Ein Bier mit Doris Lessing

Illuminatus!  trifft Shikasta

Doris Lessing lebt in einem ruhigen Londoner Vorort und arbeitet in einem Zimmer ganz oben in ihrem Haus. Sie hat eine herrliche Aussicht über Parkanlagen und offene Felder bis hin zur Londoner Innenstadt mit ihren historischen Wahrzeichen. Die einzigen Bilder, die ich von ihr gesehen hatte, waren Nahaufnahmen, die ein starkes, breites Gesicht mit hohen Backenknochen zeigten. Ich erwartete, eine hünenhafte Frau anzutreffen. Zu meiner großen Überraschung ist Frau Lessing klein, schlank und ungewöhnlich geduldig und entgegenkommend. Sie lächelt häufig, und ihre härtesten Urteile werden mit traurigem Humor abgegeben, nicht mit der Bitterkeit, die in manchen ihrer Romane zutage tritt. Als ich eintraf, war sie dabei, die Morgenpost zu sortieren, und hatte offenbar einen Geburtstagsgruß empfangen, denn sie eröffnete das Gespräch mit der Bemerkung, sie würde in ein paar Tagen 64. „Ich fühle mich nicht wie 64″, sagte sie.

Nachdem wir uns etwa eine Stunde unterhalten hatten, fragte sie mich, ob ich ein Bier wolle. Als ich die Flasche leer getrunken hatte, holte sie noch eine. Ich hatte oft das Gefühl, als unterhalte ich mich mit einem Sozialwissenschaftler oder einem Biologen und nicht mit einer Romanautorin. Sie scheint sich ständig zu fragen, warum die Menschen tun, was sie tun. Sie sucht nach Antworten der Art, wie sie ein Wissenschaftler suchen würde.


Robert Anton Wilson: Manche Leute meinen, Sie hätten als realistische Autorin angefangen und sich nach und nach der Fantasy zugewandt. Sind Sie damit einverstanden, oder meinen Sie, dies sei eine Vereinfachung?
Doris Lessing: Es ist sogar eine sehr große Vereinfachung, denn es ist Unsinn zu behaupten, ein Schriftsteller sei realistisch und der andere fantastisch. Alle haben sie sich zum Teil mit Fantasy abgegeben, und in allen Büchern werden Sie etwas von diesem Element finden, das wir locker mit „Fantasy“ umschreiben. Das bitte in Anführungszeichen. Es ist schwer, Bücher zu finden, in denen dieses Element, die sogenannte Fantasy, nicht vorkommt. Bei allen großen Realisten – Balzac zum Beispiel – taucht es auf. Ich benutze das Wort eigentlich auch nur, weil ich kein besseres weiß. Ob Sie es nun Fantasy, Weltraum-Literatur, Science Fiction oder was auch immer nennen, es ist immer schon Teil der Literatur gewesen, sogar zu den Zeiten, als der Realismus am stärksten war. Die Leute sollten sich von solchen Bezeichnungen nicht irreführen lassen.

Robert Anton Wilson: Warum schließen Sie es in ihren Werken ein? Glauben Sie, es sei mehr dran am Leben, als der gewöhnliche, konventionelle Roman vermitteln kann?
Doris Lessing: Gewiss. Ich meine, ich hätte dies in den Romanen selbst klargestellt.

Robert Anton Wilson: In der Einführung zu den Sirianischen Versuchen sagen Sie, dass Sie nicht wörtlich an die wunderbare Kosmologie glauben, die Sie in Ihren Büchern geschaffen haben. Doch dann fahren Sie fort mit der Andeutung, dass Sie sich manchmal fragen, ob ein Teil davon nicht doch wahr sein könnte. Was meinen Sie heute morgen? Wieviel davon könnte stimmen?
Doris Lessing: Nun, ich glaube nicht, dass Raumschiffe auf unserer Erde landen und kleine grüne Männchen heraussteigen, die dann mit unseren Damen und Herren Geschlechtsverkehr pflegen, wie in der UFO-Literatur behauptet wird. Aber ich sehe keinen Grund dafür, warum Menschen anderer Subzivilisationen der Galaxis nicht hier gewesen sein sollten. Unsere gegenwärtige Technologie hat einen Stand erreicht, den wir uns vor hundert Jahren nicht hätten vorstellen können, also wissen wir nicht, was für Technologien andere Zivilisationen im All haben könnten. Aber darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf. Es ist eine interessante Hypothese, nicht mehr. Ich frage mich nur: Wenn sie hier waren, was für Eigenschaften hatten sie? Sich diese Frage zu stellen und sich Gedanken darüber zu machen ist in unserem Jahrhundert doch etwas ganz Gewöhnliches, oder nicht?

Robert Anton Wilson: Es ist auch zu einer neuen Religion geworden, an die manche Menschen schon fest glauben.
Doris Lessing: Sehen Sie, ich mag Religionen überhaupt nicht. Ich misstraue ihnen, denn sobald man einer Religion beitritt, muss man Priester akzeptieren, die behaupten, ein Monopol auf Wahrheit zu besitzen. Dies passiert ausnahmslos in allen Religionen, jene politischen Religionen inbegriffen, die man heute Ideologien nennt. Jetzt geschieht es mit UFOs, weil neue Religionen zur Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen. Es ist traurig: Wenn Sie einmal einer angehören, verschwindet Ihre Skepsis, und Sie verlieren jede kritische Vernunft. Mich interessieren die Gesetze, die über diesen geistigen Prozess herrschen: Warum sind wir Menschen so? Wie ist unser Bewusstsein beschaffen, dass es uns dazu bringt, Gedankengebäude zu errichten, die dann zu Gefängnissen werden? Das ist praktisch die ganze Geschichte der menschlichen Rasse: Das Bewusstsein schafft Strukturen, die es dann zu Gefängnissen werden lässt.

Robert Anton Wilson: Manche Leute entwickeln eine Art Religion aus Ihren Canopus-Sirius-Romanen …
Doris Lessing: Ich weiß, und das macht mir Angst. Manche Leute nehmen alles wörtlich. Meine Bücher werfen Fragen auf. Ich möchte gerne glauben, dass sie den Leser dazu führen, sich ebenfalls Fragen zu stellen. Doch können manche Leute mit Fragen nichts anfangen – sie wollen Antworten, und das gilt heutzutage ganz besonders. Die Leute suchen überall nach Antworten, bei den absurdesten Sekten – sogar in der Politik!

Robert Anton Wilson: Sie sind nun seit vielen Jahren Schülerin von Idries Shah, und doch sagen Sie, Sie misstrauen Religionen …
Doris Lessing: So, wie manche Lexika und einige falsche Sufi-Sekten den Sufismus definieren, könnte man tatsächlich glauben, der Sufismus sei ein Aspekt des Islam. Doch hat er nicht unbedingt mit einer bestimmten Religion zu tun. Liest man die Geschichte des Sufismus, ist es offensichtlich, dass die großen Sufi-Lehrer nicht einer einzigen Religion angehörten. Sie hatten Anhänger aller Religionen. Alles, was ich in den letzten zwanzig Jahren von Idries Shah gelernt habe, hat mich dem Skeptizismus näher gebracht. Ich habe sehr wenig gemeinsam mit den Anhängern der meisten Sekten, denen ich begegnet bin. Alle sind sie aufs leidenschaftlichste für einen Mann oder ein Ritual, und sie müssen an eine strenge Struktur glauben. Was ich studiere, hat keine Struktur.

Robert Anton Wilson: In einem Artikel in der Zeitschrift Asia schrieben Sie, Shah habe Sie zunächst sehr viel soziologische und anthropologische lesen lassen. Ist das typisch für seine Methode?
Doris Lessing: Es wäre sehr irreführend, wollte ich über meine Erfahrungen mit ihm sprechen. Die Leute könnten dann denken, es würde ihnen so gehen wie mir, wenn sie zu Shah gingen. Und das stimmt nicht. Er würde es bei jedem anders machen.

Robert Anton Wilson: Thematisch gleichen sich Ihre Canopus-Sirius-Romane und Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel von Gurdjieff, der ja auch ein Sufi gewesen zu sein scheint. Waren Sie von ihm beeinflusst?
Doris Lessing: Überhaupt nicht. Ich habe Gurdjieff gelesen, doch mache ich mir nicht viel aus ihm. Ich bin einigen seiner früheren Schüler begegnet, und sie sind kein Empfehlung für Herrn Gurdjieff. Er schuf eine Gruppe von Leuten, die nur innerhalb von autoritären Strukturen funktionieren können. Leute, die Befehle brauchen und unglaublich dogmatisch sind. Gurdjieff war offensichtlich ein außerordentlicher Mensch, doch muss etwas an ihm nicht gestimmt haben, dass er so etwas ausgelöst hat. Außerdem hat Gurdjieffs Arbeit einen Geruch, den ich erkenne – eine Art Gier, einen Sensationalismus. Wenn ich das bemerke, sage ich mir: Nein danke, das ist nichts für dich. Bei Idries Shah finde ich nichts von alledem: keine Sensationslust, keinen mysteriösen Ritus, nichts von dem, was Shah Schauergeschichten, Tratsch und Mätzchen nennt.

Robert Anton Wilson: Was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie aus Ihrem 20jährigem Studium des Sufismus gewonnen haben?
Doris Lessing: Die menschliche Gemeinschaft entwickelt sich weiter, wir alle entwickeln uns im Raupenstadium. Das fehlende Glied sind wir! Den Schülern des Sufismus wird nicht versprochen, sie seien dazu auserwählt, gerettet zu werden, sondern bloß gelehrt: Wenn man lernt, sich nach dem Trieb der Evolution auszurichten, kann man zum wirklichen Fortschritt der Menscheit beitragen.

Robert Anton Wilson: Warum haben Sie denn Sirius und Canopus als Heimat der Boten in Ihrer eigenen Kosmologie eingesetzt?
Doris Lessing: Auf Außerirdische, die Kommentare über menschliche Wesen abgeben, kam ich zuerst durch die heiligen Schriften. Alle beschreiben sie Propheten oder Boten, doch wenn man sich in ihr Denken zu versetzen sucht und sich fragt, was sie bei uns sahen, gefiel ihnen offenbar davon nur wenig. Das Alte und das Neue Testament, der Koran – alle wurden sie aus einer Sicht geschrieben, die ziemlich hart über die Menschheit urteilt. Ich frage mich: Was sahen diese Propheten auf unserem Planeten? Für Sirius begann ich mich zu interessieren, als ich über einen Stamm in Nordafrika gelesen hatte, die Dogon, die nach eigener Überlieferung einst mit Wesen vom Sirius Kontakt hatten. Dann sah ich, dass Sirius und Canopus in der assyrischen und ägyptischen Mythologie verbunden waren – ebenso wie in vielen anderen Mythologien. Ich bediene mich vorzugsweise alter Symbole, anstatt meine eigenen zu erfinden. Ich dachte mir, was den Ägyptern und Syrern recht war, sollte mir billig sein. Doch gibt es Leute – Gesellschaften und Kulte – die buchstäblich glauben, von Sirius kontaktiert worden zu sein. Meine Einstellung demgegenüber ist und bleibt: na und? wird das mein Leben veränder? Nehme ich jetzt Befehle von einem zwei Meter großen Mann in schwarzem Gummianzug mit grünen Augen entgegen, oder was? Ich lehne das ab. Leute, die Befehle entgegennehmen, werden vereinnahmt.

Robert Anton Wilson: In Ihrem Frühwerk Martha Quest beschreiben sie ein heranwachsendes Mädchen, das eine Art mystisches Erlebnis hat: Einswerdung mir der Natur und …
Doris Lessing: Das ist in der Pubertät üblich. Ich meine, man sollte dem nicht mehr Bedeutung beimessen als allem anderen in Martha Quest. Um noch einmal Shah zu zitieren: Wir sollten solche Schauergeschichten nicht überbewerten. Shah sagt, dass der Mensch, weil er von etwas abgeschnitten ist – von X oder Gott oder was immer – ständig danach Sehnsucht hat und den schwachen und ungenauen Erscheinungsformen davon viel zuviel Wert beimisst. Dies ist auch der Grund, warum ich mich zum Beispiel nicht länger für außerirdische Wahrnehmung interessiere oder für das was die Hindus Siddhis nennen, okkulte Fähigkeiten. Sie sind eine Ablenkung und unwichtig. Doch ich kann gut verstehen warum andere Leute sich für solche Phänomene interessieren: als ein Zeichen dafür, dass dieses Leben nicht alles ist, was es gibt. Abgesehen davon sind okkulte Fähigkeiten irrelevant.

Robert Anton Wilson: Was ist relevant?
Doris Lessing: Das ist die Art Frage, die mich völlig umwirft. Was meinen Sie denn damit?

Robert Anton Wilson: Nun, wenn Sie sagen, A sei irrelevant, dann folgt daraus, dass etwas anderes, B, relevant ist. Was ist B in Ihrem Fall? Die Vereinigung mit Gott, die Verbesserung des Planeten oder was?
Doris Lessing: Muss es ein Entweder-Oder geben? Es hängt vom Einzelnen ab. Die Frage im Allgemeinen stört mich, denn sie lässt darauf schließen, dass ich eine allgemeingültige Regel aufstellen will. Das tue ich nicht. Wenn Menschen zu einer bestimmten Zeit ihres Lebens mit außersinnlicher Wahrnehmung experimentieren müssen, in Ordnung. Das stimmt dann schon für sie. Und wenn sich andere Leute auf der Stufe befinden, wo sie die Welt ändern müssen, dann viel Glück. Ich stelle keine Gesetze auf.

Robert Anton Wilson: Sie sind ein Skeptiker …
Doris Lessing: Ich mag Religionen nicht, doch sollte man sie nicht mit Gott gleichsetzen. Religionen sind allesamt menschliche Erfindungen. Gott hat sie nicht eingeführt. Im Koran steht nichts, was die Mullhas und diese anderen fürchterlichen religiösen Fanatiker rechtfertigen würde, die der Islam hervorgebracht hat. Und das Neue Testament weiß nichts von Päpsten und Priestern. Die christliche Kirche wurde später erfunden. Warum sollte man Gott für die Erfindungen der Menschen verantwortlich machen? Ich frage mich oft, wie der Kommunismus der Zukunft aussehen wird. Das Bemerkenswerte am Kommunismus ist, dass er von einer äußeren idealistischen Utopie ausging. Was daraus geworden ist, wissen wir, also lassen wir das. Doch wenn wir uns anschauen, wie er sich auf der ganzen Welt in eine Diktatur nach der anderen verwandelt hat, muss man sich schon fragen, was als nächstes passiert. Wir wissen, dass Diktaturen mit der Zeit milder werden, oder sie zerfallen und verschwinden. In hundert Jahren wird der Kommunismus wahrscheinlich einer Religion gleichen. Hohepriester hat er ja schon. Ich habe neulich mit einem jungen marxistischen Freund von mir diskutiert und bat ihn, den heutigen Marxismus zu beschreiben. Mein Freund gab zehn Minuten lang einen Überblick, und ich sagte im Spaß, er würde sich genauso wie ein Christ anhören, der bedauert, dass das Christentum nie in die Praxis umgesetzt worden ist. Er meinte todernst, der Marxismus sei tatsächlich nie in die Praxis umgesetzt worden. Das bedeutet, dass er bereits zu einer Religion geworden ist, etwas, was nie in die Praxis umgesetzt wird, etwas da oben, ein Gedankengebäude.

Robert Anton Wilson: Als sie jung waren und alle Marxisten entweder für oder gegen Stalin, auf welcher Seite standen Sie?
Doris Lessing: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Wo ich aufwuchs, in Afrika, gab es keine richtige marxistische Bewegung. Wir – die Gruppe, mit der ich zusammen war – erfanden unsere eigene kommunistische Partei. Kein Kommunist hätte sie ernst genommen. Sie war äußerst idealistisch. Wir waren Stalinisten, doch weil wir in Afrika und nicht in Europa waren, unterhielten wir freundschaftliche Beziehungen zu den Trotzkisten. Wir wussten nicht, dass wir sie hätten hassen sollen. Ich weiß, das klingt unglaublich, doch lebten wir in einer kleinen Stadt, und unsere Gutwilligkeit setzte sich durch. Erst als ich nach England kam, lernte ich, dass alle marxistischen Sekten einander hassen müssen.

Robert Anton Wilson: Bei ihrer Allergie gegen dogmatisches Gruppendenken legen Sie sich ja auch mit den Feministen an. Trotzdem wurde Ihr Goldenes Notizbuch für manche Feministen schon fast so etwas wie eine Bibel …
Doris Lessing: Ich meine, die Bewegung der sechziger Jahre hat eine große Chance vertan. Alles wurde verkehrt gemacht, doch ich nehme an, dass das unvermeidlich war. In jedem Land, das ich besuche, begegne ich unweigerlich der Frauenbewegung, und das Interessante daran ist, dass es überall dasselbe Entwicklungsmuster gibt. Sie treffen sich, sie entwickeln sich gemeinsam und laufen dann auseinander. Kürzlich war ich in Spanien, wo die Frauenbewegung noch so ziemlich in ihren Anfängen steckt, und es ist dasselbe wie überall. Hauptsächlich kritisiere ich an den Frauenbewegungen in jedem Land, dass sie freiwillig das tun, wozu die Männer sie in der Vergangenheit immer gedrängt haben: „Geh nur, meine Liebe, geh zu deinen Frauenkränzchen, haltet eure Schwätzchen, aber stört uns nicht.“ Das haben sie freiwillig getan, die Frauen der Bewegung! Ich meine, das war ein tragischer Fehler. Die Männer hätten von Anfang an Teil der Bewegung sein müssen. Sage ich das irgendeiner Feministin, wird sie erwidern: „Unmöglich, wir können mit Männern nicht arbeiten.“ Geschichtliche Tatsache aber ist, dass viele Männer den Feminismus unterstützt haben, vor allem, als Suffragetten für das Frauenstimmrecht kämpften. Ich meine, die Bewegung hätte eine von Männern und Frauen sein sollen, und ich sehe keinen Grund dafür, warum das nicht sein konnte, denn Männer sind trotz allem ebenso vernünftig wie die Frauen. Freilich kann man das einer Feministin nicht erzählen: aber warum nicht? Hätten wir es getan, wären die Dinge anders gelaufen. Wenn Frauen irgendeinen armen Kerl wild attackieren, als wäre er der Verbrecher, der die ganze Misere erfunden hat, so ist das dumm und geht an den historischen Tatsachen vorbei. In Spanien traf ich eine sehr brillante nationale Frauenkämpferin, und ich fragte sie: „Warum geben Sie sich dieses komische Image, warum diese Trennung von der Allgemeinheit, dieses Sich-ins-Abseits-Stellen?“ Ihre Antwort war: „Wir können nicht mit den Männern zusammenarbeiten, weil sie uns ständig erniedrigen.“ Im Klartext heißt das: Ihnen ist ein bequemeres Arrangement innerhalb ihrer Frauengruppen lieber, wo alle miteinander einverstanden sind. Ich habe es schon in Die Ehen zwischen Zonen Drei, Vier und Fünf gesagt: Frauen unter sich werden meist ziemlich kindisch. Ohne Männer lassen sie sich gehen und werden weich, sich selbst und anderen gegenüber, und es endet in einem großen Fest der Gefühle. Und sie tun nichts, bringen nichts fertig. Ich will nicht behaupten, solche Gruppen erfüllten keinen Zweck; Frauen, die allein sind und isoliert, erfahren dort viel Unterstützung und Ermutigung. Doch sie verändern nichts, und das kritisiere ich. Es scheint die Stimmung von 1968 nicht mehr zu geben, und wahrscheinlich ist es jetzt sowieso zu spät, doch es hätte zu einer ziemlich mächtigen Bewegung von Frauen und Männern kommen können und nicht nur zu diesen Kränzchen.

Robert Anton Wilson: Sie haben in Ihren neueren Romanen einen sehr überzeugenden Teufel geschaffen in Form des Planeten Shimmat, dessen Bewohner eine Bande von Raumpiraten und eine Energievampire darstellen. Shimmat erscheint sehr realistisch – und beängstigend.
Doris Lessing: Ich brauchte eine böse Macht in dieser Romanserie, weil ich mir die Aufgabe gestellt hatte, eine Bibel im Science-Fiction-Stil zu schreiben. In allen großen Kämpfen der Kosmologien – und es kommt immer zu einem Kampf – steht das Gute gegen das Böse. Es handelt sich immer um eine Art Ignoranz.

Robert Anton Wilson: Shimmat saugt Energie auf und lässt die Menschen vergessen; genau gesagt: er schläfert sie ein. Demnach ist Shimmat das Böse im westlichen Sinn, doch wirkt es sich so aus wie Maya, die Illusion in der östlichen Philosophie.
Doris Lessing: Ich glaube, dass wir beim Schreiben aus verschiedenen Schichten des Bewusstseins schöpfen. In Die Ehen zwischen Zonen Drei, Vier und Fünf meine ich aus einer tieferen Schicht heraus geschrieben zu haben, als ich sie anderswo erreicht habe. Das war die mythische Schicht, und ich halte dieses Buch für eines meiner besten. Man weiß einfach, ob man eine Verbindung zu etwas ursprünglichem geschaffen hat – und doch war ich sehr wütend, als ich es schrieb. Ich schrieb Teile dieses Buchs in einem Zustand reinster, lodernder Rage, und ich habe das Gefühl, etwas angezapft zu haben, das nicht unbedingt gut ist.

Robert Anton Wilson: Mir kam es so vor wie das letzte Buch von Gullivers Reisen, wo man sich dauernd fragt, ob Swift die Menschen wirklich so hasste oder ob es sich dabei nur um Satire in extremis handelt. Ich frage mich dauernd: Meint Doris Lessing das nun wirklich, oder ist es nur eine Art literarischer Schockversuch, um uns zu wecken?
Doris Lessing: Mir war es Ernst, als ich es schrieb. Ich hatte mir gerade das Knie gebrochen, und ich bin ein sehr aktiver Mensch. Ich war total eingesperrt in einem Zimmer. Der Gips sollte sechs Wochen dranbleiben, und ich konnte mich nicht bewegen. Es hörte und hörte nicht mehr auf. Die sechs Wochen waren schon längst vorüber, es schneite, ich konnte nicht auf die Straße, und ich geriet in einen Zustand frustrierter Wut auf alles, was in der Welt vor sich ging. Der reine Wahnsinn der Nachrichten. Wer kann sich allein darüber nicht manchmal totärgern? Was geschieht, ist einfach zu dumm. Man hält es nicht für möglich.

Robert Anton Wilson: Sie haben große Angst vor der Macht der Intoleranz und des Dogmas über den menschlichen Geist, besonders in Massenbewegungen. Und doch sieht man Sie, ob Sie es wollen oder nicht, als Befürworterin des Wassermann-Zeitalters, des New Age, des Zusammentreffens von östlicher und westlicher Philosophie. Viel von dieser Energie fließt in diese Art von dogmatischem Gruppendenken oder Kulten ein, die Sie so sehr verachten. Wie können Sie vermeiden, dass Ihre Werke für solche Menschen zu geistigen Gefängnissen werden?
Doris Lessing: Es lässt sich nicht vermeiden. Meine Bücher sind jedoch alle so verschieden, dass es etwas schwierig wäre, daraus ein zusammenhängendes System zu machen. In Shikasta habe ich versucht, die Kosmologie des Alten Testaments als Handlungsrahmen einzusetzen. Damit wollte ich aufzeigen, wie wir für Boten von anderswo aussehen. Wie sieht die Menschheit aus? Wie könnten wir aussehen? Das Buch Die Ehen zwischen Zonen Drei, Vier und Fünf ist ein Mythos und wurde deshalb in einer völlig anderen Stimmlage geschrieben, in einem anderen Stil. Die sirianischen Versuche hatten wieder einen anderen Handlungsrahmen. Sie warfen in planetaren Ausdrücken Fragen über diverse gesellschaftliche Probleme auf. Es ging mir dabei hauptsächlich um Überbevölkerung, weil wir heute die Mittel haben, diese zu regulieren. Nehmen wir einmal an, Sie wären der gute (selbstverständlich ein guter) Diktator über den ganzen Planeten: Nach welchen Maßstäben würden Sie entscheiden, wie viele Menschen hier leben sollen? Werden sie alle einer privilegierten Gruppe angehören, oder wird es privilegierte und unterprivilegierte Klassen geben? Werden wir die größte Anzahl von Menschen für die vorhandenen Ressourcen haben oder möglichst wenige? Alle diese Fragen werden im 21.Jahrhundert auf uns zukommen. Und ich denke, dass wir uns als Gattung weiterentwickeln. Wir sind selbstkritisch wie keine andere Spezies. Wir sind nicht ahnungslos, wir sehen sogar, was wir falsch machen. Und wir möchten anders sein. Als Ganzes strebt unsere Gattung nach etwas Besserem. Wir mögen nicht, was wir sind, und dies ist ein sehr mächtiger Antrieb zum Wandel. Ich glaube, eine gute Beschreibung der Menschen wäre: Wir sind uns darüber einig – die meisten von uns, auf der ganzen Welt -, was wir wollen. Doch wir sind absolut unfähig, dafür etwas zu unternehmen. Wir haben einfach keine Ahnung, wir machen alles verkehrt. Doch das kann sich natürlich ändern.

Robert Anton Wilson: Was kann diese Änderung herbeiführen?
Doris Lessing: Der erste Schritt wäre, uns selbst weniger glorreich einzuschätzen. Jedes Land pflegt seine Bewohner übertrieben schmeichelhaft zu sehen. Im Westen sind wir demokratisch und individualistisch, wir wählen nach intellektuellen Gesichtspunkten und lieben die Gerechtigkeit. Aber in Wirklichkeit sind wir gar nicht so. Wir sind unendlich leicht form- und indoktrinierbar. Wir rennen Führern nach, um Befehle zu erhalten, statt selbst zu entscheiden. Wenn wir uns präzise einschätzen könnten, wäre eine Änderung vielleicht möglich. Doch wir werden uns nie ändern, solange wir uns einbilden: Ich bin ein großartiges Individuum und niemandem Rechenschaft schuldig für meine Ansichten. Ich bete keine Führer an und folge keinen Massenbewegungen. Diese Einbildung macht uns zu aussichtslosen Fällen.

Robert Anton Wilson: Dazu sage ich Amen. Ehe wir schließen, möchte ich Sie noch etwas zum Thema Zufälle und Synchronizität fragen. Ihre Bücher zeigen, dass Sie großes Interesse an diesem Gebiet haben. Vom jungschen Psychologen bis zum Quantenphysiker, alle interessieren sich für Zufälle. Wie kam es, dass Sie sich mit diesem Thema befassten?
Doris Lessing: Es sind nicht einzelne Zufälle, die mich interessieren, sondern Strukturen, Dinge, die sich in eine bestimmte Richtung entwickeln, Zufälle auf einem bestimmtem Gebiet oder zwischen Gebieten, Menschen, die miteinander verbunden sind und sich plötzlich begegnen. Ich folge solchen Mustern gerne und gebe mich ihnen hin. Ich sage mir: Mal sehen, was passiert, wenn … Ich denke, das menschliche Tier ist eine Einheit, wir sind ein Organismus. Wir haben ein gemeinsames Bewusstsein, das wir teilen.

Robert Anton Wilson: Dazu kann ich sagen, dass ich anfing, über Sirius zu schreiben, ohne Ihre neueren Bücher gelesen zu haben. Ebenso ging es Philip K. Dick, dem amerikanischen Science-Fiction-Autor. Er hat, wie ich auch, Spekulationen darüber veröffentlicht, ob nicht manche von uns tatsächlich Signale von Sirius empfangen. Dann schrieb Robert K. G. Temple Das Sirius-Rätsel, wo er die These vertritt, dass eine buchstäbliche physische Verbindung zu Sirius existiert. Ich bin da auch skeptisch, aber ich habe das Gefühl, dass diese Zufälle etwas bedeuten müssen.
Doris Lessing: So was passiert dauernd. Ich bin da nicht dogmatisch, aber ich denke, dass diese Ideen wahrscheinlich da herumschweben, wo Jungianer das kollektive Unbewusste vermuten. Die Muster sind da. Zusammen mit einem Freund schrieb ich einst ein musikalisches Theaterstück und sandte es meinem Agenten. Mit derselben Post erhielt er ein weiteres musikalisches Stück, das genau von demselben Thema handelte. Er war ziemlich aufgebracht. In Erinnerungen einer Überlebenden erfand ich ein Tier, das halb Katze, halb Hund war. Ich dachte, das sei genetisch unmöglich, doch dann las ich einen Bericht über Wissenschaftler in Kalifornien, die eine solche Kreuzung züchten wollten. Als ich Anweisungen für einen Abstieg zur Hölle schrieb, erwarb ich zufällig einen Kristall. Plötzlich tauchten überall Kristalle auf. Ich bin soweit, dass ich bei der Arbeit an einem Buch mit einer ziemlich ausgefallenen Idee beinahe schon erwarte, in der folgenden Woche darüber in der Zeitung zu lesen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir über ein gemeinsames Bewusstsein verfügen, eine Gruppenseele, ein Gruppenetwas


Ein Bier mit Doris Lessing – Illuminatus! trifft Shikasta von Robert Anton Wilson ist im TransAtlantik Magazin im März 1984, im Original im New Age Journal im Jänner 1984 erschienen.

Share