Die letzten 4000 und die nächsten 40 Jahre: Menschliche Intelligenzsteigerung

In den nächsten 40 Jahren können wir mit mehr Veränderungen für das menschliche Leben rechnen, als in den ganzen letzten 4000 Jahren zu­sammen.

Das ist eine ziemlich exakte und über­haupt nicht utopische Voraussage und sie stützt sich auf einen wenig bekann­ten Faktor des menschlichen Lebens, den ich die I²-Funktion nennen will. I² steht für mehrere Phänomene gleich­zeitig – Intelligence Intensification (Intelligenzintensivierung) und Infor­mation Increase (Informationszu­wachs) zum Beispiel. I² kann auch Ego² heißen – das heißt, Mutation und Erweiterung unserer Selbstein­schätzung, da wir immer noch den gleichen technischen und sozialen Kräften unterworfen sind, die uns schon in den vergangen Jahrtausen­den beeinflusst und verändert haben.

Bevor wir uns mit der beschleunig­ten Metamorphose der nächsten 40 Jahre beschäftigen, wollen wir uns noch einmal vor Augen halten, wie sich die I²-Funktion stufenweise ent­faltete.

Kurz vor den französischen und amerikanischen Revolutionen von 1776 und 1788 kamen mehrere Philosophen gleichzeitig zum ersten Mal zum Schluss, dass Fortschritt keine Grenzen kennt, dass es im menschlichen Leben nichts gibt, was sich nicht verändert und in hohem Maße verbessert werden könnte. Der Mathematiker Condorcet vertrat diese Ansicht am vehementesten und wagte es sogar, von der unendlichen Vervoll­kommenbarkeit der Menschheit zu sprechen. Solche Ideen spielten für den Ausbruch der beiden erwähnten Revolutionen, wie auch für die mexi­kanische Revolution von 1810 und einen großen Teil des darauffolgenden Radikalismus eine entscheidende Rolle.

Natürlich waren Condorcet und an­dere Radikale des 18. Jahrhunderts ein bisschen zu optimistisch. Sie neigten durchwegs zu der Hoffnung, dass ein beständiger Fortschritt alle Probleme überwinden würde, sobald die Monar­chie durch eine Demokratie ersetzt und der Papst daran gehindert worden wäre, sich in die wissenschaftliche Forschung einzumischen. Aber so ein­fach war es nicht und ein Großteil des utopischen Gedankenguts des 19. Jahrhunderts – einschließlich Karl Marx, dessen leidenschaftliche Forderung nach Gerechtigkeit mit seinem intoleranten, autoritären Führungsstil gepaart die kommun­istische Bewegung ins Leben rief ­– gründete auf Versuchen, unmittel­baren Fortschritt zu produzieren, indem man dem Staat die Macht über­trug, sozusagen jedermann dazu zu zwingen, glücklich zu sein. Das hat sich nicht sonderlich bewährt.

In den 90er Jahren des 19. Jahr­hunderts traten zwei Brüder in die Öffentlichkeit, die zufällig Enkel eines amerikanischen Präsidenten und Ur­enkel eines anderen waren, nämlich Brooks und Henry Adams. Sie sahen die Gesetze des sozialen Wandels ein bisschen deutlicher. Ihre Erkenntnisse gipfelten in dem, was Henry Das Ge­setz Der Beschleunigung nannte. Dieses angebliche Gesetz, das aller­dings nicht ganz präzise formuliert war, stellt folgende Hypothese auf: Eine Veränderung ist nicht die Folge von Politik oder Revolutionen, die wiederum nur seine Symptome dar­stellen. Veränderung, so meinten die Brüder Adams, wird von den ökono­mischen und technologischen Faktoren innerhalb der Gesellschaft bestimmt. Und dann unterbreitete Henry Adams der Öffentlichkeit die kühne Theorie, dass ein solcher Wandel mit der Geschwindigkeit der reziproken Potenz von Zeit erfolgt.

Im einzelnen ging Henry von einem Intervall von 90.000 Jahren zwischen dem ersten Auftauchen des Homo erec­tus (damals ging es mit der Anthropo­logie gerade erst los) und der wissen­schaftlichen Revolution von Galileo, Bacon usw. um 1600 aus. Er nahm an, dass der nächste Sprung um circa 1900 mit der Quantentheorie, der Entdec­kung des Radiums, den Brüdern Wright usw. erfolgte. Nun ist 300 bekannt­lich die zweite Wurzel aus 90.000 und Henry Adams folgerte daraus, dass der nächste Sprung in 300 Jahren statt­finden musste – also in etwa 22½ Jahren oder im Juni 1922.

Die Brüder Adams meinten, dass Ver­änderung von ökonomischen und technologischen Faktoren innerhalb der Gesellschaft bestimmt wird. Die Dinge entwickeln (oder ent­wickelten) sich jedoch nicht ganz so schnell. Während Henry sich in wilden mathe­matischen Theorien verlor, stieß sein Bruder Brooks auf ein noch interessan­teres Phänomen. Er beobachtete, dass die Anhäufung von Kapital, also das Zentrum ökonomischer Macht der gan­zen Welt, sich mehrere tausend Jahre lang ständig weiter nach Westen ver­schoben hatte. Er beschrieb, wie es von Babylon nach Griechenland, nach Rom und von dort aus zu den italie­nischen Stadtstaaten der Renaissance, aufwärts, aber immer noch westwärts nach Deutschland und dann England wanderte und zur Zeit seines Schaffens zwischen London und New York schwebte. Er sagte voraus, dass es sich ganz nach New York verlagern würde, was dann auch tatsächlich so kam. (Schwenkt es momentan wegen der neu entstehenden arabischen Ölmächte etwa plötzlich wieder Richtung Osten zurück? Im Verlauf dieses Artikels werden wir unsere Zweifel an einer solchen Entwicklung begründen.)

1918 entwickelte der Militärstratege Major C.H. Douglas, der Brooks und Henry Adams offenbar nicht gelesen hatte, obgleich es ganz so aussah, ihre Gedanken noch einen Schritt weiter. Der entscheidende Faktor bei einem sozialen Wandel, so meinte Douglas, ist die Assoziationsvermehrung, die ein kulturelles Erbe schafft.

Assoziationsvermehrung heißt auf einen einfachen Nenner gebracht: je mehr Leute untereinander organisiert sind, um so mehr Arbeit kann geleistet werden, eine Sache, die Adam Smith schon 1776 erkannt hatte. Aber Doug­las begriff das Ganze dynamischer als Smith. Er vertrat die Ansicht, dass die Assoziationsvermehrung als Folge des kulturellen Erbes – also dem Weiter­geben von Wissen, Fertigkeiten, Ge­räten, Handwerken, Ideen usw. – von Generation zu Generation zunimmt.

Es leuchtet ein, dass eine Stammesge­sellschaft niemals den Parthenon hätte bauen können, selbst wenn ein genialer Architekt unter ihren Mitgliedern ge­wesen wäre. Weder die Assoziationsver­mehrung noch das kulturelle Erbe da­für waren da. Ebenso hätte ein Stadt­staat der Renaissance nicht mal mit Leonardo da Vinci an der Spitze Neil Armstrang auf den Mond bringen können. Von solchen Trajektorien aus­gehend, berechnete Douglas, dass die von Brooks Adams beobachtete Ver­schiebung des Kapitals der Bewegung von Ideen – und damit harter und weicher Technologie – folgte. Und da unser Ideenarchiv von Generation zu Generation wächst, beschleunigt sich tatsächlich auch der Wandel, wenn auch nicht ganz so, wie Henry Adams es mit seinem Gesetz von der rezi­proken Potenz beweisen wollte.

Douglas behauptete weiter, dass das Kapital selbst auch zunimmt. Das war für seine Zeitgenossen eine radikale Theorie, die sowohl von Sozialisten, wie auch Ökonomen der freien Markt­wirtschaft heftig angegriffen wurde. Heute wissen wir, dass Douglas recht hatte und Volkswirtschaftler aller Schulen sind sich darüber einig, dass das Kapital der Welt um etwa 2% im Jahr wächst; mit anderen Worten: das gesamte Weltkapital verdoppelt sich ungefähr alle 25 Jahre einmal.

Einige Jahre später, 1921, definierte ein anderer Wissenschaftler, Graf Alfred Korzybski die I²-Funktion auf seine Weise und nannte sie Zeitbindung. Zeit­bindung ist laut Korzybski der Mecha­nismus des kulturellen Erbes und gründet sich auf unsere Fähigkeit, mehr und umfassendere Symbolsysteme zu produzieren. In unserer Entwicklung, so fährt er fort, haben wir aufgehört, wie andere Primaten zu grunzen und zu heulen und angefangen, mensch­liche Sprache zu artikulieren, Sprache zu schreiben, Mathematik, Diagramme und Kalender zu erfinden und wissen­schaftliche Gesetze zu entdecken. Heute verfügen wir über Computer­technik und elektronische Informations­systeme auf der ganzen Welt. Bei je­dem Schritt entdecken wir einen neuen Baustein in der Zusammenset­zung und Struktur des Universums und können exakter abschätzen, welche Er­findungen oder Ideen Erfolg verspre­chen und welche fehlschlagen werden.

Die Zeitbindungsfunktion von Korzy­bski sieht ungefähr so aus wie eine geo­metrische Reihe:
2 – 4 – 8 – 16 – 32 – 64

Das scheint eine viel genauere Ein­schätzung der Wahrheit zu sein als Henry Adams reziproke Potenz-Funk­tion. Dr. O.R. Bontrager hat eine Viel­zahl von Statistiken über den Grad von Veränderung in den verschiedenen Be­reichen der Technologie gesammelt, die dem Bild von Korzybski einfacher geometrischer Reihe sehr nahe kom­men. Sie wirkt auf den ersten Blick nicht so schockierend wie Adams Schätzung, wenn man sich jedoch näher damit be­schäftigt, ist sie mindestens genauso alarmierend. Wenn wir die 24-8-Reihe beispielsweise fünf Schritte über das sechste Glied, wo wir aufgehört hatten, weiter verfolgen, sind wir plötzlich schon bei 2048 angelangt und noch­mal fünf Schritte weiter bei 63536 …

Wir wissen außerdem, dass sich einige Phänomene sogar noch schneller ent­wickeln. So hat J .R. Platt von der Michigan State University ausgerechnet, dass die Reisegeschwindigkeit seit 1900 um das tausendfache zugenommen hat, die Kommunikationsgeschwindig­keit sogar um das zehnmillionen­fache.

1928 flog ein Mann über den Atlantik, aber schon 50 Jahre später, also 1978, überquerten ihn zweihundert Millionen Männer, Frauen und Kinder. 1928, als dieser einsame Mann, Char­les Lindberg in seinem Doppeldecker über den Atlantik flog, definierte der Techniker und Erfinder R. Buckminster Fuller, der Korzybski gelesen hatte, die I²-Funktion als Synergie. Synergie ist die Art von Reaktion, bei der 1 plus 1 nicht 2 ist sondern 2+. Beispiel a) Man steckt einen Mann und seine Frau zusammen ins Bett und neun Monate später hat man es viel­leicht nicht mehr mit zwei, sondern mit drei Leuten zu tun. Beispiel b) Man bringt Molybdän mit Stahl zu­sammen und erhält eine Legierung, die stärker ist, als jede einzelne der beiden Komponenten. Oder man überführt die arabische Mathematik nach Europa, vermischt sie mit dem empirischen Wissen der Handwerker und heraus kommt Galileo und die Wissenschaft der Physik.

Fuller erkannte, dass die höchste Form der Synergie der Verstand selbst ist, der seiner Ansicht nach sich von Natur aus selbst erweitert. Anders ausgedrückt, man kann nicht zwei Ideen zusammenbringen, ohne dass daraus eine dritte entsteht, fast wie in unserem Beispiel a). Fuller stimmt mit Douglas überein: das Weltkapital ver­größert sich, weil auch ständig neue Ideen auftauchen.

Die Welt braucht immer größere und straffer organisierte Systeme, von denen jedes dazu in der Lage ist, insgesamt mehr zu leisten als frühere, weniger durchorganisierte Systeme. 1944 fügte der Nobelphysiker Erwin Schrödinger unserer Definition von I² eine neue Perspektive hinzu. In seinem Buch Was ist Leben? behauptet Schrödinger, dass alles im Universum, bis auf das Leben selbst, dem zweiten Gesetz der Thermodynamik folgt, in­dem es stetig auf maximale Entropie hinsteuert (was wir hier für unsere Zwecke mal vage als Chaos oder Inko­härenz definieren wollen). Leben je­doch bewegt sich genau in die entge­gengesetzte Richtung – auf höhere Organisation, größeren Zusammenhalt, negative Entropie hin.

Während der nächsten Jahre ent­deckten Claud Shannon von den Bell Laboratories und Norbert Wiener vom M.I.T. fast zur gleichen Zeit, dass die Information einer Botschaft sich mathematisch als negative Entropie darstellen lässt. Damit begründeten sie die Wissenschaft der Kybernetik; aber wir schweifen ab. Was uns daran im Zusammenhang mit I² interessiert, ist die Tatsache, dass die Bewegung des Lebens auf größeren Zusammenhalt hin, wie Shannon und Wiener fest­stellten, erheblich beschleunigt wird, wenn die Techniken des Lebens – vor allem in der Datenverarbeitung – ver­bessert werden. Kurz, die Entwicklung von Grunzlauten über Sprache und Mathematik zu Computern ist eine Bewegung auf Informationszuwachs hin, weg von Entropie; eine Verschiebung zu kohärenter Ordnung im Gegensatz zu willkürlichem Verfall.

Bucky Fuller wies als erster darauf hin, dass die Entwicklung der Informa­tionstheorie von Shannon und Wiener die Möglichkeit bietet, den mensch­lichen Verstand in diesem Teil des Universums als die größte synergetische Maschine überhaupt zu betrachten, als das beste Werkzeug, um mit weniger Arbeit mehr zu leisten.

Fuller legte größten Wert auf die Tatsache, dass Wissen sich immer nur vermehren kann – bis auf tragische Ausnahmen wie ein Gehirnschaden bei einem Individuum oder Totalitarismus in einer Gesellschaft. In dem Maße, wie unsere Kommunikationsmöglich­keiten und Datenverarbeitungstech­niken ständig verbessert werden, er­weitert sich auch menschliches Wissen als Ganzes. Sowohl die weiche, wie auch die harte Technologie werden in ihrer Entwicklung beschleunigt – Ideen und Geräte verändern sich schnel­ler. Und das Kapital nimmt entsprech­end zu.

Der stets provokante Dr. Timothy Leary beschließt unser Set von Model­len, mit dem wir dem Gesetz der Be­schleunigung auf die Spur kommen wollen. In seinem Buch Die Intelligenz-Agenten behauptet Leary, dass die Ost-West-Bewegung, die Brooks Adams als Migration des Kapitals definierte, in Wirklichkeit eine genetische Entwicklung ist. Die Erde dreht sich von Westen nach Osten; die robusteren, innovativeren Gene schwimmen jedoch gegen den Strom und bewegen sich von Osten nach Westen. Die von Brooks Adams beo­bachtete Machtverschiebung von Baby­lon nach New York dauert noch im­mer an, bestätigt Leary; die Pionier­gene sammeln sich an der Westküste und treffen die letzten Vorberei­tungen um sich in den Weltraum zu kapitulieren.

Merkwürdigerweise wird dies auch von der Theorie des Soziologen Carl Ogleby bekräftigt, der behauptet, dass in unserer herrschenden Klasse ein Krieg zwischen Cowboys und Yan­kees im Gange ist. Die Cowboys suchen wie eh und je nach neuen Gren­zen, während die Yankees konservativ geworden sind. Die Kontrolle über un­sere Wirtschaft ist zwischen den New Yorker Kapitalisten und den neuerungs­süchtigen Cowboy-Kapitalisten aufge­teilt. Zur letzteren Kategorie gehören natürlich die, die kräftig in die Welt­raumindustrie investieren.

All diese Definitionen und Beobach­tungen haben eine deutliche Beziehung zueinander und jede einzelne von ihnen trägt zu unserem Verständnis des sozio­-ökonomischen Wandels bei. Die Adams-­Brüder mit Migration und Beschleuni­gung, Douglas mit seiner Theorie von der Assoziationsvermehrung, Korzybski und die Zeitbindung, Fullers Synergie, Schrödingers Idee vom Leben als einen anti-entropischen Prozess, Shannon und Wiener, die Information als ne­gative Entropie definieren und Leary mit seiner Neurogenetik und Exo-Psychologie – alle illustrieren Teile von dem, was wir mit lnformationszuwachs meinen. Dass diese Intelligenz­steigerung (der Begriff stammt von Leary) Teil einer weltweiten, 4000 Jahre alten Informationsexplosion ist, sollte ebenfalls klar sein. Unsere Vor­fahren, die sich vom Jagen und Beerensammeln ernährten, brauchten nicht die Vielfältigkeit von Formen und Modellen, die für die Griechen zu Platos Zeiten selbstverständlich waren. Mehr Intelligenz, in verschiedenen Formen und Funktionen, waren für die Trans­formationen notwendig, die uns heute unter den Begriffen Renaissance, Indu­strielles Zeitalter und Aufschwung rein repräsentativer Regierungen geläufig sind. Mittlerweile werden schon wieder neue Intelligenzformen produziert, um mit der Computerrevolution und dem Aufbruch ins Weltall Schritt halten.

Der andere Aspekt der I²-Funktion, die ständige Mutation des Ego, ist sub­tiler. Stammesangehörige kennen nur sich selbst und definieren sich stets nur innerhalb ihres Stammes, genauso wie für sie das Universum nur aus ein paar, oder ein paar hundert Meilen großes Land mit Himmel obendrüber begreiflich ist. Die Urbanisierung und Zivilisierung brachte ein domestiziertes menschliches Ego mit größerer Selbstbestimmung und einer Art Entfrem­dung oder Anomie hervor, die aus dem Verlust der Stammeszugehörigkeit (er­weiterte Familie) heraus entstand. Die Renaissance schaffte das moderne In­dividuum – zweifelnd, ungeduldig, un­glaublich selbstsüchtig, wenn man es an den Standards traditioneller Ge­sellschaftsformen misst, das nach per­sönlichen und sozialen Zielen strebt, die in der frühen Evolution undenkbar gewesen wären. Und in diesem Jahrhundert tauchte ganz besonders nach 1945, mitten in dem Chaos und Durcheinander, das jede größere Trans­formation begleitet, ein neues Ego, eine neue Form von sozialer Selbst­-Bestimmung auf.

Wir gleichen heute unseren Groß­eltern noch weniger als sie den ersten Hominiden auf der Suche nach Nah­rung. Jedes Mal, wenn wir den Fern­seher einschalten, nehmen wir an einem Wunder teil, das uns mehr ver­ändert, als wir uns vorstellen können. Es spielt gar keine Rolle, was gerade läuft; wie schon McLuhan sagte: „Das Medium ist die Botschaft“, ­jedenfalls zum größten Teil. Die simple Tatsache, dass uns dieser Kasten Live-Übertragungen vom anderen Ende des Planeten ins Haus flimmert, ist schuld daran, dass wir uns heute anders be­greifen als jede andere Generation zuvor. Intuitiv hat sich unsere Meinung darüber, wer wir sind, wo wir sind, was wir sind und warum wir so sind, grundlegend gewandelt.

Die neurologische Schockwelle, die vor mehr als 4000 Jahren entstand und immer schneller über uns hinwegrollte, wird natürlich auch in den nächsten 40 Jahren nicht etwa zusammenbrechen oder sich wieder zurückziehen. Das Leben wird auch weiterhin die Pforten der Wahrnehmung Schritt um Schritt weiter aufstoßen. Die Com­puterrevolution wird uns noch mehr und viel schneller als das Fernsehen mutieren. Hier ein Beispiel für die neue Zeitrechnung: als ich 1946 in die High School kam, gab es in den pri­vaten Haushalten der USA noch so gut wie keine TV-Geräte; als ich 1950 mit der High School fertig war, hatte fast jeder seinen Kasten im Wohnzimmer stehen. Und alles spricht dafür, dass Heimcomputer das Land in den nächsten vier Jahren genauso über­schwemmen werden wie das Fernsehen in meiner High School-Zeit.

Der Computer ist aber auch ein ver­führerisches Biest. Selbst Leute, die von sich glauben, dass sie mit Techno­logie nichts anfangen können, sind nach ein paar Stunden am Mischpult dieses wunderbaren Spielzeugs süchtig danach geworden. Kinder scheinen am schnellsten drauf abzufahren und wechseln rascher von einfachen zu ge­hobenen Programmen über. So wird der Aufschwung von Heimcomputern in den achtziger Jahren für alle Dimen­sionen der I²-Funktion ein enormer Quantensprung sein – Intelligenzinten­sivierung, Informationszuwachs und ein neues Verständnis davon, wer und was wir sind.

Man kann nicht lange mit Computern herumspielen, ohne sich darüber klar zu werden, dass Intelligenz die Fähig­keit ist, Signale zu empfangen, zu inte­grieren und weiterzuvermitteln. Man fangt plötzlich an, sein eigenes Nerven­system als wunderbaren Computer zu begreifen, will die Arbeit mit ihm aus­dehnen und beschleunigen. Man will mehr Signale empfangen, sie in bessere Imitationen oder Modelle der Welt integrieren und sie so effektiv wie mög­lich weiterleiten. Intelligenzsteigerung scheint mittlerweile genauso hedonis­tisch zu sein wie die Forderung nach Bewusstseinserweiterung in den sech­ziger Jahren.

Und plötzlich versteht man auch MacLuhans paradoxe Behauptung vom Medium als Botschaft. Die Ideen in diesem Artikel, speziell das Schrödin­ger/Fuller-Konzept von der Evolution als Kampf für bessere Information und weniger Entropie erhalten eine intuitive und sinnliche Bedeutung. Das Nerven­system entwickelt sich in der Begeg­nung mit dem Computer, der wieder­um mehr und mehr mit anderen Com­putern auf der Erde und im Weltraum korrespondieren wird.

Inzwischen werden natürlich unsere gegenwärtigen Probleme nicht ein­fach über Nacht verschwinden. Die Be­freiung der dritten Welt, der Schwar­zen, der Frauen usw. wird auch weiter­hin unsere Aufmerksamkeit in An­spruch nehmen und Lösungsmöglich­keiten fordern. Auch der Terroris­mus wird noch ein Weilchen bleiben, jedenfalls solange es noch Leute auf der Welt gibt, die glauben, dass eine kleine Gruppe von Weißen in der west­lichen Welt zuviel Macht hat und diese Macht ohne Sympathie für die Nöte und Erwartungen anderer einsetzt und missbraucht.

Man muss bei diesem weltweiten Kampf nicht unbedingt mit Weltunter­gangsszenarios arbeiten, wenn man Reichtum und Macht abschaffen will. Das erste Axiom der I²-Hypothese lautet: wenn ein Problem existiert, dann wird sich auch eine Lösung da­für finden lassen. Die evolutionäre Funktion von Problemen ist nicht, es soweit kommen zu lassen, dass wir händeringend den Untergang der Menschheit bejammern, sondern uns dazu anzuspornen, nach Lösungen zu suchen.

Irgendwann in den nächsten fünf­zehn Jahren, zwischen 1980 und 1995 werden die ersten Langlebigkeitspillen auftauchen. Das ist natürlich erst mal eine Schätzung – der Zeitfaktor dabei kann wirklich nicht so genau kalku­liert werden – aber es gibt heute mehr Forscher, die am Problem der Lebens­verlängerung arbeiten, als 1930 an der Atomenergie, kurz bevor Einstein seinen berühmten Brief über die deutsche Atomwaffenforschung an Präsident Roosevelt schrieb. Sobald irgendein Land auf der Welt den Ein­druck gewinnt, dass ein anderes Land die Langlebigkeitsformel entwickelt hat oder kurz davor steht, wird die Forschung dramatische Fortschritte machen. (Es ist durchaus möglich, dass einige der Langlebigkeitspillen, die heute schon von bestimmten Fanatikern konsumiert werden, speziell die Vitamine E, Megadosen von C und RNS, die Lebensspanne bereits geringfügig zu verlängern scheinen, wenn auch der Beweis dafür noch nicht eindeutig er­bracht ist.)

Mehrere Forscher haben mittlerweile schon von positiven Ergebnissen bei Experimenten mit Tieren berichtet. In jüngster Zeit sind in den Massen­medien auch diverse Artikel zu die­sem Thema erschienen und eine Welle von Büchern, unter anderem Prolonge­vity (Rosenberg), The Life Extension Revolution (Kent), The Immortalist (Harrington), The Immortality Factor (Segerberg) und Secrets of Life Ex­tension (Mann) hat den Markt über­schwemmt. Die zehn Prozent starke Avantgarde in der Bevölkerung wartet schon jetzt mit Spannung darauf, dass das Problem des Alterns und schließlich auch der Tod endlich besiegt wer­den. Wenn die Botschaft von diesen Entwicklungen dreißig Prozent der Be­völkerung erreicht hat, kann man er­warten, dass sowohl die Regierung wie auch die Privatindustrie viel massiver als bisher in die Forschung investieren. Die Schätzung, dass der erste Durch­bruch, wie unvollständig er dann auch noch sein mag, irgendwann zwischen jetzt und 1995 erfolgen wird, ist durchaus realistisch. Selbst wenn die erste Lebensverlängerungsdroge die Lebensspanne nur um zehn bis fünf­zehn Prozent verlängert, ist die psy­chologische Wirkung immens. Die Er­wartungen werden steigen und die Forschung sich beschleunigen. Vielleicht ist es gar nicht so weit hergeholt, wenn der angetörnte Sozio­loge F.M. Esfandiary behauptet: „Wenn Sie die nächsten zwanzig Jahre überleben, brauchen Sie wahrschein­lich überhaupt nicht zu sterben.“

Das Weltraumzeitalter ist natürlich schon längst angebrochen. Über hun­dert Männer und Frauen waren bereits im All; unser Fernsehen zeigt jeden Abend beim Wetterbericht Satellitenfotos und hat auch schon Bilder vom Mars und vom Jupiter gebracht. Wenn Heimcomputer, die an Satelliten im Weltraum angekoppelt sind, sich erst einmal ausgebreitet haben, werden wir alle immer mehr spüren, dass wir am Weltraumzeitalter teilhaben, auch wenn wir unser Haus nicht verlassen. Mit Sicherheit wird die Langlebigkeits­revolution das Bevölkerungsproblem im Bewusstsein der Menschheit ver­größern, sodass eine Auswanderung ins All mit der Zeit unumgänglich wird.

Da wir bereits über jede Menge Kom­munikationssatelliten verfügen, ist die von Kaliforniens angeblich unbere­chenbaren Gouverneur Brown unter­stützte Einführung von Sonnensatelliten kein allzu großes Problem mehr. Schließlich können Kollektoren auf der Erdoberfläche die Sonnenenergie höchstens zwölf Stunden pro Tag und an wolkigen, regnerischen oder bedeck­ten Tagen überhaupt nicht speichern. Ein Sonnensatellit dagegen kann vier­undzwanzig Stunden pro Tag, und das das ganze Jahr hindurch arbeiten. Selbst bei den antitechnologischen Kreisen, die heutzutage überall wie Pilze aus dem Boden schießen, dürfte eine solche Idee nicht länger ignoriert werden.

Dr. Barry Commoner, einer der führenden Wirtschaftsexperten bewies auf der 1980er Versammlung der American Association for the Advance­ment of Science, dass wir mit ernst­lichen wirtschaftlichen Schwierigkei­ten rechnen müssen, ohne dass unser Planet unbedingt von einem ökolo­gischen Disaster getroffen werden muss, wenn wir nicht endlich auf­hören, unsere Wirtschaft fast aus­schließlich auf nicht wiederverwend­bare Quellen wie Öl und Kohle aufzu­bauen. Es ist ja ein bekanntes Phäno­men der Wirtschaft, dass der Preis eines bestimmten Produktes in die Höhe schnellt, sobald seine Quelle zu versiegen droht. (Habt ihr euch in letz­ter Zeit mal die Benzinpreise ange­schaut?) Wenn Energie nicht zu einem Privileg der Reichen werden soll, müssen wir uns verdammt schnell auf wiederverwertbare Quellen umstellen, meint Dr. Commoner.

Sonnenenergie ist die reichhaltigste aller wiederverwertbaren Quellen und Satelliten die einfachste Möglichkeit, sie so effektiv wie möglich zu spei­chern. Aber solche Sonnensatelliten sind nur der erste Schritt bei der Ausdeh­nung unserer Wirtschaft auf den Welt­raum. Der Erfinder G. Harry Stine hat ausgerechnet, dass es 10¹⁰⁰ technische Vorgänge gibt, die im Weltraum effek­tiver oder billiger als auf der Erdober­fläche ausgeführt werden können. Ein Beispiel für die Theorie, dass mit weni­ger Anstrengung mehr zu leisten ist. Selbst Bucky Fuller würde staunen, da­bei sind das ja reine physikalische Phänomene, die auf der Kondition von Schwerelosigkeit und hochgradigem Vakuum basieren, wie es sie nur im Weltraum gibt.

Für den Fall, dass es jemand nicht weiss: 10¹⁰⁰ bedeutet eine 10, auf die hundert Nullen folgen. Hört sich nicht wenig an (meint er mit typisch briti­schem Understatement) – daneben wirkt die Industrielle Revolution wie ein Sturm im Wasserglas. Alles spricht dafür, dass die Rate des Kapitalzu­wachses viel schneller steigt als die üb­lichen zwei Prozent, die wir seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gewohnt sind, wenn die Industrie sich in den Weltraum begibt. Im Grunde bedeutet diese Zahl, dass wir kurz davor stehen, den größten Quantensprung zu ma­chen, den es in Bezug auf Energie, ihre Quellen und den daraus folgenden Umsatz je gegeben hat.

Das Wort wir in den vorange­gangenen Sätzen ist natürlich ein Pro­blem. Bei der Überlegung, was der große Wirtschaftsaufschwung der Raumfahrtindustrie für die menschliche Rasse im allgemeinen, nicht für die multinationalen Konzerne bedeutet, sollte folgendes berücksichtigt werden:

  1. Die Dritte-Welt-Bewegung und die anderen Kreuzzüge der Armen werden damit nicht verschwinden.
  2. Selbst unter unserem gegenwärti­gen System von Monokapitalismus ist der Lebensstandard der Masse ständig gestiegen, also – im Gegensatz zu Marx – der Kapitalismus hat nicht be­deutet, dass die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer wurden, sondern, dass die Reichen zwar noch reicher, aber immer weniger Arme noch ärmer wurden, so wie im 19. Jahrhundert. Die arbeitslosen Armen, die heute stempeln gehen, haben es viel besser und leben gesünder als die arbeitenden Armen zu Marx‘ Zeiten.
  3. Je weiter die Intelligenz/Informa­tions-Revolution fortschreitet, umso bessere und rationalere Möglichkeiten werden die Benachteiligten finden, um ihren Forderungen nach einem gerech­ten Anteil am großen Kuchen Aus­druck zu verleihen. Mit anderen Wor­ten, es ist zwar einfach, eine Bande von durchgedrehten Terroristen zu ignorieren, aber sehr schwer, eine Gruppe von Menschen nicht zu beach­ten, die so gut organisiert ist wie die amerikanische Arbeiterschaft heute.

Bucky Fuller und Werner Erhard ha­ben vorausgesagt, dass die weltweite Überwindung des Hungers bis 1995 er­reicht sein würde. Heute mag das noch hoffnungslos utopisch klingen, aber eigentlich nur deshalb, weil wir uns an Dummheit und engstirnige Raffgier auf höchster Ebene schon so gewöhnt haben. Selbst wenn man diesen Faktor menschlicher Sturheit berücksichtigt, scheint es einigermaßen vernünftig wenn man Fullers und Erhards Ziel noch in die 40-Jahres-Spanne dieses Artikels platziert. Und es gibt überhaupt keinen Grund, warum man nicht auf 1995 hinarbeiten sollte. Jeder Karate­lehrer wird mir recht geben, wenn ich behaupte, dass das Geheimnis des Erfolges darin liegt, sich mehr vorzu­nehmen, als man zu erreichen glaubt.

Und hier kommt die viel geschmähte Human Potential-Bewegung ins Bild. Sie wurde nicht, wie allzu eilfertige Kritiker meinen, in den siebziger, son­dern schon in den fünfziger Jahren erfunden und war eine Folge der inter­personalen Bedeutung von Psycho­logen wie Harry Stack Sullivan, der er­kannte, dass eine kranke Person eigentlich nur Teil einer kranken Situation ist, der wachsenden Popularität der Gruppentherapie, die die altmodische Einzeltherapie ablöste und speziell von Dr. Abraham Maslows Entdeckung, dass gesunde Menschen viel interessanter sind als Kranke und dass deshalb die Psychologen lieber die Gesunden studieren sollten.

Freud beschäftigte sich hauptsäch­lich mit Neurotikern und versuchte sie in den Bereich der Normalität zurück­zuführen, ohne jedoch eine einigermaßen klare Vorstellung davon zu ha­ben, was Normalität eigentlich ist. Maslow studierte die verdächtig Ge­sunden – Personen, die er sich selbst­ verwirklichende Individuen nannte ­und fand heraus, dass sie genauso von der Norm abwichen wie die Kranken. Dank Maslow fingen die Psychologen an zu begreifen, dass der sogenannte Normalzustand ziemlich langweilig und dumm ist. Der Akzent verschob sich von der Behandlung von Kranken die normal werden sollten auf die Behandlung von sowohl Kranken wie auch Gesunden mit dem Ziel, sie zu sich selbstverwirklichenden Personen zu machen, das heißt, ihnen beizu­bringen, wie sie ihr ganzes Potential am besten ausschöpfen konnten.

Trotz der verschiedenen Richtungen und Schulen in der Human Potential­ Bewegung mit ihren diversen Varia­tionen von eigenem Jargon und Psychogeschwafel stammt meiner Meinung nach die beste Zusammen­fassung dessen, was es mit der ganzen Bewusstseinsrevolution auf sich hat, von Dr. Timothy Leary. Sie erschien in dem bereits erwähnten Werk Die Intelligenz-Agenten. So wie Leary die Sache sieht, gibt es acht Stufen von Bewusstseinsintelli­genz, über die wir potentiell alle ver­fügen und die wir zu einem allgemein höheren Standard weiterentwickeln können, als es gegenwärtig die Norm ist. Es sind dies:

  1. Bio-Überlebens-Intelligenz: den Körper gebrauchen, um effektiven Ge­fahren auszuweichen, genauso wie es jedes intelligente Tier tut. Wir lernen diese Art von Bewusstsein nur dann, wenn unser Hauptinteresse ein Sport der brutaleren Kategorie ist, zum Bei­spiel Football. Wir können aber mehr davon lernen, wenn wir uns mit Kriegs­künsten wie Kung-Fu, Karate, Akido usw. beschäftigen würden.
  2. Gefühls-Intelligenz: die emotiona­len Schaltkreise im Gehirn gebrauchen, um die Gefühle anderer Menschen zu verstehen und herauszufinden, wo sie herkommen und wie man mit ihnen umgeht, wenn sie irrational scheinen. In unserer Gesellschaft scheinen nur Frauen Erfahrung mit dieser Art von Bewusstsein zu haben, während Männer im allgemeinen verklemmte Esel sind. Woman’s Liberation und der wachsende Einfluss von Human Potential hat dem avantgardistischen Drittel der männ­lichen Bevölkerung mehr oder weniger die Augen geöffnet und der Versuch, anderen gegenüber sensibler zu wer­den, hat zumindest begonnen. Wir können nur hoffen, dass sich dieser Trend verstärkt (und zwar je eher, desto besser).
  3. Semantische Intelligenz: die Fähig­keit, Worte und andere Symbole zu be­nutzen, ohne dabei allzu große Fehler zu machen. Das ist die einzige Form von Intelligenz, die unsere Schulen wenigstens versuchen zu vermitteln und da wir mit Worten, Symbolen und anderen Signalen geradezu über­schwemmt werden – und die Com­puterrevolution vor der Tür steht – müssen wir lernen, Symbole effektiver zu empfangen, zu verarbeiten und weiterzuleiten.
  4. Sozio-sexuelle Intelligenz: die Fähigkeit, mit anderen Menschen um­zugehen, ohne sich entweder selbst ausbeuten zu lassen oder andere aus­zubeuten. Unsere Gesellschaft behan­delt Sexualität seit altersher als Spezial­fall, in Wirklichkeit ist sie jedoch nur ein Teil des ganzen sozialen Bewusst­seinsspiels. Die Regeln sind beim Sex die gleichen wie auch bei allen anderen zwischenmenschlichen Beziehungen: was du nicht willst, das man dir tut das füg auch keinem andern zu. Im Moment haben nur wenige den Reifegrad erlangt und die meisten anderen sind entweder Chauvis oder Masochisten. Ein großer Teil der (Gruppen)-Therapie beschäftigt sich nur damit, Menschen ein wenig sozio-sexuelles Bewusstsein zu vermitteln, damit sie nicht länger als Chauvis oder Masochisten durch die Gegend laufen.
  5. Neurosomatische Intelligenz: die Fähigkeit, high zu bleiben, das gan­ze Leben lang wie ein glücklicher, gesunder junger Erwachsener auszusehen und sich auch so zu fühlen. Das ist ein wenig unheimlicher als die anderen Bewusstseinsformen, aber nur, weil es statistisch gesehen, immer noch sehr selten ist. Wenn man euch so etwas er­zählt, denkt ihr bestimmt an Chri­stian Science oder Gesundbeterei oder so was ähnliches. Maslow fand heraus, dass seine sich selbst verwirklichenden Personen sie ganz alleine, ohne Guru praktizieren. Wie geheimnis­voll das auch jetzt noch scheinen mag, diese Form von Intelligenz nimmt zu, weil Gras etwa ein Drittel der Be­völkerung vorübergehend damit ver­traut gemacht hat, weil Biofeedback uns zeigt, wie wir sie wissenschaftlich kontrollieren können und weil die Hu­man Potential-Bewegung und ähnlich exotische Importe wie Zen und Yoga sie jedes Jahr mehr Leuten zugäng­lich machen.
  6. Metaprogrammierende Intelligenz: die Fähigkeit des Gehirns, sich seiner eigenen Programmierung bewusst zu werden und sich selbst auf angeneh­mere, wirkungsvollere und erfolgrei­chere Programme umzupolen. Das ist das Ziel aller fortgeschrittenen Formen von Psychotherapie und den östlichen mystischen Traditionen. Es bedeutet, alle automatischen Reflexe in frei­willige Möglichkeiten der Entscheidung umzuwandeln; aufzuhören, ein Roboter zu sein und das ganze menschliche Potential zu entwickeln – aber es ist immer noch unglaublich selten. Die ganze Wassermann-Perspektive basiert natürlich auf der Hoffnung, dass diese Transformation der Menschheit von automatischen Reaktionen zu kreati­ven Aktionen beschleunigt werden kann, und zwar durch eine wachsende Synthese östlicher und westlicher Psychologie, durch neue Entdeckungen in den Neuro-Wissenschaften und durch die Tatsache, dass die schnellen Ver­änderungen, denen wir unterworfen sind, bedingen, dass auch unsere Ge­hirne sich dem schnelleren Rhythmus anpassen und verändern.

Leary fügt noch zwei weitere Arten von Intelligenz hinzu, die in unserer Gesellschaft momentan so selten sind, dass schon ihre bloße Erwähnung mystisch klingt. Es handelt sich um die Neurogenetische Intelligenz – die Fähigkeit, durch direktes Gehirn-DNS­-Feedback das Evolutionäre Skript, die Bedeutung von I² und seine eigene Rolle in diesem I²-Drama intuitiv zu erfassen und aus dem Urschleim zu immer höheren Kohärenzstadien em­porzusteigen – und die Neuroatomare Intelligenz, die sich mit diesem ver­rückten Zeugs abgibt, das einige Wissen­schaftler immer noch leugnen, näm­lich ASW, Psychokinese und Ähnliches. Ich halte die Prognose, dass wir inner­halb der nächsten vierzig Jahre viel präziser lernen werden, wie wir alle acht von diesen Bewusstseinsstufen steigern können, für durchaus ver­nünftig. Ich bin wirklich der Meinung, dass wir einen Quantensprung im menschlichen Sein (Funktionieren) hin zu größerer intellektueller Effektivität, höherer emotionaler Stabilität und mehr Selbstkenntnis, Eigenkontrolle und Lebensfreude vor uns haben.

Werfen wir nun noch einen Blick auf ein paar weitere Veränderungen und Durchbrüche, die in den nächsten vier­zig Jahren auf uns zukommen.

Es wird möglich sein, Menschen zu klonen. (Ein sensationeller Reißer, der von den meisten Wissenschaftlern abgelehnt wird, behauptet, dass das heute schon möglich ist.) Die Impli­kationen dieser Entwicklung sind so erschütternd, dass die ausgeflipptesten Science Fiction-Stories dagegen zahm erscheinen. Man stelle sich nur mal einen Diktator vor, der sich eine ganze Armee von Killerzombies aus einem einzigen muskulösen Prototyp mit möglichst niedrigem IQ zusammen­klont. Oder einen exzentrischen Sultan, der sich einen Harem aus lauter Sophia Lorens anschafft. Dutzende von ähn­lich bizarren Phantasien werden mög­lich sein und man kann diese Mög­lichkeit des Klonens eigentlich nur akzeptieren, wenn man die Hoffnung hat, dass sich auch die I²-Funktion steigern wird.

Wichtiger noch, diese Entwicklung wird unsere sexuelle Neu-Orientierung noch weiter fördern. Die Erfindung empfängnisverhütender Mittel hat ja das Gesetz Sex gleich Schwanger­schaft schon gebrochen, indem sie Sex ohne Fortpflanzung ermöglichte, aber mit dem Klonen wird dann auch Fort­pflanzung ohne Sex möglich. Eine ganz neue Definition von Begriffen wie Menschlichkeit, Sexualität und Gesellschaft wird entstehen, die wir bisher nur sehr verschwommen regi­strieren können.

Es ist abzusehen, dass mit der Indu­strialisierung auch die zunehmende Be­siedlung des Weltraums auf uns zu­kommt. Man kann schließlich weder von männlichen, noch weiblichen Tech­nikern erwarten, dass sie längere Zeit­perioden ohne die heterosexuelle Mehrheit im All verbringen, die das ge­wohnte Zusammenleben und letztlich auch die traditionelle Familienstruk­tur erfordern. Da Entwürfe für Städte im All bereits seit 1968 existieren und seitdem mehrmals wesentlich verbessert wurden, sind wirkliche Weltraumstädte aus unserem 40-Jahres-Plan nicht mehr wegzudenken.
Menschen, die im Weltall leben, wer­den sich von den Bewohnern der Erde genauso unterscheiden wie die ersten Siedler der Vereinigten Staaten von traditionellen Europäern. Es werden Pioniere, Einzelgänger und Außenseiter sein – die Kategorie, die laut Brooks Adams und Leary während der letzten paar Jahrhunderte immer weiter Rich­tung Westen vorgestoßen ist und da­bei den Rest der Menschheit hinter sich hergeschleppt hat, wobei sie stän­dig neue Ideen, neue Geräte, neues Kapital und höhere Stufen von Daten­verarbeitungstechniken entwickelten. Für sie gibt es heute keinen Platz mehr auf der Welt, also werden sie die Auswanderung ins All vorantreiben.

Und wie wärs mit folgenden uto­pischen Visionen?
– Drogen, mit deren Hilfe die mensch­liche Intelligenz permanent gesteigert werden kann?
– Künstliches Augenlicht für Blinde?
– Ein Mittel gegen den Krebs?

Ist es denn nur eine Vision, wenn man diese Entwicklung für die nächsten vierzig Jahre prophezeit? Eine wissen­schaftliche Umfrage von McGraw Hill aus dem Jahr 1977 hat ergeben, dass die Mehrheit der renommierten For­scher davon ausgeht, dass wir alle drei Ziele schon in den nächsten zwanzig Jahren erreichen werden.

Da diese Umfrage schon 1977 ge­macht wurde, konnten wir die Ent­wicklung eines experimentellen Proto­typs für sehr teures, künstliches Augenlicht schon miterleben, das aller­dings bisher nur in begrenztem Umfang hergestellt wurde. Außerdem hat man entdeckt, dass eine schon bekannte Droge, nämlich Lecithin, in beschränk­tem Maß intelligenzfördernd wirkt.

Der Psychiater Dr. Robert Newport hat vorausgesagt, dass unsere Psycho­therapeuten in fünfzehn Jahren haupt­sächlich als Diagnostiker arbeiten wer­den. Sie entscheiden, was ihren Patien­ten fehlt und verschreiben ihm ge­eignete Chemikalien, um das Gehirn wieder auszubalancieren. Vielleicht war seine Prophezeiung nur ein Scherz, aber Freud selbst hat ja vermutet, dass die Entwicklung der Chemotherapie seine Arbeit eines Tages überflüssig machen würde. Dr. Nathan Kline hat behauptet, dass wir bis zum Jahr 2000 über spezifische Gehirnveränderungs­drogen verfügen, um beispielsweise mütterliches Verhalten entweder zu steigern oder zu dämpfen, um das Gedächtnis zu verbessern oder bestimmte Erinnerungen zu löschen oder Drogen, mit deren Hilfe man die Kindheit oder jedes beliebige Lebensalter verlängern oder abkürzen kann, usw.

Es ist daher wohl kaum visionär, wenn man davon ausgeht, dass wir in vierzig Jahren in der Lage sein wer­den, unser Nervensystem zu programmieren und jedes Verhalten, das wir ändern wollen, hinzuzufügen, zu löschen oder auch ganz einfach zu po­tenzieren.

Drei Faktoren, die in der Theologie die Welt, das Fleisch und der Teu­fel genannt werden, haben uns seit Beginn der Zeiten in unserer Weiter­entwicklung eingeschränkt. Der fran­zösische Philosoph Bernal hat diese Termini in die moderne Sprache über­setzt und herausgefunden, dass die Welt für die begrenzten Quellen unseres Planeten steht, um die wir seit den letzten tausend Jahren kämpfen. Auswanderung ins All heißt, dass wir uns diesen Grenzen nicht länger unter­werfen. Wir bewegen uns vom ge­schlossenen System Terra zum offenen System ausserirdischer Expansion. Das Fleisch bedeutet laut Bemal die Kürze des menschlichen Lebens, die grausige Tatsache, dass auf die meisten von uns Senilität, andere Alterserscheinungen und der Tod selbst schon zukommen, ehe sie auch nur begonnen haben, herauszufinden, was das Leben überhaupt ist. Wenn Anti-Alters-Drogen und andere Lebensverlängerungs-Techniken uns von diesem Fluch erlöst haben, werden wir uns noch innerhalb der nächsten vierzig Jahre an den Gedanken gewöhnen, dass wir nicht Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte leben und damit das wissenschaftliche Ziel nach echter Unsterblichkeit verfolgen. Der Teufel repräsentiert natürlich unsere eigene innere Irrationalität. Alles, was wir bisher über Intelligenzsteigerung und Bewusstseinsveränderung gehört haben, spricht dafür, dass wir kurz vor dem entscheidenden Sieg über die verruchteste dieser drei Geißeln stehen, gegen die wir früher machtlos waren.

Mit anderen Worten: die Welt repräsentiert Grenzen im All und das Fleisch Grenzen der Lebenszeit, über die wir hinauswachsen und der Teufel steht für die Grenzen unseres eigenen Bewusstseins, über die wir ebenfalls hinauswachsen können. Wir bewegen uns in eine Richtung, die uns eine völlig neue Beziehung zu Weltraum, Zeit und Bewusstsein bringen wird. Das Gesetz der Beschleunigung, Assoziationsvermehrung, Synergie usw. ­das sind alles nur Aspekte der einen Tatsache, dass sich unsere Intelligenz immer schneller entwickelt hat, seit Leben auf diesem Planeten begann. Zuerst kamen die entscheidenden Veränderungen nur alle paar Milliarden Jahre, dann Millionen, dann alle paar tausend Jahre. Nach der wissenschaftlichen Revolution von circa 1600 gewöhnten wir uns an schnelle Sprünge in jedem Jahrhundert. Einige von uns finden sich allmählich damit ab, dass rasche Quantensprünge in Richtung auf höhere Kohärenz mittlerweile in jeder Generation stattfinden.

Wir müssen jedoch jetzt mit solchen Sprüngen in jedem Jahrzehnt rechnen, um zu verstehen, wie die nächsten vierzig Jahre wirklich aussehen werden.

Spinx-1981-06
Die letzten 4000 und die nächsten 40 Jahre: Menschliche Intelligenzsteigerung
von Robert Anton Wilson ist im Sphinx-Magazin, Ausgabe Nr. 13 im Juni 1981, im Original Human Intelligence Increase: The Last 4000 Years and The Next 40 Years in Future Life, Ausgabe 21, im September 1980 erschienen.

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