Marilyns Input-System

Bei Anbruch der Nacht war Marilyn des öfteren im Odeon anzutreffen, einem dieser Cafés der abgehobenen Welt, deren genaue Funktion man nicht ausspricht, ja, bisher nicht einmal genau untersucht wurde. Albert Einstein, James Joyce, Marysia Harcourt-Smith, John Schewel, Richard Helms, W.I. Lenin, Rosemary Woodruff, C.G. Jung, Leo Trotzki, Nena von Schlebrugge, Allen Dulles, Liz Elliot, Alexander Solschenizyn, Hermann Hesse, sie alle tranken ihren Kaffee an diesen Marmortischen und verhandelten über ihre Antworten auf Spionageprobleme.

Es war eine milde Nacht in Zürich und Marilyn traf wie gewöhnlich erst reichlich spät ein. Wenn SiEr irgendwo um acht zum Dinner erwartet wurde, zog SiEr es vor, eine Stunde oder noch länger in der Badewanne zu liegen. Es konnte acht Uhr werden und später. SiEr planschte immer noch in der gemütlichen Wanne, goss sich Parfüm ins Wasser und füllte das Bad immer wieder mit frischem, heißem H₂O nach.

Marilyn wusste, was SiEr tat. SiEr spielte die kleine Norma Jean. Als Kind war SiEr gezwungen, in Wasser zu baden, auf dem schon sechs bis acht Leute aus der Publicity­abteilung des Studios ihren Schmutzfilm hinterlassen hatten.

Als SiEr ins überfüllte Restaurant ge­rauscht kam, steuerte der Gastgeber sie auf seinen Ehrengast zu. „Marilyn, dies ist Ri­chard Helms.“

Marilyn war ziemlich überrascht. SiEr hat­te einen reservierten sportlichen Gentleman mit italienischem Einschlag erwartet, mit ei­nem grauen Anzug, einer grauen Krawatte und einem Anflug von Grau im Haar. Statt­dessen durfte SiEr nun einem lauten, auf­dringlichen Knaben ins Gesicht lachen, des­sen Haltung und ganzes Benehmen sich wie WOLF buchstabierten!

Helms sagte: „Na, wie läuft’s denn so, Mozzarella?“ und starrte ungeniert auf ihren osso bucco. (Der lateinische Ursprung des Wortes OSS bedeutet Knochen). Daraufhin wurde SiEr ganz plötzlich still. Sie saßen also da beieinander. Die einzige Kommunikation, die ablief, wurde von Helms‘ neugieriger Hand unterhalb des Tischtuchs besorgt.

Dann fiel Marilyn etwas Merkwürdiges auf. Die anderen Männer am Tisch, ein buntgemischter Verein von Code-Dieben und Wellenreitern, legten sich nicht für sie ins Zeug, oder erzählten ihre Geschichtchen für sie, nein, es war Mr. Helms, dem sie den Hof machten! Das war nun wirklich was Neues! Keine Frau hatte sie jemals so deutlich in den Schatten gestellt. Und sowas nennt sich nun Intelligenzagentur! dachte SiEr.

Dann kam endlich der grosse Augenblick. Mr. Helms lehnte sich zu ihr rüber und lächelte das berühmte, schiefe, dünnlippige Allen Dulles-Lächeln. „Sag mal, kleine Mozzarella, wie steigerst du deinen Input?“

„Den Input zu steigern“, antwortete Marilyn sanft, „das bedeutet nicht, dass man eine Menge Bücher lesen muss. Mir fällt auf, Mr. Helms, dass ihr CIA-Agenten nicht gerade viel Zeit in Bibliotheken zubringt. Bücher verkaufen altbekannte Tatsachen, die mit den Begriffen von Landkarten einer alten Realität erklärt werden. Nur wenige Bücher, die vor 1976 geschrieben wurden, befleissi­gen sich der nachirdischen, genetischen un Sichtweise. Ob Sie’s glauben oder nicht, Sir, zu dieser Zeit wusste kein Mensch etwas über Genpools und Planetenumdrehung.

Ich rate Ihnen, Mr. Helms, infiltrieren Sie die Zukunft. Suchen Sie die neurogeneti­schen Zentren, wo das zukünftige Geschehen abläuft. Dort werden Sie die Intelligenzagenten finden, die Kastenlosen.“

„Wie sollen wir die Zukunft finden?“ fragte Helms abwesend. Er fragte sich tat­sächlich, ob Marilyns Brüste auf parthenoge­netische Form der sexuellen Reproduktion hindeuteten.

„Also“, ließ sich Marilyn hören, befeuch­tete ihre vollen Lippen und lächelte, „CIA-­Agenten machen andauernd den Fehler, ihr Augenmerk auf die heutigen Inhaber der Macht zu richten, die doch bereits von den Prä-Dom-Spezies überholt sind. Im langsam vorwärtsschreitenden vortechnologischen Zeitalter mag das eine ganz passable Strategie gewesen sein. Wir Evolutionsagenten haben immer die Prä-Dom-Spezies im Auge. Die Stufen, die erst noch kommen werden. Be­denken Sie, dass sich Aristoteles mit dem jungen Alexander von Mazedonien traf und nicht mit dem Herrscher Philipp.

Gesellschaft gibt es, larvale Trainingszen­tren, wohin die erfolgreichsten Genpools ih­re intelligentesten Larvalen schicken. Die Zukunft eines jeden Genpools ist vorentwor­fen in den Minds seiner überlegenen Jugend­lichen. Teenagergehirne sind die Brutstätten der Zukunftsrealitäten.

In östlichen Ländern werden Sie Universi­tätsstudenten antreffen, die gelehrig sind und einen insektenhaften Gehorsam an sich haben. Raten Sie mal, was diese Verehrung des Bienenstocks für die Zukunft von China voraussagt.

In den mittelhirnigen semitischen Län­dern finden Sie Studenten, die gewalt­tätig und nationalistisch eingestellt sind und einem fanatischen Patriotismus hul­digen.

In den französischen Eliteakademien tref­fen Sie auf ernsthafte Technokraten. Mon dieu, Mr. Helms, denken Sie mal, was das für die Zukunft Frankreichs bedeutet. Tant pis.

An den großhirnigen Universitäten des Sonnengürtels finden Sie die Jungen der Prä-Dom-Spezies, die besessen sind von dis­ziplinierter selbstverwirklichter hedonisti­scher Freiheit.

Ich rate Ihnen also, Mr. Helms, machen Sie Ihre Kreuzehen für die Collegevor­trags-Runde am Sonnengürtel der guten al­ten USA. Dort werden Sie erfahren, was bald geschehen wird. Und vielleicht, mag sein, dass Sie die ausschlüpfende Zukunft ein ganz klein wenig beeinflussen können.“

Marilyns Input-System
von Robert Anton Wilson ist im Buch Die Intelligenz-Agenten (1982) von Timothy Leary, im Original „Marilyn’s Input System“ in The Intelligence Agents (1979) erschienen

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