Sexuelle Alchemie
The Chariot of Antimony von Basil Valentine (1642) beinhaltet den folgenden typischen Happen alchemistischer Erläuterungen:
Lasst Löwen und Adler sich formgerecht als Prinz und Prinzessin der Alchemie herrichten – so wie sie inspiriert sein mögen. Lasst die Einheit des Roten Löwen und des Weißen Adlers weder in der Kälte noch in der Hitze sein … Dann kommt die Zeit, da das Elixier in den Destillator gefüllt und leichte Wärme zugeführt wird … Wenn das Große Werk zur Transsubstantiation vollzogen wurde, dann mag der Rote Löwe vom Fleisch und Blut Gottes speisen, und lasst den Roten Löwen auch formgerecht den Weißen Adler verköstigen – ja, mag Mutter Adler sich häuten und das innere Leben beschützen.
Diese Passage ist repräsentativ für die Klarheit der Erläuterungen und die kristalline Übersichtlichkeit des Stils in der alchemistischen Literatur. Man kann schon jetzt sehen, warum so viele rationale Historiker daraus geschlossen haben, dass sich die Alchemisten ihren Verstand mit zu viel narkotischen und/oder toxischen Dämpfen zerstört hatten, um dann halluzinatorischen Quatsch zu schreiben.
Verschiedene Schulen des Okkultismus sehen das natürlich anders. Sie stimmen darin überein, dass die alchemistischen Werke in Codes geschrieben wurden – da „die Menschheit für ein bestimmtes Wissen noch nicht bereit sei“, sagen die Esoteriker; weil ein jeder Alchimist die Inquisition auf den Plan gerufen hätte, wenn er sich klar und deutlich zum Ausdruck gebracht hätte, sagen die eher Pragmatischen. Unglücklicherweise gibt es einige Dutzend Theorien darüber, was die Codes bedeuten. Die folgende Theorie ist die, welche mich über die Jahre am ehesten zufrieden stellte, obwohl ich nicht listig genug bin, um mir absolut sicher zu sein, dass dies auch die einzig korrekte Theorie ist.
Folgt man Louis T. Culling, Großmeister der okkulten Loge G.B.G. (Great Brotherhood of God), in seinem Werk Manual of Sex Magick, sind folgende Begriffe und ihre Übersetzungen die Hauptbegriffe des Codes:
ROTER LÖWE – der männliche Alchemist oder sein Penis
WEISSER ADLER – die Partnerin des Alchemisten oder ihre Vagina
RETORTE (oder Destillierkolben bzw. Destillator) – die Vagina und/oder der Mutterleib
TRANSMUTATION (oder Transsubstantiation) – ein erweiterter Bewusstseinszustand
ELIXIER – der Samen
Wendet man diesen Schlüssel auf Valentines merkwürdigen Abschnitt an, erkennt man sehr schnell, dass er den Novizen der Alchemie dahingehend instruiert, eine angemessene Partnerin zu finden und eine „kö-nigliche“ oder erhabene Haltung einzunehmen – er ist ein Prinz und sie eine Prinzessin, ergo sind beide keine gewöhnlichen Personen mehr. (Vgl. Tim Learys Slogan von 1960: „Jeder Mann ein Priester, jede Frau eine Priesterin, jedes Heim ein Tempel.“)
Die Vereinigung der alchemistischen Partner sollte „weder in Kälte noch in Hitze stattfinden“ – sie sollten leidenschaftlich sein, dem anderen gegenüber nicht gleichgültig oder bloß beiläufig, aber sie dürfen auch nicht zu extrem leidenschaftlich sein. Das bedeutet, dass sie nicht auf eine Weise zum Höhepunkt galoppieren sollen, die für unsere Kultur nur zu typisch ist. Kurz gesagt sollte die sexuelle Vereinigung tantrisch sein und zur „Transsubstantiation“ führen – einem höheren Bewusstseinszustand.
Der verstorbene Dr. Francis Israel Regardie, ein bemerkenswerter Genosse, der zwei separate Selbste und Karrieren hatte – als Dr. Francis Regardie war er ein neoreichianischer Psychotherapeut, während er als Israel Regardie eine Reihe von Büchern schrieb, die den gegenwärtigen amerikanischen Okkultismus mehr beeinflussten als jede andere Arbeit irgendeines anderen Autoren – lehrte diese Interpretation der Alchemie ebenfalls, doch im Gegensatz zu Culling nur in den traditionellen Codes. In The Tree of Life bietet Regardie zum Beispiel folgende Hilfestellung an, die erläutert, auf welche Weise der kabbalistische Magier die Alchemie seinem Arbeitsspektrum hinzufügen sollte:
Durch die Stimulierung von Wärme und spirituellem Feuer im Athanor sollte es einen Transfer geben, ein Aufsteigen der Schlange von dieser Vorrichtung hin zur Cucurbite, die als Retorte verwendet wird. Die alchemistische Hochzeit oder die Vermischung der zwei Kraftströme in der Retorte verursacht alsbald die chemische Fäulnis im Menstruum der Gluten. Dies ist das Solve in der alchemistischen Formel solve et coagula … Dieser Vorgang sollte nicht weniger als eine Stunde dauern.
Dr. Regardie bietet darüber hinaus den hilfreichen Hinweis an, dass dieser Vorgang, so komplex er sich auch anhört, „nicht anstrengender als das Fahren eines Fahrrads“ ist. Während eines Briefwechsels bemerkte Dr. Regardie mit Freude, dass ich diesen Code korrekt entschlüsselt hatte. Culling unterscheidet sich von Regardie hauptsächlich durch die Behauptung, dass das Aufsteigen der Schlange zumindest zwei Stunden beanspruchen sollte.
Wenn einige Leser noch etwas im Dunkeln tappen, was am ausgedehnten tantrischen Akt alles beteiligt ist, sollten sie die folgenden, umfassenden Hinweise Thomas Vaughns bedenken, ein anderer Alchemist aus dem 17. Jahrhundert, der ungefähr zeitgleich mit Basil Valentine lebte:
Der tatsächliche Feuerofen ist eine kleine, einfache Muschel … Doch ich habe dir beinahe zu erzählen vergessen, was dies alles zusammengenommen bedeutet und was die größte Schwierigkeit in allen Künsten ist – namentlich das Feuer … Das Verhältnis und die Herrschaft dessen ist sehr gewissenhaft, doch die beste Regel, um es zu verstehen, ist die der Synode: „Lass den Vogel nicht vor dem Vogelfänger fliegen.“ Lass ihn sich setzen, während du Feuer gibst, dann kannst du dir der Beute sicher sein. Schließlich sollte ich dir erklären, dass die Philosophen dieses Feuer ihr Bad nennen, doch ist es ein Bad der Natur und kein künstliches; doch es ist ohne jede Form von Wasser … Mit wenigen Worten, ohne dieses Bad würde nichts in der Welt entstehen.
Wie Kenneth Rexroth in seinem Vorwort zu The Works of Thomas Vaughn bemerkte, sorgte sich Vaughn scheinbar weniger als frühere Alchemisten darum, das Geheimnis zu verbergen, um es stattdessen mit immer weiteren Hinweisen aufzuklären. Es gibt nur ein Bad, das alle Kreaturen hervorbringt, und dies ist das Bad vaginaler Flüssigkeiten, welche „ohne jede Form von Wasser” sind. Der Feuerofen, der auch eine Muschel ist, ist ein schönes und poetisches Bild der weiblichen Anatomie, eines John Donne ebenbürtig – dessen Gedichte gelegentlich darauf hindeuten, dass er ein Eingeweihter war. Dies zeigt sich nicht nur in Donnes „Der Liebe Alchemie“ mit seinem „schwangeren Ofen“ und „der Ekstase“ und mit seinem deutlich tantrischen Schwerpunkt. Der „Vogel“ (englischer Jargon für Frau und ebenfalls ein Querverweis auf den traditionellen Symbolismus des Adlers) muss sich setzen, während der Alchemist Feuer gibt. Das ist natürlich die traditionelle tantrische Position, welche den sexuellen Verkehr verlangsamt und ein Maximum an Intimität und Zärtlichkeit bewirkt. Die Liebenden in Donnes „The Ecstasy“ sitzen und erschaffen in den Augen des jeweils anderen gleichermaßen „Bilder“, was die meisten Interpreten dazu bewegt, keine sexuelle Verbindung darin zu sehen. Doch die sitzende Yabyum-Position des Tantra erfordert auch eine Vereinigung über den Augenkontakt.
John Donne und andere Elizabethaner, die Anzeichen der Kenntnis dieser Tradition zeigen – speziell Sir Philip Sydney und Sir Walter Raleigh, aber man sollte auch erneut Shakespeares Sonette mit diesem Modell im Hinterkopf lesen –, standen wahrscheinlich unter dem Einfluss von Giordano Bruno von Nola, der in Oxford Vorträge hielt, während Donne ebenfalls dort war. Während dieser Jahre in Oxford veröffentlichte Bruno seine Eroica Furioso, welche Liebesgedichte über die Einheit der Seele mit Gott durch Prosapassagen ergänzte. Üblicherweise wird angenommen, dass die Gedichte Allegorien über die Pilgerfahrt der Seele darstellen, doch sind sie genauso gut ein Schlüssel zu dem Yoga, welcher die ultimative Einheit und Vereinigung erzeugt. (Beiläufig erwähnt, der Historiker Frances Yates glaubt, dass Bruno Vorbild für mindestens zwei Charaktere in Shakespeares Stücken war – Berowne in Love’s Labour’s Lost und Prospero in The Tempest.)
Schließlich kehrte Bruno nach Italien zurück, wo ihn die Inquisition für acht Jahre einkerkerte und ihn danach auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Die meisten Historiker bemerken lediglich, dass der Nolaner (so wie er sich selbst gerne nannte) für das Lehren der Kopernikanischen Theorie der Astronomie verurteilt wurde. Er war jedoch für 18 Verbrechen angeklagt worden, einschließlich magischer Praktiken und der Gründung einer okkulten Geheimgesellschaft, die den Vatikan stürzen sollte. Francis Yates vermutet, dass letztere Anklagepunkte wahrscheinlich der Wahrheit entsprechen, und bezieht sich auf einen brunoesken Einfluss in den ersten Manifesten der Rosenkreuzer. Gewiss zeigt The Alchemical Marriage of Christian Rosycross mehr als nur eine leichte Färbung von Brunos Tantrismus. „Geheime Sprichworte“ wie „nur am Kreuz kann die Rose erblühen“ zeigen sowohl Brunos Sexmagick als auch seine Liebe für das Paradoxe. (Zwei Lieblingskoans des Nolaners waren: „Im Schmutz Erhabenheit; in der Erhabenheit Schmutz“ und „In der Freude Tränen; in Tränen Freude“.)
Die Frage, inwieweit diese tantrische Tradition nach Europa kam, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Neben weiterer Leistungen und Unverschämtheiten war Ezra Pound auch einer der führenden Gelehrten auf dem Gebiet der frühen französischen Poesie. Seine 1916 überarbeitete Auflage von The Spirit of Romance enthält ein Kapitel, welches Beweise dafür präsentiert, dass in der Provence zur Zeit der Troubadours ein tantrischer Kult existierte, was sich auf den zweiten Blick in vielen ihrer Gedichte zeigt. Neben den Angaben, die von Pound aufgezeigt wurden, bemerkte ich selbst, dass sich die charakteristische Versform der Troubadours, sieben Strophen, auf die sieben Chakren des tantrischen Yoga beziehen könnte. Sicherlich existieren in der europäischen Literatur keine früheren Bezüge (jedoch sehr viele im Tantra) als das, was Pierre Vidals empörende Bemerkung erahnen lässt: „Ich denke, dass ich Gott gesehen habe, als ich mein nacktes Weib betrachtete.“ Als diese Worte geschrieben wurden, war das haarsträubende Blasphemie. Die innere Tradition des Tantra zeigt sich noch deutlicher in Sordellos lieblichen Worten:
And if flee you not, Lady who has captured my soul,
No sight is worth the beauty of my thought.
Und falls Ihr nicht flieht, die Ihr meine Seele gefangen haltet,
Kein Anblick ist meiner Gedanken Schönheit wert.
Pound vermutete (und er gab zu, lediglich zu vermuten), dass dieser „Yoga männlicher und weiblicher Energien“ nach tausend Jahren der Existenz im Untergrund als gnostische Häresie im mittelalterlichen Frankreich aufgetaucht war. In Love in the Western World präsentiert Denis de Rougemont eine imposante Anzahl von Beweisen dafür, dass der Yoga der Troubadoure von Kreuzfahrern aus dem Mittlern Osten mitgebracht wurde, die ihn von arabischen Mystikern, wahrscheinlich den schrulligen Sufis, erlernten hatten.
Louis Culling, op. cit., behauptet, dass die tantrische Tradition des Westens eindeutig von den Sufis abstammt und auch im Rubiyat of Omar Khayaam verschlüsselt ist. Leider Gottes basiert diese Behauptung auf den „inneren Lehren“ verschiedener okkulter Orden und nicht auf Quellen, die von Historikern verwendet wurden. Sicherlich verwendete Sufi Mahmoud Shabistari im 14. Jahrhundert tantrische Elemente, als er schrieb: „Jedes Atom enthält tausend vernünftige Wesen.“
Der Ordo Templi Orientis (Aleister Crowley war für ein Vierteljahrhundert dessen Outer Head) lehrt die Elemente des Tantra in neun langsam und vorsichtig zusammengestellten „Graden“ der Initiation. Der erste Grad rechnet diese Tradition eindeutig dem Sufismus im Allgemeinen und im Speziellen Mansur el Hallaj zu – einem Sufi Märtyrer, der dafür zu Tode gesteinigt wurde, dass er die wesentliche tantrische (und vedantische) Doktrin verkündete: „Ich bin die Wahrheit und innerhalb meines Turbans ist nichts außer Gott.“ (Einige Initiierte des O.T.O. denken, dass Mansurs wahre Geschichte die Vorlage des Mythos von Hiram in der orthodoxen Freimaurerei darstellt.) In meinem Sex, Drugs & Magick: A Journey Beyond Limits schenke ich all diesen Theorien Aufmerksamkeit und schlage darüber hinaus vor, dass eine Hauptrolle auch von Hassan I Sabbah gespielt wurde, dem Gründer der ismailitischen Sekte des Islam. Er benutzte sowohl Drogen als auch tantrischen Sex, um psychedelische Erfahrungen zu bewirken, welche viele angeblich Glauben machte, sie hätten das Paradies erleben dürfen, obwohl sie noch am Leben waren.
Die meisten Publizisten, die sich mit dieser Kunst beschäftigt haben, neigen an diesem Punkt zum Stottern und Stammeln oder schmeißen die Arme in die Luft und beginnen, vor Wut zu heulen. Einige denken, dass alles, was man beim Sex tun muss, „das Annehmen der richtigen Einstellung“ sei und – schwups – ist man ein Alchemist oder ein Magicker oder zumindest irgendein Hermetiker. Andere proklamieren, dass solcher Yoga „dunkel“ und „linkshändig“ und zweifellos teuflisch sei. Ich kann nicht hoffen, die Vorurteile der letztgenannten Gruppe mit einem kurzen Artikel aufzulösen, doch kann ich zumindest die Naivität der erstgenannten Gruppe ein wenig erschüttern.
Tantrisches Yoga erfordert mindestens so viel Disziplin wie Hatha-Yoga und soviel Bereitschaft, zu lieben und von sich selbst zu geben wie Bhakti Yoga. Um damit erfolgreich und effektiv zu sein, muss das Tantra die Feinheit einer erstklassigen Balletttruppe und die Zärtlichkeit wahrer Vereinigung besitzen – in der religiösen Bedeutung dieses Begriffes.
Aleister Crowley, der führende Verfechter dieses Yoga in unserem Jahrhundert (und nebenbei auch der Lehrer von Louis Culling) sagte, dass dieser Yoga „die neun und neunzig Regeln der Kunst“ erfordert. An anderer Stelle drückt Crowley dies in einem Mantra aus, welches außerhalb des Tantra noch viele weitere Bedeutungen hat: „Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.“ Man weiß nur, dass diese Kunst gemeistert wurde, wenn man einen Bewusstseinszustand erreicht hat, in welchem man augenblicklich ohne Zweifel und Zögern einen anderen hermetischen Aphorismus Crowleys begreift: „Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern.“
Die Kraft des Tantra deutet sich in der Tatsache an, dass Ezra Pound, der diese Kunst niemals bei einem Meister erlernte, genug aus seinen Jahren des Studiums der Troubadoure lernte, um 1933 in seinem Essay über Guido Cavalcanti vom „Magnetismus, der an das Sichtbare grenzt“ und vom „Bewusstsein, das sich viele Meter über den Körper hinaus erstreckt“ sprach. Dies sind charakteristische Anzeichen dafür, dass man den Schritt vom gewöhnlichen Sex zum Metasex gemacht hat, vom kruden Akt, den Shakespeare „schnelle Nummer“ nannte (und D.H. Lawrence „das Niesen in den Lenden“) zu tantrischer Transzendenz. Was hinter diesem Magnetismus und dieser Bewusstseinserweiterung geschieht, ist keine Diskussion wert. Jene, die wissen, wissen – und jene, die nicht wissen, werden es einfach nicht glauben.
Wie auch immer, man mag darüber spekulieren, dass die Vermischung von Yin- und Yang-Magnetismen tendenziell dazu führt, ein synergetisches Drittes zu produzieren, das die ursprünglichen Elemente vernichtet. Kenneth Grant, ein schrulliger, von menstrualer Magick besessener Crowleyaner („das Mysterium des roten Goldes“), spricht in diesem Kontext von der „Bisexualisierung der beiden Partner“. Genauer gesagt und in chinesischer Terminologie ausgedrückt, wird das aktive Yang zu passivem Yin, passives Yin wird zu aktivem Yang und beide neigen dazu, im Dao aufzugehen, um in neuer, unerwarteter Form wieder aufzutauchen. Crowleys berüchtigte Gleichung 2 = 0, von der er behauptete, sie würde das Universum und letztlich auch die Quantenmechanik erklären, dient zumindest als eine nützliche Glyphe für diese Stufe alchemistischer Mutation. Und obwohl Crowley es liebte, den Buhmann zu spielen und die Leichtgläubigen und Ängstlichen einzuschüchtern, sollte man seine Warnung in Magick mit einiger Ernsthaftigkeit betrachten:
Der Pokal soll gefüllt sein mit dem Blut der Heiligen; dies bedeutet, dass jeder Heilige oder Magier den letzten Tropfen seines Lebensblutes in diesen Pokal geben muss, im Brautzimmer des Rosenkreuzes … Es ist die Frau, deren Pokal gefüllt werden muss … das Kreuz ist sowohl Tod als auch Schöpfung und am Kreuz wird die Rose erblühen.
Man musste sowohl in freudscher als auch in jungscher Analyse bewandert sein, um dies auch nur andeutungsweise zu verstehen, bis man dann selbst die Erfahrung gemacht hatte. Doch in den 60ern wusste dann jeder, der LSD genommen hatte, ein wenig über Tod und Wiedergeburt Bescheid. Wir sind keine völlig unvorbereitete Generation, was diese Mysterien betrifft.
Das fängt langsam an, sich zu metaphysisch anzuhören. Die beteiligten Prozesse können auch sehr materialistisch beschrieben werden; im Sinne von der Verlagerung des Bewusstseinszentrums von der üblicherweise dominierenden linken Gehirnhemisphäre und dem sympathischen (aktiven) Nervensystem hin zu der Balance zwischen beiden Hemisphären und der wachsenden Fähigkeit, sich im parasympathischen (passiven, rezeptiven) Nervensystem zu entspannen. Die alte, mystische Terminologie besteht hauptsächlich weiter fort, weil sie auf poetische Weise präzise ist und psychologisch äußerst suggestiv.
Es ist es wert, Dr. J.W. Brodie-Innes zu zitieren, ein Initiierter des Hermetischen Ordens Golden Dawn in England in den 1890er Jahren. Er sagte über die Relevanz traditioneller okkulter Konzepte:
Ob die Götter, die qliphotischen Kräfte oder die geheimen Führer wirklich existieren, ist vergleichsweise unwichtig; worauf es ankommt, ist, dass sich das Universum so verhält, als ob sie es täten. Gewissermaßen ist die gesamte Philosophie der Praxis der Magick identisch mit der pragmatischen Position des amerikanischen Philosophen Pierce.
Mit anderen Worten kennen wir „das Universum“ niemals per se. Wir kennen ein durch unser Bewusstsein gefiltertes Universum und wenn sich das Bewusstsein verändert, so verändert sich auch das bekannte Universum. Crowley definierte Magick als „die Kunst Veränderungen durch den Akt des Willens zu verursachen“ und Dion Fortune definierte sie als „die Kunst, Veränderungen des Bewusstseins durch den Akt des Willens zu verursachen“ und keiner der beiden vereinfachte zu sehr. Der traditionelle aristotelische „eiserne Vorhang“ zwischen Geist und Universum hat in der Magick keine Bedeutung. Aus den gleichen Gründen hat er auch keine Bedeutung mehr für die Quantenmechanik. Wie John Lilly schrieb:
… wenn man die richtigen Vorstellungen in die metaprogrammatischen Ebenen des Gehirns (Verstandes) überführt … wird der Computer (aus den unzähligen Elementen des Gedächtnisses) jene möglichen Erfahrungen konstruieren, die zu dieser bestimmten Menge von Regeln passen. Die Programme werden ablaufen und die Darstellungen, welche den Grundannahmen und ihrer gespeicherten Programmierung entspricht, werden erzeugt.
Der Puritaner, der sich das Playmate des Monats anschaut, wird etwas Anstößiges, Schreckliches, Diabolisches und Sündhaftes darin sehen. Pierre Vidal würde eine weitere Manifestation der Pracht Gottes erkennen. Es hängt alles von den Programmen des Biocomputers ab. Doch haben alle Programme die Tendenz, selbsterfüllende Prophezeiungen zu werden. Ein klassischer Fall ist der traurige, melancholische Mann, der häufig im Dunkeln sitzt, das Sonnenlicht meidet oder beim Herumlaufen ständig eine Sonnenbrille trägt und allmählich immer niedergeschlagener wird, bis er schließlich bei der klinischen Depression angekommen ist. Er hat damit das set und setting der Depression erzeugt.
Auf der anderen Seite erschaffen jene, die mit einem geliebten Sexualpartner die göttliche Einheit erreichen, tendenziell ihre eigenen selbsterfüllenden Prophezeiungen und der gewöhnliche Effekt ist, dass alle Dinge so wunderschön wie Vidals nackte Lady werden, als er in ihr Gott erblickte. Diese Transmutation der Erfahrung wird technisch „die Vervielfachung erster Ordnung“ genannt und viele Alchemisten sprachen von ihr in origineller Weise als „das Gold“, das im Gegensatz zu gewöhnlichem Gold niemals verbraucht oder ausgegeben werden kann, da man umso mehr davon findet oder schon besitzt, desto mehr man anderen davon gibt.
Alle Religionen predigen Barmherzigkeit und Vergebung, doch solche Tugenden sind sehr schwer zu praktizieren, wenn man von Hurensöhnen umgeben ist. Wenn das alchemistische „Gold“ gefunden wurde und sich das Bewusstsein verändert, wird man von Göttern und Göttinnen umgeben sein. Und je mehr man von diesem „Gold“ fortgibt, desto mehr kommt davon von einer zunehmend göttlichen Mutter Adler zurück zu einem. Ziemlich einfach, denn es ist nur ein kleiner und meist unvermeidbarer Schritt vom Tantra zum Pantheismus. Es ist kein Zufall, dass William Blake, der, wie Shabistari, „die Unendlichkeit in einem Sandkorn“ erblickte, auch die feurigste Anklage gegen den puritanischen und asketischen Hass auf Eros schrieb:
Children of a future age
Reading this indignant page
Know that in a former time
Love, sweet love, was thought a crime.
Kinder aus noch fernen Zeiten,
lest ihr diese zornigen Seiten,
wisst, dass noch in früheren Tagen
süße Liebe ward gedacht als Untat.
Sexuelle Alchemie
ist erschienen in Email ans Universum … und andere Bewusstseinsveränderungen (2011) von Robert Anton Wilson, im Original „Sexual Alchemy“ in Email to the Universe: and other alterations of consciousness (2005)
Vielen Dank an den Phänomen Verlag für die Nutzungsgenehmigung.