Vorwort zu
Ent-wickle dich!
Wenn man sich in den Vereinigten Staaten unbeliebt machen will, braucht man nur die Bemerkung zu machen, das Christentum und die Demokratie seien mit das Schlimmste, was der Menschheit je widerfahren sei. Geschichtsstudenten wissen natürlich, dass die christliche Religion während der langen Dekaden des Fanatismus tatsächlich besonders blutig und zerstörerisch gewütet hat; Liberale und Rationalisten erinnern zwar stets an diese tragische Entwicklung der Religion der Liebe, aber nur wenige von ihnen haben sich die Mühe gemacht, all die Fakten zu registrieren, die der Harvard-Soziologe Pitrim Sorokin zum Thema „Krieg“ zusammengetragen hat. In seinem Buch Social and Cultural Dynamics und anderen Werken belegt Sorokin zweifelsfrei, dass demokratische Nationen vom Anbeginn der Zivilisation bis heute in mehr imperialistische Kriege verwickelt waren und diese mit größerer Grausamkeit geführt haben als Völker mit irgendwelchen anderen Regierungsformen. Orientalische Gewaltherrschaften, absolute Monarchien, ja selbst die faschistischen und kommunistischen Staaten von heute, sie alle haben sich im Lauf der Geschichte der abscheulichsten Tyrannei und allgemeinen Unterdrückung des Menschen schuldig gemacht, und doch waren sie insgesamt viel weniger aggressiv und kriegswütig als die Demokratien vom alten Athen bis zum modernen Amerika.
Der Blutdurst des Christentums und der Demokratie – der regelrecht fühlbar wird, wenn man nur ein paar Minuten einer Rede von Prediger Jerry Falwell oder seinem guten Freund Ronald Reagan zuhört – beruht natürlich auf Arroganz, Größenwahn und einem tiefeingewurzelten Gefühl der Überlegenheit gegenüber allen nichtchristlichen und nichtdemokratischen Völkern. Darüber hinaus aber liegt die Gewalttätigkeit christlich/demokratischer Länder in dem einzigartigen Wahn begründet, in dem sowohl die Religion der Liebe als auch die Politik der Freiheit befangen ist. Dieser Wahn besteht in der Überzeugung, dem Menschen sei eine Art von metaphysischem „freien Willen“ angeboren, der ihn über das Tier erhebt und den Göttern fast ebenbürtig macht.
Der Wahn vom „freien Willen“ ist keineswegs ein kleiner Irrtum wie etwa die irrtümliche Überzeugung, es sei Dienstag, obwohl es in Wirklichkeit Mittwoch ist. Er ist nicht einmal einem der gewichtigeren Denkfehler bekannter Art vergleichbar wie etwa Marx‘ Behauptung, ein totalitärer „Arbeiterstaat“ würde nach seiner Entstehung schnell und auf magische Weise wieder „dahinschwinden“. Er ist noch schändlicher und verderblicher als der mittelalterliche Hexenwahn, durch den aus Hysterie, Aberglauben und auf bloßes gerüchteweises Hörensagen hin, das kein heutiges Gericht als Beweismittel anerkennen würde, zehn Millionen Frauen auf dem Scheiterhaufen umkamen. Der Wahn vom „freien Willen“ ist viel schwerwiegender als das alles. Er verdreht die Wirklichkeit um 180 Grad, und wer ihm verfällt, begegnet allem, was um ihn herum geschieht, mit völligem Unverständnis; er könnte ebensogut taub, stumm und blind sein und zur Warnung ein Schild tragen mit der Aufschrift: ENDSTATION IRRENHAUS.
Das rede ich nicht einfach so daher, und ich möchte auch nicht als satirisch oder polemisch missverstanden werden. Die heutige Biologie und Psychologie hat klar und deutlich nachgewiesen, dass sich 99 Prozent der Menschheit 99,99999 Prozent der Zeit in einem roboterhaften, zombieähnlichen Zustand befindet. Und das gilt nicht etwa für „die anderen“. Es gilt für SIE UND MICH. Das einzig Positive an uns sind gelegentliche Lichtblicke, aber die hat eigentlich auch jeder, der an Schizophrenie leidet.
Ost, West und Mitte
Im Orient, mit eigener Blödheit geschlagen und gleichfalls abergläubisch, herrscht über das Märchen vom „freien Willen“ eine erstaunliche Klarheit: Buchstäblich ohne Ausnahme sind alle großen orientalischen Philosophen zu der Erkenntnis gekommen, dass Esel, Heuschrecken, Delphine, Schildkröten, Kolibris, Hunde, Hühner, Tiger, Haie, Ziesel, Spinnen, Schimpansen, Kobras, Kühe, Läuse, Tintenfische, Rehe und Menschen von gleicher Bedeutung, gleicher Bedeutungslosigkeit und gleicher Leere sind und in gleicher Weise Ausdrucksformen der „Weltseele“ oder „Lebenskraft“ darstellen. Buddhismus, Vedanta und Taoismus behaupten gar, jedes der eben erwähnten klugen Tiere einschließlich des Menschen besitze etwa genausoviel „freien Willen“ wie Blumen, Büsche, Felsen und Viren, und der Wahn des Menschen, vom Rest der Natur getrennt oder ihm überlegen zu sein, sei eine Form der narzisstischen Selbsthypnose. Aus dieser egoistischen Trance zu erwachen, ist das erklärte Ziel aller psychologischen Systeme des Ostens.
Im Widerspruch zu dieser östlichen Erkenntnis und Hinnahme einer bestehenden natürlichen Ordnung, aber auch zu den christlich-demokratischen Wahnvorstellungen vom „freien Willen“ und von „persönlicher Verantwortung“ stehen die Geheimlehren des Sufismus im Islam und der Hermetik in Europa. Diese räumen zwar ein, dass domestizierte Primaten (Menschen) die gleichen Mechanismen aufweisen wie ihre wilden Artgenossen (etwa die Schimpansen), nehmen aber an, dass die Menschen durch bestimmte Übungen immer weniger mechanisch agieren, bis sie schließlich im Laufe einer Entwicklung über Jahr und Tag hinweg Freiheit und Verantwortung erlangen.
Derartige „spirituelle“ (neurologische) Übungen der Entwicklung und Entmechanisierung finden im Orient natürlich kaum Anklang, da dort die Auffassung vorherrscht, dass man als Roboter geboren wird und als Roboter stirbt; und noch geringeres Interesse bringen ihnen die christlich-demokratischen Kulturen entgegen, die davon ausgehen, dass man bereits frei und verantwortlich geboren ist und nicht ARBEITEN, HART ARBEITEN muss, um überhaupt einmal annähernd nichtmechanische Bewusstseinszustände und Verhaltensweisen zu erleben.
Im Orient ist man leicht zur Vergebung bereit, denn von Robotern kann man nicht erwarten, dass sie etwas anderes tun als das, was durch Vererbung und Umwelteinflüsse hineinprogrammiert wurde. Die christlich-demokratischen Nationen sind so blutrünstig, weil sie nicht vergeben können, sondern jeden einzelnen für die Verhaltensprägungen und -konditionierungen verantwortlich machen, die jeweils „out“ sind. (Darum nannte Nietzsche das Christentum „die Religion der Rache“ und Joyce den christlichen Gott einen Blutrichter.) Der Sufismus und die Hermetik sind insofern fast orientalisch, als sie Robotern ihre Roboterhaftigkeit vergeben, aber sie tun es ohne falsche Gefühle. Mit den Worten eines Sufidichters:
Der Narr vergibt nicht und vergisst nicht,
die Halberleuchteten vergeben und vergessen,
der Sufi vergibt, aber vergisst nicht.
Das heißt, der Sufismus und andere hermetische Traditionen gehen davon aus, dass Roboter sich wie Roboter benehmen, ohne sie dafür „verantwortlich“ zu machen, aber sie vergessen auch keinen Augenblick, keine Nanosekunde lang, dass wir in einer Roboterwelt leben – „einem bewaffneten Irrenhaus“, wie der Dichter Allen Ginsberg sagt. Wer diesen Traditionen angehört, weiß, dass ein Mensch, der christliche oder demokratische Sprüche von sich gibt, darum noch keineswegs mit brüderlicher Liebe handelt; im allgemeinen verhält er sich weiterhin so wie ein schlecht verdrahteter Roboter.
Der Sufismus ist nur die größte unter den nahöstlichen und europäischen „mystischen“ Bewegungen, die den normalen Menschen in seiner Roboterhaftigkeit sehen, aber entgegen dem orientalischen Denken versuchen, denjenigen zu entwickeln und zu entmechanisieren, der seine Mechanismen dumpf zu begreifen beginnt und sich, soweit das möglich ist, davon lösen will. Ich will hier keine Werbung für den Sufismus machen (er kommt gut ohne meine Reklame zurecht); die Sufilehre soll nur ein Beispiel für die Tradition sein, der auch dieses wunderbare Buch ENT-WICKLE DICH! angehört.
Viele Leser werden, sofern sie sich überhaupt schon einmal mit solchen Ideen befasst haben, wahrscheinlich gleich an Gurdjieff und Ouspensky denken, die beiden begabtesten Vertreter einer neo-sufistischen Schule, die sie unter der Markenbezeichnung „esoterisches Christentum“ unters Volk brachten. Viel verdankt das vorliegende Buch Aleister Crowley, der ebenfalls dieser Tradition angehörte, seine eigene Version jedoch „Gnostic Magick“ nannte. Ferner macht sich der Einfluss des Biopsychologen Wilhelm Reich hier bemerkbar; doch im Grunde ist dieses Zurückführen auf irgendwelche Quellen müßig. Wichtig an der Arbeit von Christopher Hyatt ist eigentlich nur, was Sie herausholen können, und das hängt vollkommen davon ab, was Sie hineinstecken .
Output gleich Input
Auf meinen Reisen lerne ich oft Leute kennen, die irgendwie die Wahnsinnsidee haben, ich sei das Oberhaupt der Illuminaten (dabei bin ich allerhöchstens ein Zehennagel), und von mir in die Geheimnisse der hohen Magie eingeführt werden wollen. (Obwohl es mir schwerfällt, meine Spottlust zu bezähmen, widerstehe ich doch meist der Versuchung, ihnen zu sagen, sie könnten die totale Erleuchtung erlangen, wenn sie nur „Lucy in the Sky with Diamonds“ in Kindergeheimsprache singen und dabei auf dem Kopf stehen würden.) Von denen, die eine etwas genauere Frage zu stellen wissen als bloß: „Was ist das Geheimnis? “, werde ich am häufigsten über Crowleys Doktrin vom wahren Willen befragt. Und die Leute erzählen mir ganz ernsthaft, sie hätten zehn, zwanzig und mehr von Crowleys Büchern gelesen, mehrmals gelesen, und wüssten immer noch nicht, was „wahrer Wille“ bedeutet.
Gurdjieff würde sagen: „Was beweist diese Frage? Sie beweist, dass diese Leute schlafwandeln und nur träumen, sie seien wach. Das beweist diese Frage.“
Ich kenne eigentlich nur einen Grund dafür, warum es Leute gibt, die ausgiebig Crowley lesen und trotzdem nicht verstehen, was „wahrer Wille“ heißt. Dieser Grund erscheint auf den ersten Blick geradezu unglaublich, aber nur er bietet eine Erklärung für diese erstaunliche Ausfallerscheinung. dass viele Crowley-Leser den „wahren Willen“ nicht verstehen, liegt daran, dass sie trotz aller Ernsthaftigkeit nie eine der Übungen durchgeführt haben, die Crowley denen empfiehlt, die sich aufrichtig entmechanisieren wollen, um zu erfahren, was mit dem wahren Willen gemeint ist.
Kurz nach dem Erscheinen meines Handbuches mit Entmechanisierungübungen Der neue Prometheus besuchte ich eine Kosmische Konferenz, auf der ich unter anderem auch E. J. Gold von der Fake Sufi School traf. Gold erklärte mir, niemand würde die Übungen aus meinem Buch durchführen, und trotzdem würde ich massenweise Briefe von Leuten bekommen, die mir schreiben würden, das Buch hätte sie „befreit“. Da ich ein bisschen das Gefühl habe, dass Sufis, sogar falsche Sufis, der Menschheit in ihrem gegenwärtigen Evolutionsstadium zu skeptisch gegenüberstehen, habe ich es mir zur Auflage gemacht, Leute, die mein Buch in meiner Gegenwart loben, zu fragen, wie viele Übungen sie schon durchgeführt hätten.
Die meisten sind dann ein wenig beschämt und geben zu, dass sie nur ein „paar“ der Übungen gemacht haben (was wahrscheinlich heißt, dass sie keine einzige gemacht haben). Manche Leute behaupten allerdings, fast alle oder wirklich alle Übungen durchgeführt zu haben, und strahlen so dabei, dass ich versucht bin, ihnen zu glauben. Nicht zuletzt darum bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass die Sufis und Gurdjieff unrecht haben mit ihrer Feststellung, 999 von 1000 Leuten würden sich nie mit Übungen zur Befreiung befassen. Es sind wohl doch bloß 987 von 1000, die lieber über die Arbeit reden, statt sie zu tun. Mindestens 13 von 1000 führen die Übungen tatsächlich aus.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass einer der Gründe, warum die meisten Leser von Ratgebern zur Selbstbefreiung letztlich nicht die kleinste Anstrengung machen, sich zu befreien, darin zu suchen ist, dass das Lesen solcher Bücher selbst schon auf abergläubische Art als „magisches Ritual“ betrachtet wird, von dem sie annehmen, es tue seine Wirkung auch ohne besonderen Einsatz von ihrer Seite. Die gleiche Art von Aberglauben bringt andere dazu, in Rätselbüchern gleich im Anhang die Auflösungen nachzuschlagen, statt die Rätsel selbst zu lösen, und zu glauben, dass sie davon genausoviel hätten. Inzwischen gibt es sogar ein Buch mit den Antworten für Zen-Koans, als wären die Antworten und nicht der Prozess der Beantwortung ausschlaggebend für die Erfahrung des Zen.
Der Hauptgrund für die Vorliebe der Leute, neurologische Übungen nur nachzulesen, statt sie auszuführen, ist neben dieser „symbolischen Magie“ (im Unterschied zur wirklichen Magie, die eine Art Veränderungsübung für den Kopf ist) Entsetzen und blanker Horror bei dem Wort „Arbeit“. Einige großartige Lehrer, insbesondere Gurdjieff und Crowley, haben Tausende von Möchtegern-Schülern abgeschreckt durch die HARTE ARBEIT, die sie in Aussicht stellten (so wie auch ich viele Leser mit diesen Worten verscheuche).
Natürlich verbinden die meisten Menschen der modernen Welt zu Recht schlimme Vorstellungen mit dem Wort „Arbeit“. „Arbeit“ ist in diesem Zeitalter im allgemeinen der reine Stumpfsinn, ein monotones, geisttötendes Ärgernis ohne Sinn und Zweck, eine Marter, bei der man sich 40 oder 45 Jahre abrackert und zu Tode langweilt. Marx traf den Nagel ziemlich genau auf den Kopf mit seinem Ausdruck „Lohnsklaverei“. Die meisten Leute sind sich durchaus darüber im klaren, scheuen sich aber, es zuzugeben, denn wer eine Abneigung gegen „Arbeit“ hat, ist nach landläufiger Meinung Kommunist oder geistesgestört.
Kürzlich habe ich im Radio gehört, wie ein Politiker in der BBC äußerte, die englischen Arbeiter seien wohl deshalb bekanntermaßen „faul“, weil ihre Tätigkeiten so unaussprechlich menschenunwürdig und stumpfsinnig wären. „Wenn ich dieser Art von Arbeit nachgehen müsste, würde ich mich so oft wie möglich krank melden und jede Möglichkeit beim Schopf packen, mich davonzumachen“, sagte er unumwunden. Ich habe unglücklicherweise das Radio zu spät eingeschaltet und den Namen des Mannes nicht mitbekommen, was mir in der Seele leid tut, denn ich vermute, er ist der einzige ehrliche Politiker der Welt.
Dieser weltweit verbreitete, aber unterdrückte Hass auf die „Arbeit“ ist schuld daran, dass fast jeder die Arbeitslosen verachtet und verfolgt. Dabei beneidet die Mehrheit diejenigen, die Arbeitslosengeld beziehen, und wünscht sich insgeheim nichts sehnlicher, als selbst der Tretmühle zu entkommen und ohne Arbeit leben zu können.
Jahrzehnte habe ich gebraucht, um das zu verstehen, denn ich selbst gehöre zu der glücklichen Minderheit, die einer befriedigenden Tätigkeit nachgeht. (Bei der Arbeit bin ich kaum zu bremsen, wie meine Frau bestätigen kann.) Die Minderheit, die ihre Arbeit tatsächlich gern tut, setzt sich offenbar größtenteils aus Schriftstellern, Tänzern, Schauspielern und anderen Künstlern zusammen, des weiteren aus Wissenschaftlern, die nicht mehr an der Angel des technologischen Fortschritts hängen, Computer-Freaks und den rechtschaffenen Dope-Dealern von Kalifornien. Alle übrigen wünschten, sie hätten den Mut, arbeitslos zu sein, schämen sich jedoch des Schandflecks auf ihrer Weste und bauen diese Spannungen dadurch ab, dass sie sich gegenüber Arbeitslosen bei jeder Gelegenheit von ihrer unangenehmsten Seite zeigen.
Hallo! Ohren auf!
Hier wird ein Geheimnis der Illuminaten offenbart!
Jetzt will ich Sie in ein wirkliches Geheimnis der Illuminaten einweihen, eins, das nie zuvor an die Öffentlichkeit gedrungen ist.
Die sogenannte „Arbeit“, die eine Veränderung im Kopf herbeiführen könnte, hat überhaupt nichts mit normaler „Arbeit“ zu tun. Sie ist eher der kreativen Ekstase des Künstlers oder Wissenschaftlers vergleichbar, wenn man erst einmal ganz dabei ist. Die meisten Leute haben Angst davor, weil sie meinen, dass „Arbeit“ Spaß machen kann.
Folglich ist es am besten, die ENERGIE-MEDITATION gar nicht mit „Arbeit“ in Verbindung zu bringen, zumindest nicht mit dem, was heute als „Arbeit“ erfahren wird. Vielleicht ist es nützlicher und zutreffender, die EM-Übungen eher als „Spiel“ und nicht als „Arbeit“ zu begreifen. Spiele haben natürlich auch ihren Haken, und wer nicht immer verlieren, sondern Gewinner sein will, muss schon Energie aufwenden, aber es ist doch etwas ganz anderes als die Lohnsklaverei, die von der Mehrheit „Arbeit“ genannt wird. Um es gleich zu sagen: Die Übungen haben mehr Ähnlichkeit mit Liebesspielen als mit anderen Spielarten, denn es werden auf jeden Fall Energien mit erotischer wie auch therapeutischer Nebenwirkung freigesetzt. Sie sind schön blöd, wenn Sie nicht einsteigen, nur weil Sie glauben, jede Anstrengung müsste „Arbeit“ in dem Sinne sein, in dem die Menschen in unserer Gesellschaft heute unter dem „Fluch der Arbeit“ leiden.
Gehen Sie an die Übungen lieber wie an Ihren Lieblingssport oder Ihre bevorzugte Freizeitbeschäftigung heran — wie ans Angeln, Vogelbeobachten, Fußballspielen oder was immer Sie sonst leidenschaftlich gern und aus reiner Begeisterung tun. Wenn das nicht ein „Spiel“ ist, dann weiß ich nicht, was „Spielen“ ist.
Mit den Worten „HARTE ARBEIT“ wollte ich Sie lediglich ködern. Eigentlich hätte ich genauer sagen sollen: HARTES SPIEL.
Der zweite Teil dieses Geheimnisses der Illuminaten befasst sich mit dem, was ich anderswo Wilsons 23. Gesetz genannt habe. (Wilsons erstes Gesetz lautet natürlich: „Gewissheit haben ausschließlich diejenigen, die nicht mehr als eine einzige Enzyklopädie besitzen.“ Wilsons zweites Gesetz ist das in ILLUMINATUS! beschriebene Prinzip: „Kommunikation ist nur zwischen gleichen möglich.“ Alle Wilsonschen Gesetze werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn die Welt für die erschütternden Offenbarungen reif ist, die sie beinhalten.)
Das 23. Wilsonsche Gesetz heißt:
Tun Sie’s jeden Tag.
Das ist das grundlegendste aller Geheimnisse der Illuminaten, und ich bin oft gewarnt worden, dass es schreckliche Folgen haben wird, wenn ich es vor der Zeit preisgebe, aber – Teufel noch mal, die Zeiten sind prekär, Freunde, und dieser primitive Planet braucht alles Licht, das seinen dunklen, abergläubischen Geist erhellen kann. Lassen Sie es mich noch einmal wiederholen, denn ich bin sicher, Sie haben es beim erstenmal noch nicht mitbekommen:
Tun Sie’s jeden Tag!
Haben Sie sich jemals gefragt, warum Einstein ein so großer Physiker geworden ist? Weil er die Gleichungen und Konzepte der mathematischen Physik so sehr liebte, dass er damit „arbeitete“ – beziehungsweise mit ihnen spielte und herumbastelte -, und das jeden Tag. Aus dem gleichen Grund ist Klemperer ein so großer Dirigent geworden: Er liebte Beethoven, Mozart und all die anderen so sehr, dass er jeden Tag musizierte. Darum ist auch Babe Ruth ein so großer Ballspieler geworden: Er liebte das Spiel so sehr, dass er jeden Tag spielte und trainierte.
Diese Regel erklärt ganz nebenbei auch, wie Menschen sich selbst zerstören. Wollen Sie zum Selbstmörder werden (in manchen Kreisen ist das ja schließlich Mode)? Dann üben Sie sich darin, jeden Tag deprimiert, besorgt und reizbar zu sein, und lassen Sie sich bloß nicht von anderen die Energie-Meditation oder dergleichen Methoden zur geistigen Veränderung unterjubeln. Wollen Sie ins Gefängnis kommen, weil Sie einen Überfall mit Körperverletzung begangen haben? Dann üben Sie sich jeden Tag darin, stinkwütend zu werden. Wenn Sie auf Verfolgungswahn aus sind, halten Sie jeden Tag in Ihrer Umgebung Ausschau nach Betrug und Doppelzüngigkeit. Haben Sie den Ehrgeiz, jung zu sterben, dann greifen Sie am besten jeden Tag auf die Methode des Deprimiertseins, Besorgtseins und Reizbarseins zurück, doch sollten Sie sich dabei speziell darauf konzentrieren, sich jede nur erdenkliche Krankheit auszumalen und voller Sorge vorzustellen, die Sie befallen könnte.
(Sollten Sie hingegen so lange leben wollen wie George Burns, empfiehlt es sich, jeden Tag „hart daran zu arbeiten“, so fröhlich und optimistisch zu sein wie er.)
Nichts ist unmöglich, wenn Sie’s
JEDEN TAG TUN!
Natürlich ist die Erfolgsquote bei dieser Regel nicht unbedingt 100 Prozent. Vier oder fünf Jahrzehnte lang tagtäglich Chopin zu spielen heißt noch nicht, dass man darum so gut wird wie van Cliburn; es führt nur dazu, dass man schließlich besser Klavier spielen kann als jeder andere in der Gegend. Sich jeden Tag Sorgen zu machen garantiert noch keine Depression mit Hospitalisierung oder einen frühen Tod, aber auf jeden Fall ist damit sichergestellt, dass man zu den drei bis vier Leuten in seiner Nachbarschaft gehören wird, denen es kreuzmiserabel geht. Wenn man zwanzig Jahre lang jeden Tag ein Sonett schreibt, ist man danach trotzdem noch nicht Shakespeare, aber wahrscheinlich doch der beste Dichter im Umkreis von 40 bis 50 Kilometern. Wer die Energie-Meditation oder ähnliche Übungen durchführt, ist nicht nach ein paar Jahren unweigerlich ein Erleuchteter oder Guru, er wird nur entschieden glücklicher und viel wahrnehmungsfähiger, kreativer und „intuitiver“ sein als die meisten Leute, die man tagtäglich trifft.
Bobby Fischer, der ehemalige Schachweltmeister, soll, als er einmal mit anderen Schachgrößen zusammen war und die Rede auf den letzten Nuklearstörfall und seine bedrohlichen Folgen kam, eine Zeitlang ungeduldig zugehört haben, um dann gereizt einzuwerfen: „Was zum Teufel hat denn das mit Schach zu tun?“ Nun dringe ich keineswegs in Sie, eine ebensolche Manie und Besessenheit zu entwickeln, aber diese Geschichte enthält doch eine wichtige Lehre. Fischer wurde Weltmeister, weil er so auf Schach versessen war, dass er sich weder dazu überwinden noch sich überhaupt vornehmen musste,
es, verdammt noch mal, jeden Tag zu tun.
Warnung!
Das Primatenego wird bedroht!
Die Methode der Energie-Meditation ist zwar ein reines Vergnügen, sie ist erotisch, macht Sie „gescheiter“ (insofern, als Sie mehr Details und komplexere Zusammenhänge wahrnehmen) und katapultiert Sie sogar aus dem totalen Reflexverhalten eines Säugetiers heraus in etwas, das langsam, aber sicher jenem legendären „freien Willen“ nahekommt, den Sie nach christlichem Verständnis von Geburt an haben, und deshalb empfehle ich sie von ganzem Herzen – nur muss ich leider gestehen, dass bald einige Seiten in diesem Buch kommen, die Ihnen wahrscheinlich größtes Unbehagen bereiten.
Chris Hyatt ist ein unverschämter, frecher und ausgesprochen lästiger Autor. Er beschwichtigt und besänftigt den Leser nicht etwa mit der christlich-demokratischen Gesellschaftsmythologie, wir hier seien alle freie und vernünftige Leute. Er erinnert uns vielmehr alle paar Seiten wieder mit höchst ungeschminkten Worten daran, dass wir in der Mehrzahl die meiste Zeit über konditionierte Schimpansen im Käfig sind. Lassen Sie sich davon nicht allzusehr beunruhigen.
Die Situation ist folgende: Es gibt Mechanismen, die auf verschiedenen Ebenen im Organismus aller domestizierten Primaten (Menschen) ablaufen. Zum Beispiel setzen Sie sich, wie Bucky Fuller sagen würde, nie hin und fragen sich, wie viele Haare in der nächsten Woche auf Ihrem Kopf und Körper sprießen sollen: Dabei handelt es sich nämlich um eins der Tausende von biologischen Programmen, die rein mechanisch gesteuert werden. Außer in manchen Yoga-Systemen haben Sie auch kaum Einfluss auf Ihre Atmung – sie funktioniert automatisch. Der Verdauungsapparat braucht ebenfalls nur ein Minimum an bewusster Aufmerksamkeit und Planung, es sei denn, Sie haben ein dringendes Bedürfnis und finden keine öffentliche Toilette. (Notieren Sie sich zehn weitere Programme, von denen Sie ohne Ihr Zutun am Leben erhalten werden. Seien Sie einer der 13 von Tausend, die das auch wirklich tun, bevor sie weiterlesen!)
Der Grund, warum Mystiker und manche anderen Psychologen immer das Ego „attackieren“, ist der, dass das Ego der einzige mechanische Schaltkreis ist, der chronisch unter der Illusion leidet, er sei nicht-mechanisch und „frei“.
Das Ego muss samt seiner Wahnvorstellungen untergraben werden – entweder durch einen offenen, schonungslosen Angriff, wie bei Gurdjieffs System und in diesem Buch, oder eher unterschwellig und langsam wie in anderen Systemen ehe nennenswerte Fortschritte zu verzeichnen sind in Richtung „Befreiung“, „Erleuchtung“, Erfahrung des „wahren Willens“ im Crowleyschen Sinne oder wie immer Sie es gerne nennen wollen, wenn Sie weniger roboterhaft, dafür aber bewusster werden – weniger Computer, mehr Programmierer weniger die konditionierte Ratte im Labyrinth des Verhaltensforschers, mehr der Übermensch, den Sufismus und Hermetik sowie Nietzsche propagieren.
Sie brauchen gar keine Angst vor einem Angriff auf Ihr kostbares kleines Ego zu haben, und zwar vor allem deshalb nicht, weil das Ego ungezählte Möglichkeiten kennt, wieder in die gewohnte mechanische Trance zurückzufallen, wie oft Sie auch denken mögen, endlich ein für allemal erwacht zu sein. Dies ist ein weiteres Geheimnis der Illuminaten und erklärt die große Demut und den ausgeprägten Sinn für Humor aller authentischen Magier. Mit anderen Worten: Wenn Sie es beängstigend finden sollten, Ihr kostbares Primatenego jäh und für immer verlieren zu können, dann machen Sie sich darum bloß keine Sorgen – es ist genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, wie morgen am Tag der berühmteste Rockstar der Welt zu sein. Die einzige Möglichkeit, von Egomechanismen loszukommen, besteht darin, verschiedene ego-transzendierende Spiele zu erlernen und sie dann zwanzig bis vierzig Jahre oder länger
JEDEN TAG ZU SPIELEN.
Bevor Sie nicht derartig viel Zeit und Mühe daran wenden, brauchen Sie sich also keine Sorgen zu machen, dass Ihr wundervolles, kostbares, absolut herrliches Ego plötzlich verschwindet; es wird nur ein wenig verwandelt, erfährt eine „Erweiterung“ seines Horizonts und eine (kleine) „Reduzierung“ seiner Eingebildetheit, es wird von einigen seiner ziemlich dummen Gewohnheiten befreit und bisweilen sogar so tun, als verschwinde es, aber es kommt stets zurück, und meistens dann, wenn es am wenigsten zu gebrauchen ist. Es ist leichter, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu ermorden, als sein eigenes Ego umzubringen.
500 Mikrogramm (= 0,5 Milligramm) reines Sandoz-LSD werden mehr zur Zerstörung Ihres Egos tun als irgendeine der EM-Übungen dieses Buches — es sozusagen aus dem Dasein bomben. Doch selbst in diesem Fall sind die Folgen, wie Ihnen jeder alte Acid-Freak bestätigen wird, zwar sensationell, dauern aber immer nur vorübergehend an. John Lilly hat in seinem Buch Programming and Metaprogramming in the Human Biocomputer nach einem starken Trip mit reinem Labor-LSD geschrieben:
„Eine Zeitlang fühlt sich das Selbst frei, wie frischgewaschen. Die gewonnnene Kraft kann ungeheuer sein; die freiwerdende Energie verdoppelt sich … Humor in Fülle erwacht und gute Laune … Die Schönheit steigert sich, die äußere Erscheinung wird jugendlich … Diese positive Wirkung hält unter Umständen zwei bis vier Wochen an, ehe sich die alten Programme wieder durchsetzen.“
Wir sind Produkt mechanischer Genetikprogramme, mechanischer Prägungen und mechanischer Konditionierungen, wie andere Tiere auch. Die Entwicklung zur post-animalischen, nicht-mechanischen, egoüberschreitenden Freiheit beschleunigt sich oft drastisch für eine Weile mit blitzartigen Erweckungszuständen und posthumanen Perspektiven, und wie ich persönlich vermute, geschieht das vermehrt durch den Druck unseres Zeitalters der Gewalt und der zunehmenden evolutionären Veränderungen, aber letztlich wird die wahre Transzendenz über das roboterhafte Bewußtsein hinaus doch nur schrittweise im Laufe von Jahren und Jahrzehnten erreicht. (Absolute „Freiheit“ von allen Mechanismen in allen Schaltkreisen erscheint mir in meiner gegenwärtigen Unwissenheit unmöglich. Ich glaube nicht, dass der Organismus überleben würde, wenn er nicht weitgehend die wie geschmiert laufende, unbewusste Maschine bliebe.)
Der bereits zuvor erwähnte E. J. Gold von der Fake Sufi School vertritt die These, dass der Versuch, die totale Transzendenz mechanischer Ego-Programme zu erreichen, ebenso absurd ist, wie wenn man „Zahnstocher zwischen die Augenlider klemmte, um sicherzugehen, auch nicht einen Augenblick lang einzuschlafen“. Es gibt wohl echte biologische Gründe dafür, dass wir etwa ein Drittel unseres Lebens schlafend verbringen und einen Großteil der übrigen zwei Drittel halb eingelullt von mechanisch konditionierten Prozessen. Alle Schulen der Befreiung haben das Ziel, oft genug so voll und ganz zu erwachen, dass man außerhalb der Schlafzustände und Konditionierungen des Egos neue Horizonte wahrzunehmen vermag.
Was „ist“ das alles?
Der große Dubliner Wissenschaftler und Philosoph de Selby nahm einmal ein Einmachglas und füllte es mit lauter Dreck und Abfall, den er im Haus finden konnte. Die Flusen, die sich auf Teppichen sammeln, Staub von Bücherregalen, verbogene Büroklammern, kaputte Heftzwecken, Dreck aus dem Badewannenabfluss, Krusten vom Herd, obskure Scherben vor langer Zeit zerbrochener, vergessener Gipsfiguren, archäologische Fundstücke aus dem Keller, verschiedene Kleinteile aus dem Mülleimer, mit unergründlichen Telefonnummern bekritzelte Streichholzschachtelreste, ja sogar Nabelflusen, alles wanderte in das Glas. Die Arbeit nahm etliche Wochen in Anspruch, und als sie beendet war, konnte selbst de Selby nicht mehr genau sagen, was im einzelnen darin war. Dann wählte er von den Passagieren der Dun-Laoghaire-Fähre einen statistischen Querschnitt von 123 Dublinern und 246 Besuchern aus England und vom Festland aus und bat jeden von ihnen, den Inhalt des Glases zu erraten.
77,6 Prozent der Versuchspersonen antworteten sofort: „Oh, ich weiß, das ist …“ und stellten eine abenteuerliche Vermutung an. (Die häufigste, von 54,3 Prozent der Befragten gegebene Antwort lautete, es „sei“ das Zeug, das in pakistanischen Restaurants in die Currysauce gemischt werde. Oft hieß es auch, es „sei“ Uranerz, Holzleim oder Baumrinde.)
Von den 24,4 Prozent, die nicht rieten, was es „war“, fragten 83,5 Prozent gleich nach dem Weg zum Clontarf-Castle und hatten offenbar gar keine Zeit zum Raten, weil sie sich beeilen mussten, die abendliche Musikshow noch mitzubekommen.
De Selby schloss daraus, dass die meisten Europäer in diesem Stadium der Evolution überzeugt sind, alles und jedes könne sinnvoll mit einem einzigen Satz der folgenden Art beschrieben werden: „Das ist ein Dingsbums.“
Ich glaube aus Erfahrung, eine Umfrage gleicher Art in Amerika würde ähnliche Ergebnisse zeitigen. Uns allen spukt noch immer der Geist von Aristoteles im Kopf herum, diesem Kerl, der als erster das ganze Universum in Sätzen und Permutationen zu beschreiben und zu erklären versuchte von der Art wie: Dies ist ein Y, alle Z sind gleich Y, manche Y sind gleich X, darum sind manche Z gleich X. Die Mehrzahl der Menschen, besonders Politiker und Kleriker, sind weiterhin fest davon überzeugt, dass alles und jedes auf aristotelische Weise sinnvoll beschrieben werden kann — oder, wie Ernest Fenollosa einmal gesagt hat: „Die abendländische Kultur meint, der Satz Ein ringelschwänziger Pavian ist keine gesetzgebende Versammlung sei eine der zwei Formen sinnvoller Aussagen (die andere wäre Der Kongress der Vereinigten Staaten und das englische Parlament sind gesetzgebende Versammlungen).“
Vom Standpunkt der heutigen Wissenschaft aus, also etwa für 1980 bis 1987, stimmt zweierlei nicht mit dieser aristotelischen Logik. Zum ersten werden wissenschaftliche Modelle nicht in dieser Gleichungsform (A gleich B) ausgedrückt, sondern durch die funktionale Sprache der Beziehungen (wenn A sich um das Maß X in irgendeiner Dimension bewegt, bewegt B sich um das Maß Y in irgendeiner anderen Dimension). Diese Form der funktionalen Aussage lässt wissenschaftliche Voraussagen zu, die durch Erfahrung und Experiment entweder teilweise erhärtet oder total widerlegt werden. Die aristotelische Form der Gleichsetzungs-Sätze führt nur zu Wortstreitereien.
Zum zweiten ist gegen die aristotelische Aussage A gleich B einzuwenden, dass sie im Grunde durch die Neurologie und Versuche mit entsprechenden Geräten ad absurdum geführt worden ist. Neurologisch ist überhaupt nicht festzustellen, was A „ist“, sondern nur, wie es unseren Sinnen und unserem Gehirn erscheint. Die Sinne erfassen einige (nicht alle) Signale des Raum-Zeit-Ereignisses, und das Gehirn verarbeitet und ordnet diese Signale zu einer vertrauten Gestalt. (Genauso haben offenbar de Selbys Versuchspersonen den Dreck im Glas zu Currysauce oder Uranerz verarbeitet und geordnet.) Auch unsere Geräte und Messinstrumente nehmen eine derartige Verarbeitung vor. Ein spezielles Gerät sagt nichts darüber aus, was A „ist“, sondern gibt nur an, welche Art von Signalen es (das Gerät) messen kann. Ein Voltmeter sagt nichts über die Temperatur von A aus, ein Thermometer nichts über die Größe von A, ein Lineal oder eine Waage nichts über die Molekülstruktur von A usw. – jedes Gerät bringt seine eigene Auslegung, seinen eigenen engen Wirklichkeitsausschnitt, seine „Tunnelrealität“, ins Spiel, ebenso wie unsere inneren „Geräte “ (Gehirn und Sinnesorgane) sich eine Auslegung bzw. eine eigene Tunnelrealität erschaffen. Genaugenommen sollten wir nie sagen: „Das ein A“, sondern lieber: „Das passt offensichtlich in die Kategorie A meines Auslegungssystems bzw. in den Wirklichkeitsbereich dieses Gerätes.“
Klingt das pedantisch oder wie unnötige Haarspalterei? Denken Sie nur einmal an das menschliche Elend und die sozialen Katastrophen, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten durch solche Feststellungen wie: „Frau Müller ist eine Hexe“, „Herr Schmitz ist homosexuell“, „Herr Goldberg ist Jude“, „dieses Buch ist ketzerisch“, „dieses Gemälde oder Foto ist Pornographie“ hervorgerufen worden sind. Wenn Sie tief genug darüber nachdenken, muss Ihnen eigentlich aufgehen, dass die katholischen Hexenjagden, die stockdumme Zensur, Hitlers Vernichtungslager und ähnliche historische Greuel nie geschehen wären, wenn wir kein Wort für „ist“ in unserer Sprache hätten oder nie vergessen würden, dass „ist“ immer nur Gleichnischarakter hat. Die Schuldgefühle und „chronischen Alarmsignale“ (wie Fritz Perls es nennt), die Sie davon abhalten, Ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen, können meist größtenteils auf irgendeinen Satz von der Art „ich bin ein B“ zurückgeführt werden, wobei B annähernd gleich „nichtswürdiger Scheißkerl“ ist. Dieser Satz hat sich Ihnen eingeprägt, als sie noch sehr jung waren, und vielleicht denken Sie nicht mehr bewusst daran, aber wenn Sie mit Ihrem Leben generell unzufrieden sind, steckt irgendwo in Ihrem Gehirn eine solche Feststellung.
Selbst Ist-Sätze, die scheinbar Tatsachen wiedergeben, bergen auf Grund der mechanisch konditionierten Bewusstseinsebene der meisten Menschen auf dieser Erde und zu diesem Zeitpunkt Gefahren in sich. „Er ist homosexuell“ mag in einer Encounter-Gruppe oder auf einer San-Francisco-Cocktail-Party eine durchaus harmlose Feststellung sein, aber in den besonders frommen Gegenden der amerikanischen Südstaaten wird mit „homosexuell“ unweigerlich die „Sünde“ verknüpft, eine besonders schändliche „Sünde“, und häufig genug ist Gewalt, ja sogar Mord die Folge dieser einfachen Ist-Feststellung; „Jude“ ist im Grunde eine neutrale Bezeichnung für einen Menschen, der sich zu einer der drei Hauptreligionen des Westens bekennt, während das Wort im Nazi-Deutschland jemanden bezeichnete, der einzusperren, zu Fronarbeit zu zwingen und schließlich hinzurichten war.
Vor kurzem habe ich in einer Science-Fiction-Fan-Zeitschrift gelesen: „Die Iren sind wirklich ekelhaft.“ Ganz unabhängig von meinen mechanisch bedingten eigenen Vorurteilen (denen eines Menschen teilweise irischer Abstammung, der mit Vorliebe in Irland weilt) finde ich besonders faszinierend an dieser Ist-Feststellung, dass sie in einer Publikation erschien, in der man sonst nie derartige semantisch gleichartige Behauptungen finden würde wie etwa: „Juden sind wirklich Untermenschen“ oder: „Frauen sind weniger wert als Männer.“
Um Herrn G. nochmals zu zitieren: „Was zeigt das? Es zeigt, dass die meisten Menschen schlafwandeln und nur träumen, sie seien wach.“ Das heißt, gewisse berüchtigte historische Formen rassischer oder sexueller Klischees sind aus der Mode gekommen und in „gebildeten“ Kreisen buchstäblich tabu, während die konditionierte Reaktion auf solche Klischees unterschwellig weiterbesteht – die Maschine schläft noch immer, wie Gurdjieff sagen würde, so dass Leute, die einerseits keine Juden abstempeln würden, andererseits keinen Widerspruch darin sehen, eine Klischeevorstellung von Iren, Polen oder anderen Volksgruppen zu haben. In diesem mechanischen oder primitiven Evolutionsstadium ist das kaum zu verwundern.
Was mich auch noch (manchmal) in Erstaunen versetzt, sind die Leute, die diese Mechanismen bei anderen erkennen können, gegenüber ihren eigenen mechanischen Reaktionen jedoch mit glückseliger Blindheit geschlagen sind. Um die Energie-Meditation verstehen und gleichzeitig die Bedeutung dessen erfassen zu können, was ich eben über die aristotelische Tradition gesagt habe, empfiehlt es sich, wichtige Hauptworte mit mathematischen Indizes zu versehen, wie der Semantiker Alfred Korzybski dringend angeraten hat. Zum Beispiel entspricht der Nazi-Mentalität eine Formel etwa der folgenden Art:
Jude₁ = Jude₂ = Jude₃ = Jude₄ usw.
Nun läuft das auf jeden Fall der gefühls- und sinnesmäßigen Raum-Zeit-Erfahrung zuwider. Nach der gefühls- und sinnesmäßigen Raum-Zeit-Erfahrung – die wir gemeinhin „Wirklichkeit“ nennen, sofern wir nicht durch Philosophiekurse geschädigt sind – ist jeder Jude, den wir kennenlernen, ein spezifisches Ereignis im Raum-Zeit-Kontinuum. Der erste ist vielleicht ein Dichter, der zweite eine Schauspielerin, der dritte ein Kaufmann usw., wenn wir diese Gruppe nach Berufskategorien ordnen. Nach dem äußeren Erscheinungsbild eingestuft, sieht der erste unter Umständen so gut aus wie Paul Newman, der zweite so hässlich wie Edward G. Robinson, der dritte so süß wie Barbra Streisand usw. Auch wenn man andere Raster anlegt, treten doch Unterschiede zutage, ebenso wie eine Eiche nicht zwei Blätter hat, die einander aufs Haar gleichen.
Bitte nicht gleich wieder einschlafen! Bleiben Sie noch dran! Wir halten keine Moralpredigt über das Thema „Toleranz“ wie in einem Hollywood-Film der fünfziger Jahre. Wir nehmen nur den Antisemitismus als Beispiel für geistige Mechanismen, das zahllose andere geistige Mechanismen erhellt, die Sie bei sich selbst erkennen müssen, wenn die Energie-Meditation Ihnen etwas bringen soll.
Zu Anfang habe ich beispielsweise, um Sie zu schockieren, ein paar kritische Bemerkungen über das Christentum und die Demokratie fallenlassen. Würden Sie daraus schließen, dass ich alle Aspekte der christlich-demokratischen Gesellschaft ablehne, läge Ihrem Urteil irgendwo ein „Gleichsetzungs“-Mechanismus zugrunde. In Wirklichkeit lebe ich viel lieber in christlich-demokratischen Staaten mit all ihren Fehlern als in fundamental-moslemischen oder buddhistischen Staaten, und ich würde mich lieber von einem Nashorn aufspießen lassen, als in einem marxistischen Staat zu leben versuchen. Bei faschistischen Staaten würde es wohl kaum eine Rolle spielen, was ich zu tun versuche, denn ich vermute, dort würde ich ohnehin nach wenigen Monaten, wenn nicht schon in der ersten Woche, erschossen.
Wenn die Nazi-Mentalität so tut, „als ob“ Juden = Judek oder ein beliebiger Jude jedem ändern beliebigen Juden „gleich“ sei, so tun Leute, die geistig viel anspruchsvoller wirken, so, „als ob“ irgendein SF-Roman = irgendeinem anderen SF-Roman sei (die Literaturkritiker des Time-Magazins haben offenbar diesen mechanisch konditionierten Reflex) oder „das Fernsehen ganz abgeschafft werden sollte“ (zu diesem Thema ist kürzlich ein Buch erschienen, dessen Verfasser anscheinend ernstlich dem faschistischen Wahn verfallen ist, es sei TV-Shown = TV-Showk oder jeder Polizist sei = jedem anderen Polizisten oder jede Imbissstube sei ebenso „schlecht“ wie jede andere Imbissstube usw. Mechanische Reaktionen sind die statistische Norm; die vollbewusste Aufmerksamkeit ist eine Seltenheit. (Darum hat ein Zen-Meister auf die Frage, was Zen „ist“, stets geantwortet: „Aufgepasst!“) Unser Ausgangspunkt war die Kritik an der christlichen, demokratischen Auffassung, und nun haben wir einen Kreis dorthin zurück beschrieben und sehen jetzt vielleicht klarer, was die mechanische A=B-Hypnose uns antut. Wir haben Beispiele für die Unterschiede zwischen Elementen der „gleichen“ Gruppe aufgestellt, aber kein Element bleibt im Lauf der Zeit unverändert. Betrachten Sie einmal sich selbst als das Element X der Gruppe „Mensch“. Ganz bestimmt ist
X₁₉₈₆ nicht gleich X₁₉₇₆
Sie haben sich in den letzten zehn Jahren ziemlich stark verändert, oder? Wenn die Leute nicht daran gewöhnt wären, Sie immer beim gleichen Namen zu rufen, würden Sie unter Umständen nicht „glauben“ wollen, dass Ihr heutiges Ich in gewissem Sinne „wirklich“ das Ich von 1976 „ist“. Könnten Sie Ihren Namen auch nur eine kurze Zeitlang vergessen, würde sich das Gebilde oder, genauer gesagt, das Raum-Zeit- Ereignis „Sie“ sichtbar verändern, manchmal schneller, manchmal langsamer, das ganze Jahrzehnt hindurch. Wenn Sie über zwanzig sind, werden Sie die Behauptung, Sie von 1986 „seien wirklich“ Sie von 1966, doch völlig absurd finden …
Denken Sie einmal ernsthaft darüber nach. Es wäre eine verdammt gute Idee, jetzt gleich eine Liste der zehn wesentlichsten Veränderungen aufzustellen, die „Sie“ seit 1966 erlebt haben, und weiterer zehn seit 1976. Ist es zuviel Aufwand, Papier und Stift zu holen? Nun, dann machen Sie wenigstens im Geiste eine Aufstellung. Können Sie sich darüber hinaus vergegenwärtigen, wie Sie um 1966 aussahen und wie Sie sich gekleidet haben? Denken Sie bitte scharf nach, welche Veränderungen „Sie“ im Laufe von 20 Jahren noch erfahren haben. Damit Sie verstehen, was dieses Buch für Sie tun kann, sollten Sie jetzt versuchen, das, was Sie sich gerade bewusst gemacht haben, auf eine kleinere Zeitspanne zu übertragen. Ist es möglich, dass Sie von letzter Woche in jeder Hinsicht „wirklich“ Sie von dieser Woche „sind“? Möglich erscheint es schon, aber es stimmt nicht unbedingt, es sei denn, Sie sind gestorben und in Formaldehyd eingelegt worden.
Denken Sie wirklich einmal an die Veränderungen Ihres „Sie“ in einer Woche nach. Wie viele Veränderungen hätten noch in dieser auftreten können, wenn Sie sich nicht der Illusion hingegeben hätten, ein fertiges Produkt zu sein, statt ein in Entwicklung begriffenes Werk? Bleiben Sie am Ball. Überlegen Sie sich mit allem Ernst, ob es wirklich total stimmt, dass Sie von gestern tatsächlich Sie von heute sind. Wenn Sie endlich merken, dass Sie vor einer Sekunde nicht genau Sie hier und jetzt sind, dann fangen Sie an zu begreifen, was Ihnen Christopher Hyatt in diesem Buch anbietet und wie Sie davon Gebrauch machen können.
Howth, Irland
17. November 1986
Dieses Vorwort von Robert Anton Wilson ist im Buch Ent-wickle dich! (1989) von Christopher S. Hyatt, im Original Undoing Yourself – With Energized Meditation And Other Devices (1982) erschienen