Der sinnvolle Zufall

C. G. Jung hat den Begriff „Synchronizität“ geprägt, um sinnvolle Zufälle oder Entsprechungen auszudrücken. Wenn beispielsweise ein psychisches Ereignis eine Entsprechung in der physischen Realität hat – man denkt an einen bestimmten Menschen, und im selben Augenblick tritt er zur Tür herein­ – so lässt sich dies nicht mit den herkömmlichen Kategorien der Kausalität erklären. Jung selbst hat die Synchronizität folgen­dermaßen erklärt:

Meine Beschäftigung mit der Psychologie unbewusster Vorgänge hat mich schon vor vielen Jahren genötigt, mich nach einem anderen Erklärungsprinzip (neben der Kausalität) umzusehen, weil das Kausalprinzip mir ungenügend erschien, gewisse merkwürdige Erscheinungen der unbewussten Psy­chologie zu erklären. Ich fand nämlich zuerst, dass es psycholo­gische Parallelerscheinungen gibt, die sich kausal schlechter­dings nicht aufeinander beziehen lassen, sondern in einem anderen Geschehenszusammenhang stehen müssen. Dieser Zusammenhang erschien mir wesentlich in der Tatsache der relativen Gleichzeitigkeit gegeben, daher der Ausdruck syn­chronistisch. Es scheint nämlich, als ob die Zeit nichts weniger als ein Abstraktum, sondern vielmehr ein konkretes Konti­nuum sei, welches Qualitäten oder Grundbedingungen ent­hält, die sich in relativer Gleichzeitigkeit an verschiedenen Orten in kausal nicht zu erklärendem Parallelismus manifestie­ren können, wie z.B. in Fällen von gleichzeitigem Erscheinen von identischen Gedanken, Symbolen oder psychischen Zuständen.
— C. G. Jung, Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Auch wenn viele Psychologen noch nichts davon wissen: Jüngere Erkenntnisse in der Physik lassen die umstrittenste These jungianischer Psychologie – die Synchronizität – viel plausibler erscheinen, als sie es zu dem Zeitpunkt war, an dem Jung sie zuerst der Öffentlichkeit vorstellte. Insbesondere werden eine Reihe von Experimenten, die Alain Aspect vom Optischen Institut in Orsay (in der Nähe von Paris) durch­führte, von vielen Wissenschaftlern als Beweis dafür akzep­tiert, dass es ohne Zweifel akausale (nicht-mechanische) verbin­dende Prinzipien in der Natur gibt, die vollkommen unabhän­gig von der Tatsache zur Wirkung kommen, dass die Objekte, die sie verbinden, in Ort und Zeit voneinander getrennt sind.

Carl Gustav Jung selbst war immer der Ansicht, dass es zwischen seinem Konzept der Synchronizität (des „sinnvollen Zufalls“) und neuen Gedanken und Erkenntnissen in der Physik Zusammenhänge gibt. Der Titel seines Buches Syn­chronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge (1925)­ erinnert uns an die heftige Debatte über Kausalität und Akau­salität, die seit den zwanziger Jahren unter Quantenphysikern geführt wird. Jungs technische Definition von Synchronizität ­ „eine physikalisch herbeigeführte Relativität von Raum und Zeit“ – war angelegt, uns die instrumentale Relativität von Raum und Zeit ins Gedächtnis zu rufen, die Einstein entdeckt hat. Aber selbst Jung konnte nicht ahnen, wie sehr Akausalität und vom Verstand hervorgebrachte Relativität die Quanten­physiker in den Jahren nach Erscheinen seines Buches beschäf­tigen würde.

Um die Experimente Alain Aspects nachvollziehen zu kön­nen und um die Theorien zu verstehen, die ihn zu diesen Experimenten veranlassten, müssen wir uns notwendigerweise auf den Wendepunkt in der Quantenphysik zurückbesinnen, an dem in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts die herkömmlichen Vorstellungen von Akausalität und Bestimmt­heit zu wanken begannen. Drei Hauptgedanken lösten damals philosophische Debatten aus, die heute noch geführt werden: der Widerspruch Welle oder Teilchen, Werner Heisenbergs Unschärferelation und Erwin Schrödingers Wellenglei­chungen.

Das Problem Welle/Teilchen bestand und besteht darin, dass es zwei Theorien – oder, wie die Physiker sagen, Modelle­ – gibt, die beschreiben, was innerhalb eines Atoms vor sich geht: das Wellenmodell und das Teilchenmodell. Keines der beiden Modelle kann von sich unumstößlich nachweisbar in Anspruch nehmen, in seinen Vorhersagungen präziser und so dem anderen überlegen zu sein, und beide haben sich zu unter­schiedlichen Zeiten für unterschiedliche Zwecke als nützlich erwiesen. Der Versuch, eines der beiden Modelle über Bord zu werfen, würde eine Schwächung der Quantenmechanik bedeu­ten, denn es würde uns weniger Vorhersagbarkeit bescheren. Eine Lösung dieses Konflikts bedeutet das Korrespondenz­prinzip des Nobelpreisträgers Niels Bohr, das die Frage neu definiert und einfach feststellt, dass die beiden Modelle sich keineswegs widersprechen, sondern sich ergänzen. (Für Kriti­ker der Bohrschen Lösung klingt das so, als würde die Behauptung, ein bestimmtes Buch habe 300 Seiten der Behaup­tung, es habe 400 Seiten, nicht widersprechen, sondern sie lediglich ergänzen.)

Eine andere mögliche Antwort auf das Problem wäre zu behaupten, dass die „Teilchen“ fundamental sind, die „Wellen“ dagegen nur eine mathematische Formulierung für die Wahr­scheinlichkeit, diese Teilchen zu finden – diese Herangehens­weise führt aber, wie wir später sehen werden, zu weiteren Problemen. Ein weiterer Ansatz geht davon aus, dass es uns mit unseren allgemein gebräuchlichen geistigen Kategorien (die allesamt auf unserer sinnlichen Erfahrung einer größeren Welt beruhen) nicht möglich ist, zu beschreiben, was innerhalb eines Atoms vor sich geht, und dass daher „Wellen“ und „Teilchen“ gleich brauchbare Metaphern für dieses gewisse Unbekannte seien; dies ist im Grunde eine verfeinerte Version des Bohrschen Lehrsatzes.

Mit Heisenbergs Prinzip der Unschärferelation entfernen wir uns dann noch weiter vom Boden der klassischen mechani­stischen Theorien – deshalb wird dieser Lehrsatz auch so oft von denen angeführt, die bemüht sind, die theologische Idee des „freien Willens“ wieder aufleben zu lassen. Wenn man es genau betrachtet, sagt Heisenbergs mathematischer Grundsatz lediglich aus, dass die Genauigkeit der Messung einer Quanten­variablen (der Position des „Teilchens“) die Genauigkeit der Messung einer anderen Variablen (der Bewegungsgröße des „Teilchens“) bemisst und gleich ist oder größer als eine gewisse Konstante K. Das heißt: je genauer ein bestimmter Messwert wird, desto ungenauer wird der andere. Ob dies nun den „freien Willen“ beweist oder nicht: Sicher ist, dass wir Quantenereignisse nicht beobachten können, ohne ihren Ablauf zu stören, und vielleicht erkennen Psychologen hier eine gewisse Übereinstimmung mit Fällen aus der Sozialpsychologie, in der die Beobachtung einer Gruppe dazu führte, dass sich ihr Verhalten änderte.

Die Unschärferelation hängt schon auf gewisse Weise mit dem Prinzip des „freien Willens“ zusammen – indem sie nämlich den Determinismus schwächt. Wir können einfach nicht mehr davon ausgehen, dass Kausalität das eine universelle Prinzip ist. Die Möglichkeit der Akausalität existiert, ob wir das nun dem Zufall zuschreiben, oder einer Art verbinden­dem Prinzip, das zusätzlich zur Kausalität besteht. Wenn man so will, hat Heisenberg die Vermutungen des großen Skepti­kers David Hume bestätigt, der ausführte, wir könnten nie wirklich beweisen, dass es Kausalität überhaupt gibt; wir würden nur annehmen, dass es sie gibt, weil uns diese Vermu­tung bisher nützlich war. In der Quantenphysik scheint nun allerdings die Kausalität die Grenzen ihrer Nützlichkeit erreicht zu haben.

Erwin Schrödingers Gleichungen (für die er, wie auch Heisenberg für seine Arbeit, den Nobelpreis erhielt), heben nun diese philosophischen Probleme in schwindelerregende Dimensionen. Schrödinger arbeitet sowohl mit dem Wellen­modell als auch mit dem Teilchenmodell und zeigt uns, dass „Wellen“ „Teilchen“ produzieren – oder, dass wellengleiche Phänomene teilchengleiche Phänomene produzieren – und das auf Arten und Weisen, die statistisch vorhersagbar sind. Leider hat ein grundlegendes Element dieser Gleichungen, geschrieben, eine Unzahl von verschiedenen Werten, die sich nie auf weniger als zwei reduzieren lassen.

Schrödingers Gleichungen haben sich in der Praxis so gut bewährt, dass sie mittlerweile einen zentralen Bestandteil ato­mischer und subatomischer Theorie bilden. Die Technologie, die uns im Alltag umgibt, ist der beste Beweis dafür: vom Atomkraftwerk zum Fernseher, von Computern zu Lasern und zu vielen Aspekten der Molekularchemie. Denn Quanten­physiker sind keineswegs eine Gruppe wissenschaftlicher Kabbalisten, die sich Verwirrendes und Paradoxes nur ausdenken, um sich gegenseitig zu unterhalten oder zu ärgern; ihre Arbeit ist verheerend praxisbezogen – die Überlebenden von Hiro­shima können das bestätigen.

Trotzdem schufen Schrödingers Gleichungen mit ihrem nie weniger als zweiwertigen  noch größere philosophische Probleme als Heisenbergs Unschärferelationen oder der Kon­flikt Welle/Teilchen selbst. Jeder Wert von nämlich schafft einen gesonderten Eigenzustand – einen möglichen Zustand, in dem sich ein Quantensystem befinden kann. Zusammengefasst bezeichnet man diese Eigen-Werte als „Komponenten oder Werte des Zustandsvektors“. Was nun bringt den Zustands­vektor dazu, in den einen Wert zu zerfallen – den beobachtba­ren Eigenzustand – den wir wirklich erfahren, wahrnehmen können? Diese Frage ist mitnichten trivial; sie kommt der Frage gleich, was denn die ganzen möglichen Eigenzustände­ seit dem Urknall damals – in das Universum zerlegt hat, wie wir es heute kennen.

Eine Antwort auf dieses Problem bietet uns das EWG-Modell – so benannt nach den Anfangsbuchstaben der Physi­ker Everett, Wheeler und Graham von Princeton Institute for Advanced Studies, die es zuerst formuliert haben. Dieses Modell besagt simpel: da wir nichts kennen, was den Zustands­vektor zerlegt, wird es einfach nicht zerlegt. Jedes mögliche Universum ist gleichermaßen real, die anderen Universen bestehen um uns herum in einem „Superraum“, einer hypothe­tischen Größe, die Wheeler an anderer Stelle erfunden hatte, um einige Probleme der Gravitationsgeometrie zu erklären. Diese Position wird besonders von einigen jungen Physikern vehement vertreten – führend unter ihnen der amerikanische Wissenschaftler Bryce de Witt – und zwar auf der Grundlage, dass dieses Modell die Schrödinger-Gleichungen einfach so nimmt, wie sie sind, und ihnen keine „komplizierten philoso­phischen Vermutungen“ hinzufügt.

Eine Alternative zu diesem Modell wäre natürlich die Annahme, ein Zufall oder dergleichen zerlege den Zustands­vektor. Paul Davies schreibt dazu in seinem Buch The Acciden­tal Universe (Das zufällige Universum), es sei unmöglich, dass per Zufall genau unser und nur unser Universum entstanden sein soll: Es muss seiner Meinung nach zuvor – vor dem Urknall also – weniger kohärente und weniger erfolgreiche Universen gegeben haben, oder aber es gibt sie noch, irgendwo in Wheelers Superraum, wie das EWG-Modell behauptet. Es hätte, wie Davies sagt, „fantastischer Zufälle“ bedurft, um nur zu dem einen Universum, dem unsrigen, zu gelangen.

Einen anderen Weg schlägt die Kopenhagener Interpreta­tion des Niels Bohr ein, die heute noch von Heinz Paigels vertreten wird. Diese Position besagt, dass gar nichts den Zustandsvektor zerlegen kann, weil er nämlich nur eine mathe­matische Formel ist, die wir Menschen erfunden haben. Kriti­ker dieser Auffassung meinen, die Physik habe ja eigentlich die Aufgabe, die „Realität“ zu beschreiben und zu erklären und sie sei sinnlos, wenn wir sie als ein aus mathematischen Formalis­men bestehendes Spielchen betrachten. Hier kontern die Schü­ler Bohrs mit dem Argument, die Physik würde „Realität“ nicht beschreiben und könne das auch gar nicht; sie könne uns lediglich sehr genau sagen, welche Formalismen bei einem bestimmten Stand des technischen Wissens anzuwenden für uns nützlich ist.

Und dann gibt es noch einen anderen Ansatz, der direkt zu den Experimenten Alain Aspects führte und zu den Ideen, die denen Jungs verblüffend ähneln: die Theorie der Verborgenen Variablen, die in der Arbeit Einsteins ihren Ursprung hat, inzwischen aber in einer Art und Weise weiterentwickelt wurde, die Einstein wohl niemals erwartet hätte. Man hat diese Alternative bereits erahnt und erwartet: Wenn wir jetzt noch nicht wissen, was den Zustandsvektor zerlegt, vielleicht wer­den wir es dann in der Zukunft wissen? Gibt es eine Variable, die unseren Instrumenten bisher noch verborgen bleibt, die wir mit unseren Instrumenten noch gar nicht erkennen können? Dies war auch der Gedanke hinter Einsteins berühmter Kritik an der Zufalls-Theorie: „Gott würfelt nicht.“

Vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes erschien die Theorie der Verborgenen Variablen jedoch bald als noch verstiegener als die anderen Theorien, die wir bereits betrachtet haben. Diese Entwicklung begann 1952, als David Bohm, damals Student bei Robert Oppenheimer, einen Artikel veröffentlichte, in dem er folgendes aufzeigte: Jede Verborgene Variable (oder Gruppe Verborgener Variablen), die mit den Fakten des Quantenverhaltens in Einklang stehen will, muss notwendigerweise non-lokal agieren. Was heißt das nun? Eine non-lokale Verborgene Variable ist eine Verborgene Variable, die sich so verhält, als seien Raum und Zeit nicht-existent – sie verhält sich über Raum und Zeit hinweg, ohne Interpolation und ohne schwächer zu werden. Technisch wurde Bohms Argument von John S. Bell vom CERN Atomforschungszen­trum in der Schweiz untermauert – und zwar durch zwei Gleichungen, die als der Bellsche Lehrsatz bekannt sind. Diese Gleichungen besagen, dass jede Verborgene Variable, die mit Quantenexperimenten und mit bereits anerkannter mathema­tischer Theorie in Einklang stehen will, die Bedingungen

erfüllen muss, wobei c₁ eine solche Verborgene Variable ist und die Differentialbrüche jeweils das Ausmaß der Veränderung von Raum und Zeit angeben. Aber es gibt keine Veränderung von Raum und Zeit. Eine Verborgene Variable, die mit der Quantentheorie in Einklang steht, ist omnipräsent. Sie ist „unterhalb“ oder „vor“ oder aber strukturell unabhängig von der kontinuierlichen Größe Raum/Zeit. Also ist sie nicht lokal, sondern non-lokal, sie wird nicht, wie Energie, durch Raum und Zeit übertragen, wobei sie schwächer werden müsste. Sie ist bereits „überall“.

Nun waren bislang die einzigen Größen, denen die westliche Philosophie solch bemerkenswerte Eigenschaften zuschrieb, natürlich der „Gott“ der Theologie (besonders des Pantheis­mus), Platons Ideen und Hegels Absolute Idee. Auch in der östlichen Philosophie gelten ähnliche Entitäten als grundle­gend: das Alayavijnara des Buddhismus, das in aller lebenden und nicht-lebenden Materie enthalten ist; das Wu-Shin, das in der taoistischen Philosophie eine ähnliche Funktion erfüllt, und andere. Natürlich gibt es keine Rechtfertigung dafür, die non-lokale Verborgene Variable von Bell und Bohm mit den eben genannten methaphysischen Konzepten in einem Atem­zug zu nennen, obwohl einige das schon getan haben und deutliche Zusammenhänge sehen (siehe Michael Talbot: Mysti­cism and Modern Physics, Fritjof Capra: Das Tao der Physik). Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Verborge­nen Variablen sich verhalten wie Jungs Synchronizität, die, mit seinen eigenen Worten ausgedrückt, „Raum und Zeit auf Null reduziert“. Eine non-lokale Verborgene Variable ist zwangs­läufig eine „akausale Verbindung“ – wie Jungs Synchronizität.

Dies alles natürlich trifft unseren gesunden Menschenver­stand zutiefst und erschüttert ihn. Es tut gut, sich daran zu erinnern, dass Albert Einstein einmal gesagt hat: „Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass die Erde platt ist.“ In der Tat setzt sich der gesunde Menschenverstand aus Hunderttausen­den von Fakten, Erscheinungsbildern, Gewohnheiten und Vorurteilen zusammen, die alle in unserer sinnlichen Wahr­nehmung einer Welt gewöhnlicher, menschlicher Dimensio­nen wurzeln. Wann immer wir die Grenzen dieser Welt überschreiten – sei es, um in die gigantischen Räume des Kosmos zu blicken, oder in die Mikro-Räume der Quanten­theorie – müssen wir damit rechnen, dass unser gesunder Menschenverstand schockiert wird, denn wir haben es dann mit Dingen zu tun, von denen uns unsere Sinne – ohne fremde Hilfe – nie berichtet haben.

Natürlich spüren auch Physiker – wie der Rest der Mensch­heit – eine tiefe, nostalgische Verbundenheit mit dem gesunden Menschenverstand und trennen sich nur schwer und ungern von ihm. Nachdem Bell 1965 seinen Lehrsatz veröffentlicht hatte, behaupteten viele, das Ergebnis sei lediglich ein „Zufalls­produkt des Formalismus“. Ein ganz brauchbares mathemati­sches Werkzeug – wie auch die vielen Universen, die Schrödin­gers Gleichungen nahelegen – aber ja nicht zu wörtlich zu nehmen. Alain Aspects 1973 begonnene erste Suche nach non­-lokalen Verborgenen Variablen schien aber in der Tat zu bestätigen, dass es einen non-lokalen Effekt gibt. Das Experi­ment wurde scharf kritisiert; aber schon bald ließ Dr. Clauser von der University of California, Berkeley, das zweite folgen, das ebenfalls die Existenz non-lokaler Verbindung zu beweisen schien. 1980 dann wurde der Streit bereits darum geführt, ob der non-lokale Effekt „stark“ oder „schwach“ sei – im Grunde ging es schon darum, ob er stark genug sei, eine wirkliche Veränderung unseres Weltbildes nach sich zu ziehen. Aspects letzte Versuche – die Ergebnisse wurden im Dezember 1980 veröffentlicht – scheinen gezeigt zu haben, dass der non-lokale Effekt in der Tat recht kräftig ist und dass akausale (non-­energetische) Verbindungen in der Tat vorhanden sind. Wie das Magazin New Scientist feststellte: „Es scheint eine Form des non-lokalen Effekts zu geben – wir müssen uns darauf einstellen, Realität unter vollkommen neuen Gesichtspunkten zu betrachten, und dürfen dabei der Lokalität keine zentrale Stellung mehr einräumen“ (New Scientist, 6. Januar 1983).


Die klassiche Physik
Die klassische Physik (Newton/Einstein): Alle natürlichen Prozesse lassen sich verstehen, wenn man sie als Energie­transfer von einem Objekt A zu einem Objekt B betrachtet, von B nach C und so weiter – bis die Energie eine neue Form und Richtung erhält und das aufgrund einer neuen Kraft, die in das System eintritt. Mit jedem Schritt auf diesem Weg wird die Energie schwächer.


Die Kopenhagener Theorien
Die Kopenhagener Theorien: Wir wissen gar nicht, was mit A, B, C und so weiter passiert. Wir können lediglich Modelle aufstellen, in denen es um abstrakte A, B, C … geht, die wir nach den Gesetzen unseres eigenen Verstandes aufgebaut haben und die wir mit mathematischen Lehrsät­zen ausdrücken.


Die Theorie der Verborgenen Variablen
Die Theorie der Verborgenen Variablen: Alle Zusammen­hänge zwischen A, B, C … sind eingebaut in non-lokale strukturelle Systeme „vor“ oder „unter“ Raum und Zeit selbst. Deshalb sind alle Modelle – kausale und andere – nur Erklärungsmuster zweiter Güte für diese allem zugrunde liegenden akausalen Strukturen. Energie spielt hierbei keine Rolle, sie wird weder transferiert, noch schwächt sie sich ab.


EWG-Modell
EWG-Modell: Jeder nur mögliche Zustand des Energie­transfers von A nach B ereignet sich wirklich, nur in verschiedenen Universen. Unendlich viele solcher Univer­sen sind möglich.


Aspects Experimente sahen folgendermaßen aus: Er bom­bardierte Quecksilberatome so lange, bis sie anfingen, in die verschiedensten Richtungen Lichtquanten abzugeben. Diese Lichtquanten passierten dann im Laufe der Zeit zuerst einen speziell konstruierten Schalter, der in Abständen vom zehnmilliardstel Teil einer Sekunde (in 10 Nanosekunden) schaltete, danach einen Polarisator, und sie gelangten schließlich in einen Lichtquantenzähler. Der Polarisator arbeitete nach dem Zufallsprinzip und die Lichtquantenzähler befanden sich in einem Abstand von jeweils sechs Metern voneinander. Da keine Energie sich schneller fortbewegen kann als mit Lichtge­schwindigkeit, kann keine mechanische Verborgene Variable­ – keine Energie, kein noch so kleines Teilchen – sich so schnell von einem Lichtquantum zum nächsten bewegen, um dem zweiten „mitteilen“ zu können, was mit dem ersten passiert ist. Dennoch bleiben die Polarisationen der beiden Lichtquanten so aufeinander bezogen, wie es ein mathematisches Zwischen­ergebnis von Bells Lehrsatz voraussagt. Die non-lokale Ver­bindung hat, kurz gesagt, weder mit Energie noch mit Mecha­nik etwas zu tun; wie Jungs Synchronizität, der sie zum verwechseln ähnelt, ist sie eine Form von Verbindung, die von Ursache und Wirkung vollständig unabhängig ist.

Kann man sich überhaupt über solche non-lokalen/akausa­len Zusammenhänge Gedanken machen, ohne dabei an einen „Gott“ oder an die Ideen Platons zu denken? Das war für viele Physiker schon die Frage, bevor Aspect seine Experimente abschloss (denn schließlich legten die mathematischen Berech­nungen von Bell und Bohm es nahe, dass man solche non­-lokalen Zusammenhänge auch in der Physik würde akzeptie­ren müssen).

In einem Interview mit der Londoner Times (vom 2. Febraur 1983) erwähnte Bohm drei Wege, um über Alain Aspects Experiment nachzudenken, es einzuordnen. „Es kann bedeu­ten“, sagte Bohm, „dass alles im Universum in einer Art perfektem Zusammenhang mit allem anderen steht, so dass alles, was passiert, mit allem anderen verbunden ist; oder aber es gibt eine Form der Information, die sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt; oder aber unsere Vorstel­lungen von Raum und Zeit müssen sich auf eine Art und Weise verändern, die wir jetzt noch gar nicht zu verstehen und umzusetzen in der Lage sind.“

Die erste Alternative (alles im Universum ist mit allem anderen verbunden) ist natürlich reine Jungsche Synchronizi­tät. Die zweite Möglichkeit entfernt uns von der Energie­-Physik hin zu etwas, was vielleicht einmal Informations­-Physik werden kann: Da keine Energie sich schneller bewegen kann als Licht, konfrontiert uns die „Information, die schnel­ler ist als Licht“ mit einer völlig neuen Sichtweise der Welt, die wir bisher noch nicht erwogen haben. Und die dritte Möglich­keit – unsere Vorstellungen von Raum und Zeit drastisch zu verändern – bringt uns zurück zu Kant, dessen Ansicht es war, dass Raum und Zeit lediglich subjektive menschliche Erfindun­gen seien. Bis zu dem Zeitpunkt nun, an dem neue Forschun­gen mehr Klarheit bringen, kann man diese Alternativen auch noch untereinander mischen und austauschen: Wenn es im Universum einen totalen Zusammenhang zwischen allem gibt, dann verhält sich das Universum so, als gebe es Information, die schneller ist als das Licht, oder es verhält sich so, als seien Raum und Zeit nicht real; wenn aber Raum und Zeit nicht real sind, wird sich das Universum auch so verhalten, als seien alle Dinge total miteinander verbunden oder als sei Information überall gegenwärtig. Und wenn Information auf die eine oder andere Art wichtiger ist als Energie, oder zumindest unabhän­gig von Energie, dann wird sich das Universum auch so verhalten, als bestehe der vollkommene Zusammenhang aller Dinge oder als seien Raum und Zeit unwichtig oder nicht real.

Nun muss man bedenken, dass sich Bohm in dem Interview informell und simpel ausgedrückt hat, wie man es einer Zeitung gegenüber eben tut. Zusammen mit dem Neurologen Karl Pribram hat er an anderer Stelle folgendes, eher technische Modell vorgeschlagen: Sowohl das Bewusstsein als auch das Universum sind aufgebaut wie Hologramme. Das bedeutet: So, wie ein aus einem Hologramm entferntes Einzelstück alle Informationen des Ganzen in sich enthält, so enthält in diesem Modell jeder Teil der Existenz alle Informationen des Ganzen. So betrachtet bewegt sich Information auch nicht schneller als Licht; sie bewegt sich gar nicht: Sie ist bereits überall.

Der amerikanische Physiker Jack Sarfatti entwickelte eine andere Methapher derselben mathematischen Idee: Seiner Mei­nung nach verhält sich das Universum, als sei es ein Satz von Computern in Computern in Computern – wie bei den uns allen bekannten russischen Puppen. Der größte dieser Compu­ter ist das Universum, in ihm sind jeweils kleinere Computer enthalten, einschließlich des menschlichen Verstandes – und auch die allerkleinsten sub-atomaren oder selbst sub-quanti­schen Systeme sind solche Computer-Mini-Mini-Mini-Com­puter. Kausalität gilt für die Hardware dieses Systems: Jeder „Computer“ – ganz gleich wie groß oder klein – ist lokal in räumlichen und zeitlichen Dimensionen und erfährt Energie­-Transfers. Für die Software des Systems aber gilt Akausalität: Die Information ist non-lokal, gleichmäßig verteilt auf die lokale Hardware der verschiedenen Größen.

Ein dritter Ansatz, der besonders von Nick Herbert vertre­ten wird, nennt sich die „Theorie des kosmischen Klebstoffs“. Dieser Ansatz akzeptiert einfach die non-lokale Verbindung als eine Tatsache, die nicht erklärt werden kann und nicht erklärt zu werden braucht und leitet dann den ganzen Rest der Quantenphysik von diesem nonlokalen „Klebstoff“ ab, der alle Dinge zusammenhält. Der Zustandsvektor zerfällt, weil sich der „Klebstoff“ non-lokal verhält und wir daher auch die vielen Universen des Professors Davies und das EWG-Modell gar nicht brauchen. Der non-lokale „Klebstoff“ ist real, weil die Aspect-Experimente das bewiesen haben und deswegen können wir auch die Kopenhagener Debatte – ob unsere Gleichungen nun „Realität“ beschreiben oder lediglich ein geistiger Formalismus sind – vergessen. Erschütternd an dieser Interpretationslinie ist die Feststellung, dass der „kosmische Klebstoff“ ohne Bruchstellen ist, nahtlos alles verbindet – dass unser „Geist“ also nicht von „Materie“ getrennt ist und auch nicht von anderen „Geistern“. Diese Auffassung lässt Jungs Synchronizität nicht als gelegentliche Zufallstreffer unseres Bewusstseins erscheinen, sondern sie wird zu dem einen grund­legenden Faktor jeglicher Existenz. (Diese eindeutig monisti­sche, nicht-dualistische Alternative war auch Schrödingers endgültiger Standpunkt, wie er ihn in seinem Buch What Is Life 1948 formuliert hat.)

Dass man den menschlichen Geist aus dem Bereich der Quantenforschung nicht ausklammern kann, wird in der Tat von allen Physikern allgemein anerkannt, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung und anhand unterschiedlicher Modelle. Die Kopenhagener Meinung dazu ist wieder einmal, dass wissenschaftliche Lehrsätze nützliche Formalismen sind, die unser Verstand den eigentlichen Fakten und Daten aufbür­det. Dagegen vertritt der Nobelpreisträger Eugene Wigner die radikale Ansicht, dass jeder Versuch, Quanten-Ereignisse zu beschreiben, ohne die Entscheidungen des Experimentieren­den miteinzubeziehen – wann also und wie der Experimentie­rende eingreift, um eine Messung vorzunehmen – einfach den Fakten nicht gerecht wird; so ist das Universum, das wir kennen, eines, das wir mit unserer Auswahl an Experimenten geschaffen haben. John Wheeler lehnt die Vorstellung eines „Beobachters“ und eines „Beobachteten“ grundsätzlich ab und dringt auf ein Konzept des „partizipierenden Universums“. Bohm schließlich umgeht Descartes Kategorien und ihre Dichotomie, indem er sagt, dass die „verbindende Ordnung“ (wie er sie nennt) der Verborgenen Variablen sich in eindeuti­gen Dimensionen von Raum und Zeit sowohl als „verstandes­mäßige“ als auch als „materienartige“ Phänomene projiziere.

Henry Clauser, der einige der früheren Experimente durch­führte, durch die Bells Lehrsatz bestätigt zu sein schien, drückt diese Einstellung in einem humoristischen Spruch aus, der in seinem Büro an der University of California, Berkeley hängt: Wir haben die Verborgenen Variablen gesehen: Wir sind sie!

Das heißt: Da es an keiner Stelle einer non-lokalen Verbin­dung einen Bruch gibt, kann alles als Grund für alles andere angesehen werden. Jeffrey Chew von der Universität Berkeley redefinierte Kausalität auf diese Art neu und formulierte eine „Zopf-Theorie“ – nach der sich nämlich das Universum, wie weiland Baron von Münchhausen, an seinem eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht. Kausalität ist für ihn nicht mehr linear, sondern vielschichtig. Der kosmische „Klebstoff“ des Dr. Herbert besagt im Grunde nichts anderes als dass wir zu diesem Zeitpunkt das Wort „Kausalität“ einfach vergessen und statt dessen von einem „Einfluss“ reden sollten, der sich, wo auch immer, wohin auch immer, durch Raum und Zeit bewegt. Das heißt nun, dass unser Geist das Universum „erschafft“ – nicht in einem solipsistischen Sinne (nur das Ich ist real), aber schon in dem Sinne, dass in einer non-lokalen Verbindung alles der Ursprung von allem ist. Andererseits aber erschafft auch das Universum unseren Geist – nicht in einem deterministischen Sinn, sondern, wie Clauser es bezeichnet hat, in einem superdeterministischen Sinn: Da es in dem Zwischenergebnis des Bellschen Lehrsatzes keine einzige Nonosekunde gibt, in der auch nur irgendein Teil von Raum und Zeit unabhängig vom Rest von Raum und Zeit agiert.

Mit solchen Modellen hat die Physik, so scheint es, Jungs Synchronizität bereits weit hinter sich gelassen und ist an einem Punkt angelangt, an dem ihre Überlegungen den mysti­schen Traditionen des Ostens ähnlich, wenn nicht sogar gleich sind. Erinnern wir uns daran, dass auch die Buddhisten und Hinduisten sagen, dass „wir“ das Universum erschaffen, das Universum sind – nur um dieser Aussage dann den totalen Widerspruch entgegenzusetzen, indem sie sagen, dass „wir“ (als eigenständige Größen) gar nicht existieren. Noch eher aber denken wir an die berühmte Geschichte aus dem Sufismus: Der Mullah Nasrudin reitet einmal aus und erblickt in der Ferne etwas, was er für eine Gruppe von Räubern hält. Schnell entfernt er sich in die entgegengesetzte Richtung. Die anderen Reiter – die gar keine Räuber sind, sondern gute Freunde von Nasrudin sagen: „Wohin will denn Nasrudin so eilig? Wir wollen ihm folgen und sehen, was er vorhat.“ Nasrudin nun muss feststellen, dass er verfolgt wird und galoppiert immer schneller, und die Freunde folgen ihm, bis er schließlich bei einem Friedhof anlangt. Dort springt er schnell von seinem Esel, klettert über die Friedhofsmauer und versteckt sich hinter einem Grabstein. Auch die Freunde treffen ein und sehen, noch auf ihren Pferden sitzend, über die Mauer. „Warum versteckst du dich hier, Nasrudin?“ wollen sie wissen. „Das ist komplizierter, als ihr glaubt“, antwortet der Mullah, „ich bin euretwegen hier und ihr seid meinetwegen hier.“

Kurz gesagt: Ob wir uns nun die Kreislauf-„Kausalität“ aussuchen, die in dieser Parabel (und im Zopf-Modell) darge­stellt wird, oder die Akausalität kosmischen „Klebstoffs“, oder Bohms Hologramm-Modell; oder ob wir versuchen, uns Information (ohne Energie) zu denken, die sich schneller als Licht bewegt oder bereits überall ist – welche Metapher wir auch wählen, wir drücken damit nur das aus, was Jung in seiner Theorie der Synchronizität als „akausales verbindendes Prin­zip“ bezeichnet hat; etwas, was alle Trennungen von Raum und Zeit aufhebt und noch dazu alle Unterschiede zwischen „geistig“ und „physisch“.

Eine zentrale Frage jedoch bleibt: Auch wenn solche Theo­rien zu Nicht-Kausalität und Non-Lokalität in der modernen Physik notwendig zu sein scheinen – haben sie deswegen schon irgend etwas zu tun mit den anscheinend „sinnvollen“ Zufäl­len, die Jung (und andere) in der Psychotherapie beobachteten? Ein solcher Zusammenhang ist bisher noch nicht aufgezeigt worden; alles, was diese Entwicklungen der Quantenfor­schung zeigen ist, dass Jungs Theorie so absurd oder im Widerspruch zur modernen Wissenschaft gar nicht ist, wie seine Kritiker bislang annahmen. Wir sollten auch den völlig agnostischen Standpunkt der Kopenhagener berücksichtigen: Jedes Modell, ganz gleich, wie gut es uns heute erscheinen mag, ist letztendlich doch nur ein Modell, ein menschlicher Formalismus; in 15 Jahren werden wir ein besseres haben.


Der sinnvolle Zufall
von Robert Anton Wilson ist in Psychologie Heute, Ausgabe Nr. 1, 12. Jahrgang im Jänner 1985 erschienen.

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