nicht bekommen, wer­den Sie sich bei der betreffenden Firma gar nicht erst vorstellen. In der Folge wird be­sagte Dame die Liebe mit einem anderen genießen, das Examen wird von jenen, die studiert haben, bestanden, und den Job er­hält ein Kerl, der sich darum bemüht hat. Das treffendste Beispiel negativer selbstgestellter Prognosen bildet in diesem Jahrhundert Josef Stalin, der sich stets von Feinden umgeben glaubte. Er argwöhnte, dass seine eigene Partei von Andersdenken­den durchdrungen sei, die ihn hassten. Stets vergrößerte er die Macht seiner Geheimpo­lizei, um gleichzeitig jeden Chef der Ge­heimpolizei als Verschwörer hinrichten zu lassen. Alle mussten vor ihrem Tod ein Ge­ständnis unterschreiben, Stalin beharrte darauf. Er wollte es schwarz auf weiß be­wiesen haben, dass seine Verdächtigungen berechtigt waren. Möglicherweise haben ihn seine engsten Genossen tatsächlich ver­giften wollen.

Im Gegensatz dazu sei der Fall R. Buckminster Fullers erwähnt. Im Jahre 1928 stand dieser Mann eines Tages am Ufer des Michigansees, um Selbstmord zu begehen. Der Tod seiner Tochter – sie war an Kinderlähmung gestorben – sowie sein eigener finanzieller Misserfolg als Bauinge­nieur hatten ihn an den Rand der Verzweif­lung gebracht. In einem von Sufi-Gedanken getragenen Moment der Erkenntnis be­schloss er jedoch, die Herausforderung des Schicksals anzunehmen, da gewiss irgend­wo auf der Welt noch eine Aufgabe auf ihn warte. Heute ist er nicht nur einer der ein­flussreichsten Wissenschaftler der Welt, Er­finder eines neuen Mathematiksystems und ein weltweit anerkannter Philosoph und Schriftsteller, sondern auch mehrfacher Millionär. Er ist einer der strahlendsten Op­timisten dieser Erde, eine Feststellung, die jedermann, der je eine Vorlesung von ihm gehört hat, bestätigen wird. Stalins Verfol­gungswahn hat seine Konsequenzen ebenso gezeitigt wie Bucky Fullers Optimismus.

Verwechseln wir nun aber sich selbst gestellte Prognosen nicht mit den Kinderei­en des Positiven Denkens oder mit ande­ren geschwätzigen Philosophien, die sich in eine Kokon von Selbsttäuschung einspin­nen, um an der Realität vorbeizuleben. So hatte beispielsweise auch Bucky Fuller nach seinem Entschluss, an die Zu­kunft zu glauben, noch viele harte Zeiten durchzustehen. Der Prototyp seines Dyma­xion-Autos wurde bei einer Probefahrt zer­stört und konnte nicht in die Massenpro­duktion aufgenommen werden. Seine be­deutendsten wissenschaftlichen Erkenntnisse sind beinahe zwei Jahrzehnte lang ver­kannt worden; er selber galt als brillanter, aber verschrobener Mensch. Von allen verkannt, hat er all die Demütigungen und Rückschläge durch seinen Glauben an die Zukunft überwunden. Er wusste, dass er in dieser Welt etwas Gutes zu vollbringen hatte.

2.

Es ist offensichtlich so, dass die heutige Situation der Menschheit genau so viel Anlass zur Hoffnung wie zur Ver­zweiflung gibt. Wie Alvin Toffler in seinem berühmten Buch Der Zukunftsschock bemerkt, leben und arbeiten heute mehr Wissenschafter auf dieser Erde, als dies in der ganzen bisherigen Geschichte gesamt­haft gesehen je der Fall war. Dies bedeutet, dass uns die nächsten zwei Jahrhunderte mehr Änderungen bringen werden, als die Welt in den letzten tausend Jahren erlebt hat. Wenn die Wissenschaft einerseits die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki entwickelt hat, so gelang es ihr andererseits, innerhalb von zehn Jahren die Pocken­krankheit auszurotten. Die Zahlen der Weltgesundheits-Organisation lauten wie folgt: 1967 wurden weltweit rund 2.500.000 Pockenfälle erfasst, während 1976 noch 40 auf Somalia beschränkte Fälle bekannt waren.

Die gesamte Menschheit wie auch das einzelne Individuum sind von diesem Me­chanismus der selbstgestellten Prognose ab­hängig. Wenn wir daran glauben, dass die Wissenschaft nur noch schlimmere Dinge als die Bombe von Hiroshima hervorbrin­gen kann, so ist das bereits ein Schritt dazu, dass es tatsächlich so ist! Vertrauen wir aber darauf, dass die Wissenschaft jede Krank­heit besiegen kann – wie dies bei den Pocken geschah – so wird dieser Wunsch höchst­wahrscheinlich in Erfüllung gehen. Wir in­vestieren unser Geld und unsere Arbeit dort, wo unser Glaube uns hingeführt hat.

Der Biologe Dr. W. H. Thorpe von der Universität Cambridge spricht wohl für die Mehrzahl wirklich orientierter Wissen­schaftler, wenn er darauf hinweist, dass die nächste Generation Dinge hervorbringen wird, „die so bedeutend, wenn nicht gar epochemachender sein werden wie die Ent­deckung des Feuers, die Entwicklung des Ackerbaus und die Erfindung der Druck­kunst und des Rades“. Der Titel von Fullers Buch Utopia or Oblivion (Utopie oder Vergessenheit) bringt in groben Zügen un­sere gesamte Situation zum Ausdruck. Was wir dabei erkennen müssen, ist die Tatsa­che, dass Utopia ebenso wahrscheinlich ist wie das Versinken ins Dunkel der Vergessenheit. Es hängt alles davon ab, auf welches Ziel wir unsere Energie, unser Ka­pital, unseren Zukunftsglauben und unsere Bemühungen richten.

So nahm Fuller den Lebensstandard der obersten Gesellschaftsschicht der Ver­einigten Staaten um 1900 – rund 1 Prozent der Gesamtbevölkerung – als Basis-Defini­tion des Reichtums an. Auf Grund dieser Erhebung berechnete er, wie viele Ameri­kaner heute als wohlhabend gelten: es sind rund 60 Prozent! Der Trend weist darauf hin, dass um das Jahr 2000 hundert Prozent erreicht werden könnten. Aller Unter­gangskrämerei zum Trotz besteht kein trif­tiger Grund zur Annahme, dass diese Vor­aussage nicht eintreffen könnte. Der Pessi­mismus ist allerdings ein Faktor, dessen Wirkung nicht unterschätzt werden darf. Nach den von Fuller berechneten Trend­ Kurven könnte als nächster Schritt bald die Abschaffung der Armut in der gesamten Welt folgen.

3.

Das derzeitige Energieproblem auf unserem Planeten ist nicht halb so schlimm, wie es die Propheten der Apoka­lypse uns glauben machen wollen. Unter Verwendung anspruchsvollster, modern­ster Computer-Technik studierteder Physi­ker D. J. Peter Vajk alle diesbezüglichen technologischen und wirtschaftlichen Trends, wonach er in Technological Fore­casting and Social Change feststellte, dass die Deckung des im Jahre 2000 von uns benötigten Bedarfs an Elektrizität durch die Nutzbarmachung von Sonnenenergie ge­währleistet sein wird. Er legt dabei besonde­ren Nachdruck auf die Konstruktion der von Professor Gerard O’Neill und seinen Mitar­beitern in Princeton entwickelten L5-Welt­all-Stationen.

O’Neills Raumstationen werden die Erde in Bezug auf Hilfsmittel wenig bean­spruchen, da rund 98 Prozent des benötig­ten Materials von der Mondoberfläche ab­baubar sind. Auch technologisch bedingen diese Weltraum-Stationen keine Neuent­wicklungen; wir können schon heute mit den uns zur Verfügung stehenden Metallen zu bauen beginnen. Die von den sechzehn geplanten Weltall-Stationen zur Erde ein­gestrahlte Sonnenenergie könnte laut Dr. Vajks Computer-Berechnungen den Ener­giebedarf sowohl der Industrie als auch der Entwicklungsländer befriedigen. Auf diese Weise sollten bereits in den ersten Jahr­zehnten des nächsten Jahrhunderts auch die unterentwickeltsten Länder mit den USA Schritt halten können. Wie zahlreiche Hi­storiker aufgezeigt haben, war einer der Hauptgründe kriegerischer Handlungen stets der Wettkampf um die beschränkten Material- oder Energiequellen dieser Erde. Wenn wir einmal die unbeschränkten Quel­len des Weltalls anzuzapfen beginnen, ist zu hoffen, dass pragmatische Alternativen ge­funden werden, die dem blutigen Wett­kampf ein Ende setzen.

4.

Keine einzige dieser Zu­kunftsmöglichkeiten bleibt erst der näch­sten, noch ungeborenen Generation vorbe­halten; es gibt gute Gründe, die vermuten lassen, dass die von den Versicherungsge­sellschaften zugrunde gelegten Lebenser­wartungsdaten dannzumal längst veraltet sein werden. Möglicherweise lebt dann der Mensch sehr viel länger, als wir heute glauben.

In meinem allerersten Artikel über die Verlängerung des Lebens (San Francisco Phoenix, 1973) zitierte ich Dr. Johan Bjor­stein, der damals die mögliche Verlänge­rung menschlichen Lebens auf 140 Jahre schätzte. Letztes Jahr sagte Dr. Bjorstein voraus, dass es den Menschen bald gelingen wird, die Lebensspanne auf 800 Jahre zu erweitern. Paul Segall von der Universität von Kalifornien in Berkeley, dem es auf experimentellem Wege gelang, den Alte­rungsprozess bei Labortieren zu stoppen hofft, dass seine Forschungsergebnisse dazu beitragen werden, menschliches Leben vor 1990 auf 400-500 Jahre verlängern zu kön­nen. Dr. Robert Phedra geht noch weiter; er meint, dass wir die Erweiterung menschli­chen Lebens auf rund 1000 Jahre ins Auge fassen können.

Betrachten Sie die Sache einmal so: Die Lebenserwartung zur Zeit Shakespea­res betrug ungefähr dreißig Jahre (aus die­sem Grunde bezeichnet sich Shakespeare als Dreißigjähriger in seinen Sonetten im­mer wieder als alt und hinfällig). Noch vor hundert Jahren hatte die englische Arbei­terklasse eine durchschnittliche Lebenser­wartung von weniger als vierzig Jahren; in Amerika lag der Durchschnitt um die Jahrhundertwende bei sechzig Jahren, wonach er heute den Stand von rund zweiundsiebzig Jahren erreicht hat. Bjorstein, Segall, Phe­dra und Hunderte von Forschern auf dem Gebiet der Lebensverlängerung sind äußerst optimistisch: selbst wenn wir im Laufe dieser Generation die Lebensspanne um nur fünfzig Prozent verlängern können, so werden wir dennoch mindestens drei Jahr­zehnte über die prognostizierten hundert Jahre hinaus leben.

In der Zwischenzeit wird die For­schung weitergetrieben. Sind die dreißig zusätzlichen Lebensjahre einmal erreicht, so rückt auch der Sprung zur mehrhundert­jährigen Verlängerung in die Nähe des Möglichen. Wenn Sie heute beispielsweise zwanzig Jahre alt sind, so werden Sie vermutlich gegen 2030 sterben. Zählen Sie dreißig Jahre dazu, und Sie leben bereits bis 2060. Wieviele weitere Jahre wird Ihnen die Wissenschaft aber bis dann ermöglichen können? Selbst wenn man annimmt, dass diejenigen Forscher, die heutzutage bereits von einer mehrhundertjährigen Verlänge­rung des Lebens sprechen, etwas voreilig sind, so wird im Jahre 2060 eine Verlänge­rung von 100 Jahren ein durchaus konserva­tiver Gedanke sein. In diesem Falle wird man bis 2160 leben; welches Ziel wird die Wissenschaft in Bezug auf die Verlängerung des Lebens bis dann wohl erreicht haben?

5.

Das erwähnte Forschungs­gebiet eröffnet zudem die Möglichkeit zu einem der bedeutungsvollsten Schritte unserer Evolutionsgeschichte: das Erlangen echter physischer Unsterblichkeit. Im Rahmen der besprochenen graduellen Zunah­me der Lebenserwartung ist es denkbar, dass einige Leute, die heute leben, niemals sterben werden. Wir sind die erste Genera­tion der Geschichte, die sich wissenschaft­lich und nicht metaphysisch mit der Unsterblichkeit beschäftigt. Mit jedem weite­ren Jahrzehnt unseres Lebens steigt die Chance, dass wir den Schnittpunkt errei­chen, aus dem Langlebigkeit zur Unsterb­lichkeit wird.

In Osborn Segerberg Jr. ’s The Im­mortality Factor werden einige neuere Da­ten zu diesem Schnittpunkt aufgeführt. So glaubt Arthur Clarke, dass dieser Punkt im späten 21. Jahrhundert erreicht sein wird, während eine Gruppe von 82 Langlebig­keits-Forschern 1964 voll Optimismus vor­aussagte, das die chemische Kontrolle über den Alterungsprozess im frühen 21. Jahr­hundert erreicht sein wird. Eine andere Gruppe erarbeitete 1969 ein Spektrum diesbezüglicher Voraussagen, das sich zwi­schen den Jahren 2017 als spätester und 1993 als frühester Zeitpunkt bewegte. Wie Dr. Tirnothy Leary in Terra II bemerkt, sind seit der letztgenannten Schätzung um­fangreiche Forschungsarbeiten durchge­führt worden, die äußerst ermutigende Re­sultate zeigten.

Viele an dieser Materie interessierter Zeitgenossen haben nach dem Vorbild des Physikers R.C.W. Ettinger, der im Jahre 1964 das Buch The Prospect of lmmortali­ty schrieb, Einfrier-Gesellschaften ge­gründet, um ihre Körper nach Eintritt des klinischen Todes einfrieren zu lassen. Sie glaubten, dass die zukünftige Wissenschaft eine Wiederbelebung möglich machen und ihnen ein weiteres Leben schenken wird. Während dieses Verfahren zur Konservie­rung des Körpers zurzeit nur den Reichen möglich ist, wird vielfach angenommen, dass die Einfrier-Konservierungstechnik des Gehirns zur späteren Wiederbelebung eines Menschen, dem sogenannten Clo­ning genauestens adäquat sei. Das Einfrie­ren des Gehirns kostet jährlich nur einige hundert Dollar.

6.

Die hier besprochenen Zu­kunftsmöglichkeiten – das Verschwinden der Armut, eine allumfassende Ökonomie der Fülle, das Ende territorialer, zu kriege­rischen Auseinandersetzungen führender Kämpfe um beschränkte Material- und Energiequellen, das Erreichen eines langen Lebens und möglicherweise der Unsterb­lichkeit – all diese Dinge werden aller Vor­aussicht nach von einem Phänomen in den Schatten gestellt werden, das so neu ist, dass wir kaum eine Bezeichnung für diese Er­scheinung finden können. Dr. Leary ge­braucht das Symbol I² (Intelligenz im Qua­drat), um diesen neuen evolutionären Fak­tor darzustellen. Er symbolisiert eine Intel­ligenz, die sich selbst erforscht, ein Nerven­system, das sich selbst durchdenkt.

John Lilly spricht in diesem Zusammenhang von einem Self-Metaprogrammer (Selbstum­wandler-Programmierer); das menschliche Gehirn steuert auf künstlichem Wege direkt seine eigene Programmierung. Einfach aus­gedrückt: der Mensch wird von seinem vor­bestimmten, tierischen Verhaltenskäfig be­freit, um das zu werden, was immer er sein möchte.

Ein gewisser Teil dieser Mutationen basiert auf Drogen, die den bekannten Psy­chedelika der sechziger Jahre zwar ähnlich, jedoch von spezifischer Wirkung sind, wäh­rend sich andere Umwandlungen als Resul­tat eines Biofeedback-Trainings manife­stieren werden. Bereits haben Wissen­schaftler an Versuchspersonen Wege aufge­zeigt, die den entrückten Zustand der Yogi, das sogenannte High, schon nach einigen Wochen ermöglicht, ohne dass, wie beim herkömmlichen Yoga, jahrelang geübt wer­den muss. Viele haben bereits auch die vom eigenen Ich ausgeübte, selbstbestimmte Kontrolle über psychische und physische Zustände aller Art wie Blutdruck und Erek­tionen erlernt; anderen gelang es, ihr ASW (Außersinnliche Wahrnehmung) und wei­tere psychische Fähigkeiten zu stärken.

Elektrische Stimulation des Gehirns eröffnet dem Selfmeta-Programm weite­re Möglichkeiten. Dank neuen Drogen wer­den wir psychische Zustände aller Art be­wusst pflegen oder abbrechen können. Wie der stets zunehmende Fortschritt auf dem Gebiet der Lebensverlängerung und damit der Unsterblichkeit stellt auch dies eine völ­lig neue Herausforderung dar. Leary meinte diesbezüglich: „Je bewusster und intelligenter man wird, um so mehr strebt man nach Bewusstsein und Intelligenz.“ Bis heu­te sind wir uns über die Möglichkeiten des menschlichen Gehirns, sich selbst zu unter­richten, nur wenig bewusst geworden. Es ist durchaus möglich, dass selbst so geniale Menschen wie Da Vinci, Beethoven oder Einstein nur schemenhafte Andeutungen dessen sind, was das voll arbeitende Gehirn leisten könnte.

7.

Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes an einem Punkt geisttötender Plackerei und sklavenhafter Arbeit ange­langt. Wie Aristoteles bereits vor 2.500 Jah­ren zynisch, aber treffend sagte, gibt es „nur eine Möglichkeit, laut der wir uns vorstellen könnten, dass ein Verwalter keine Unterge­benen und ein Meister keine Sklaven brauchte; jedes Werkzeug würde einer Ma­gnetspule am Webstuhl gleich seine Arbeit selber verrichten“. Eine derart vollautoma­tisierte Gesellschaft greift seit rund drei Jahrzehnten immer konsequenter um sich; der Erfinder der Kybernetik, Professor Norbert Wiener, hatte diese Entwicklung bereits 1948 vorausgesagt.

Fuller, Howard Scott, Dr. L. Wayne Benner und viele andere Technologen ha­ben festgestellt, dass diese totale Automati­sierung nur aus fehlgeleiteten ideologischen Gründen noch nicht stattgefunden habe; an Grundstoffen, d.h. Metallen, mangelt es nicht. Politiker beispielsweise versprechen immer rettende Maßnahmen gegenüber der Arbeitslosigkeit, als ob es sich bei dieser natürlichen Folgeerscheinung fortgeschrit­tener Technologie um eine Krankheit han­deln würde. Fuller ermittelte, dass wir die Energie der von Aristoteles vorausgesetz­ten Sklaveneinheit ( d.h. die gesamte Arbeit, die von einem versklavten Menschen an einem Tag geleistet werden kann) zusam­menzählen können, um festzustellen, dass dem durchschnittlichen Amerikaner zur Erfüllung seiner Bedürfnisse heute 300 me­chanische Sklaven – d.h. Maschinen – zur Verfügung stehen.

Wir wagen diesen folgerichtigen und praktisch anwendbaren nächsten Schritt zur vollständigen Automatisierung aller auto­matisierbaren Dinge nur deshalb nicht, weil wir von unserer traditionellen Denkweise daran gehindert werden. Diese Denkge­wohnheiten werden die kommende Fülle, die Verlängerung des Lebens und das freie Verfügen über unser Nervensystem nicht überleben. Wir verschwenden weiterhin unseren kostbaren Quell – das menschliche Gehirn – indem wir Menschen zu sinnloser, zusehends überflüssiger Arbeit verdam­men, die nur noch von den auf stabile Löhne bedachten Gewerkschaften hochgehalten wird. Wenn wir in der Arbeitslosigkeit das Heilmittel und nicht die Krankheit sehen, entdecken wir außerhalb des traditionellen Arbeitslohnsystems Dutzende von Mög­lichkeiten zur Verwirklichung gleichmäßig verteilter Fülle: Kybernetik, Weltraumko­lonisation und Learys I² werden einen Überfluss hervorbringen, dank dem die Ar­mut im Jahre 2000 ebenso überwunden sein wird wie heutzutage die Gefahr der Pocken­krankheit.

Offensichtlich muss an Stelle des trau­rigen calvinistischen Arbeitsethos eine Äs­thetik der Arbeit gesetzt werden. (So wie Fuller sagte: „Wenn die Leute nicht mehr ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, werden sie, einer nach dem anderen, sich wieder an jene Dinge erinnern, die sie inter­essieren und begeistert hatten, ehe sie in die Tretmühle der Lohnsklaverei geraten wa­ren.“) Nach Dr. Benners Terminologie wird die Rising Income via Cybernetic Homeost­asis (RICH)-Ökonomie (Erhöhtes Ein­kommen durch kybernetische Homöostat­ik) zum sogenannten RICH-life führen. In diesem Zusammenhang steht RICH für Re­creation-Intelligence²-Creativity-Hedonics (Erholung, Intelligenz im Quadrat, Kreati­vität und Genuss). Der von den Fesseln organisierter Arbeit befreite Geist des Menschen wird die Kraft eines erwachen­den Riesen haben.

Wir müssen uns immer wieder in Erinne­rung rufen, dass ungefähr zu 97 Prozent unsere Kunst, Wissenschaft, Kultur und Philosophie in der wirtschaftlich sicheren, von Sklaven unterstützten Aristokratie ih­ren Anfang genommen haben. Wenn die gesamte Menschheit sich zur wirtschaftlich gesicherten, von mechanischen Sklaven be­dienten Aristokratie wandelt, so wird die von Aristoteles entworfene Utopie Wirklichkeit werden. Eine unermessliche Intelli­genz wird freigesetzt werden, um nach Zie­len zu streben, die über die Unsterblichkeit hinausgehen, ja möglicherweise außerhalb unseres Begriffes von Zeit und Raum liegen.

8.

Alles, was wir hier bespro­chen haben, ist nur die Spitze des Eisbergs, also nur der sichtbare Teil aller zukünftigen Möglichkeiten. Wir erleben zur Zeit eine folgenschwerere philosophische Revolu­tion als jene von Kopernikus, Darwins oder Einsteins; unser ganzes Weltbild wird auf eine völlig neue Bewusstseinsstufe gehoben.

Der Mathematiker Prof. John Taylor verfügt über mehr als hundert Protokolle von Kindern, die dasselbe Phänomen sich biegender Metalle erlebt haben wie Uri Geller. Und Dutzende von Biologen versi­chern, dass sie mit einer gewissen vegetati­ven Intelligenz in Verbindung treten kön­nen. Der Kybernetiker Dr. Jacques Vallee behauptet ferner, dass – abgesehen von Zehntausenden von Laien – allein in den USA über hundert speziell geschulte Wis­senschaftler Kontakte mit außerirdischen Wesen gehabt hätten. Dr. Jack Sarfatti, der über Erlebnisse dieser Art berichtete, meint, dass es sich bei diesen Wesenheiten um außerirdische Lebewesen, um Zeitrei­sende oder Dinge handelt, für die noch kei­ne wissenschaftliche Bezeichnung vorhan­den sei.

Diese Revolution kann mit gewöhnli­chen Worten weder als ein geistiger noch als ein wissenschaftlicher Vorgang bezeichnet werden. Unser ganzes Verständnis in Bezug auf Wissenschaft und Glaube befindet sich mitten in einem gewaltigen Umwandlungs­prozess. Dr. Ronald Bracewell, Professor für Ingenieurwesen und Astronomie in Stanford, und Dr. Frank Drake, Astronom in Cornell, vertraten kürzlich die Ansicht, dass wir „das Geheimnis des langen Lebens von Wesen aus dem Weltall lernen werden, die hier und heute mit uns in Verbindung zu treten suchen“. Es handelt sich bei beiden Wissenschaftlern um ausgezeichnete For­scher, die auf ihren Ruf bedacht sind. Dr. Drake schrieb später in der angesehenen Zeitschrift Technology Review, dass seiner Überzeugung nach die meisten hochent­wickelten Lebewesen innerhalb unserer Milchstraße bereits unsterblich seien.

9.

Je schlimmer die gegenwär­tige Krise wird, um so dringender erhebt sich die Forderung nach wirklichen Lösun­gen. Wir befinden uns am Wendepunkt un­serer eigenen Evolution. Die Technologie ermöglicht unsere Selbstvernichtung und die absolute Sterilität dieses Planeten; die Zerstörung aller Blumen, Fische, Vögel und der gesamten Umwelt in einer Stichflamme planetaren Wahnsinns. Andererseits verfü­gen wir aber bereits über die nötige Techno­logie, um auch die hier beschriebenen posi­tiven, noch vor kurzem als Utopie erachte­ten Pläne durchführen zu können. Noch Ausstehendes befindet sich mitten in der Entwicklung. Es ist möglich, eine Welt ohne Armut zu schaffen; eine Welt ohne Rivalitä­ten und Kriege; eine Welt ohne Verdrehung der Gefühle und ohne riesige Verschwen­dung von Intelligenz; einen Erdkreis von Unsterblichen, die alle Räume und Zeiten erforschen und mit anderen, noch weiter entwickelten Unsterblichen Kontakte auf­nehmen können.

Je realere Formen diese scheinbar wi­dersinnige Behauptung annimmt, desto größer wird der Drang nach dem Transzendenten. Jedes Jahrzehnt ist nun wichtig: mit einigen wenigen Entschlüssen können wir zwischen Utopia oder dem Versinken in Vergessen­heit wählen. Wir können nicht mehr auswei­chen oder entrinnen; wir müssen die Ver­antwortung selbst übernehmen und dürfen sie nicht mehr auf unseren Nachbarn abwäl­zen. Wir sind gezwungen, John Donnes un­sterbliche Metapher zu verstehen: „Never send to know for whom the bell tolls; it tolls for thee.“ (Lasse nie erkunden, für wen die Totenglocke läutet; sie läutet für dich.)

10.

Wenn jedem Entschluss eine Bedeutung zukommt, wird es auch kei­ne bedeutungslosen Wesen mehr geben. Ein Beispiel: Plutonium, das explosivste Element, das die Menschheit kennt, war verschwunden, und niemand wusste, in wes­sen Hände es geraten war. Eine fidele Grup­pe, die sich selbst The National Committee to Overthrow the Government Next Tuesday after Lunch nannte (Nationales Komitee, das am nächsten Dienstag nach dem Mit­tagessen die Regierung stürzen wird), hat gleichzeitig anonym Diagramme und Sche­mas zur Eigenfabrikation von Atombomben verbreitet. Der Terrorismus eskaliert weltweit und treibt bereits nukleare Spros­se. Ein an der Olympiade beteiligter Athlet meinte kürzlich: „Wir werden die Spiele demnächst in Katakomben abhalten wie die alten Christen.“ Niemand ist sicher: Man bedenke, was der Hearst-Familie zustieß! Wie Leary vor zehn Jahren sagte, können wir es uns nicht mehr leisten, „dass irgend jemand auf dieser Erde in Unterdrückung lebt oder auch nur denkt, dass man ihn unterdrücken würde“. Fullers Utopia oder das Versinken in die Vergessenheit sind wirklich die einzigen Alternativen, die uns bleiben.

Captain Crunch (alias John Draper), der berühmte Telephon-Freak, hat zum Spaß seiner Bewunderer lange Zeit die Telefongesellschaft zum Narren gehalten. Nach seiner kürzlichen Verhaftung verriet er, dass es ihm gelungen war, die angeblich absolut sicheren Drähte der FBI, CIA, des Weißen Hauses, des Pentagons und der US. Army anzuzapfen. Er wusste sogar Compu­ter dahingehend zu beeinflussen, dass sie gespeicherte Daten änderten oder Ge­schossen das Startzeichen zum Dritten Weltkrieg gaben. Nachdem er diese Ge­heimnisse der Regierung offenbart hatte, ist Crunch – laut Mercury (San Jose) – die Strafe von vier Jahren auf drei Monate ge­kürzt worden. Gleichzeitig hatte er der Re­gierung Mittel und Wege gezeigt, um neue Sicherheitsmaßnahmen treffen zu können. Dennoch, so meint Crunch, besteht die Möglichkeit, dass andere Elektronikspezia­listen diese Maßnahmen schon nächste Woche zu umgehen wissen.

Und hier sind wir an jenem Punkt an­gelangt, der deutlich zeigt, warum wir am Morgen unseren Hintern aus dem Bett hie­ven sollten: Man braucht uns. Wir werden dort gebraucht, wo man der Zukunft eine Chance gibt und entsprechend handelt. Und zwar jetzt! Jedes Jahrzehnt bildet einen Meilenstein in der Wissenschaft und so ver­hält es sich mit jedem Jahr, jedem Monat, jeder Woche und jedem einzelnen Tag. In der Tat bedeutet jede Handlung unseres. Lebens entweder einen Schritt in Richtung der angestrebten Herrlichkeit oder einen Rückfall in Selbstmitleid und Dummheit, die uns zerstören könnten. Kein Mensch braucht LSD, um die kosmische Bedeutung jeder einzelnen Minute zu erkennen.

Jede von Liebe und Hoffnung getra­gene Handlung kann das Zünglein an der Waage zugunsten des Überlebens bedeu­ten, während umgekehrt jede Grausamkeit und jede Ungerechtigkeit das Gegenteil be­wirken könnte.

Kurt Vonnegut sagt: „Einer der großen Schwindel unserer Zeit ist die Annah­me, dass die Wissenschaft die Religion überflüssig macht. Die Wissenschaft hat nur die Geschichte von Adam und Eva so wie die Legende von Jonas und dem Wal zerstört.“ Vonnegut meint dazu, dass in der gesamten Wissenschaft nichts zu finden wäre, das den Worten eines Thomas von Aquin zuwider­laufen würde, die da lauten:

„Gib einem Un­wissenden Belehrung, tröste den Traurigen, hilf dem Unterdrückten und Bekümmerten, nähre den Hungrigen, gib dem Heimatlosen Obdach, geh zu den Gefangenen und Kran­ken und bete für uns alle.“

Wenn wir im Sinne dieser weisen Wor­te sehen und handeln, können wir dem Le­ben mit dem Mut und der Freude begegnen, die es verdient. Man muss sich nur dazu entschließen. Denken Sie darüber nach, wissend und handelnd. Hier und heute!

Spinx-1978-#2
Zehn Gründe um am Morgen aus dem Bett zu steigen
von Robert Anton Wilson ist im Sphinx-Magazin, Ausgabe 2, im Frühling 1978 erschienen.

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