Wer hat hier das Sagen?

Achte nicht auf den Mann hinter dem Vorhang!
— Oz der Allmächtige

Es ist typisch für den primitiven Zustand unseres unter­entwickelten Planeten, dass buchstäblich kein Mensch weiß, wie die menschliche Gattung tatsächlich kontrol­liert wird. Betrachten wir folgende Beispiele:

  1. Regierungen sind nicht halb so wichtig, wie man ge­meinhin glaubt. Wir leben in einer Gesellschaft, die den Tauschhandel hinter sich hat, einer Geldwirtschaft. Mit anderen Worten: Wer den Geldnachschub kontrolliert, beherrscht in Wirklichkeit den Planeten. Schon im 19. Jahrhundert haben Regierungen alle Versuche aufgege­ben, Geld zu prägen oder zu kontrollieren, hauptsächlich, weil sie einander misstrauten. Keine Nation glaubte, dass das Münzsystem oder die Währung einer anderen Nation tatsächlich das wert war, was sie wert zu sein vorgab. Die großen internationalen Banken füllten dieses Vakuum und entwickelten sich zu den Geldmachern der Moderne, indem sie größere Steuerstrenge an den Tag legten als die Regierungen zuvor. Als die Banken die Kontrolle über­nommen hatten, waren sie imstande, das Ganze wieder ein bisschen lockerer zu sehen. Niemand konnte ihnen ihre Position streitig machen. Das bedeutet, dass Regierungen nichts unternehmen können – weder Gutes noch Schlechtes, weder Kluges noch Dummes -, solange die Banken ihnen kein Geld für ihre Projekte leihen. Die Macht liegt bei den Banken. Regierungen halten sich nur mit Zustimmung der Ban­ken. Wenn die Banken ihre Geldhähne zudrehen, sind Regierungen am Ende. Jede Regierung, die sich dagegen auflehnt, muss auf Kredite verzichten und kann einpac­ken. Buckminster Fuller hat in seinen Werken immer wieder betont (vgl. besonders Critical Path und Grunch: Raub­zug der Giganten), dies bedeute nichts anderes, als dass in der modernen Welt Banken agieren, während Regierun­gen nur auf Situationen reagieren, die Banken vorgeben. Vor Fuller schrieb schon der Historiker Brooks Adams in The Law of Civilization and Decay über den britischen Finanzier Samuel Loyd: „Er verstand, dass mit der Ausweitung des Handels eine starke Währung im Wert steigen muss; er sah, dass mit genügend Mitteln im Hintergrund seine Klasse in der Lage sein könnte, eine solche Steigerung beinahe beliebig herbeizuführen; er war sicher, dass sie diesen Aufschwung manipulieren könnte, wenn er einträfe, indem sie den Fremdwährungswechsel für sich nutzte.“ Anders ausgedrückt: Sobald die großen multinationalen Banken Kontrolle über den Geldnachschub ausübten, be­griffen sie, dass sie den Geldverkehr manipulieren konn­ten, um ihre Profite zu maximieren. Sie wären ziemlich blöd gewesen, wenn sie das nicht kapiert hätten. Wäh­rend aber solche Finanzexperten auf ganz vernünftige und legale Art ihre Profite steigern, sind wir übrigen ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Dabei haben wir sie weder in diese Machtpositionen gewählt, noch wissen wir im allgemeinen, wer sie sind.
  2. Im gegenwärtigen Jahrzehnt kostet es fünfzig Millio­nen Dollar, in den Vereinigten Staaten eine Präsident­schaftskandidatur zu finanzieren; zehn Millionen reichen für einen Senatorenposten und fünf Millionen für einen Sitz im Abgeordnetenhaus. (Diese Zahlen werden in Buckminster Fullers Grunch: Raubzug der Giganten er­läutert). Das heißt, dass die Vereinigten Staaten – die stärkste Macht der westlichen Welt – sich nicht nur in Trillionen-Dollar-Höhe an die Banken verkauft haben, sondern auch von Personen beherrscht werden, die entwe­der a) Millionäre oder b) Leute sind, die bei Millionären tief in der Kreide stehen. Um mit Ex-Senator Pettigrew zu sprechen: Wir haben es heutzutage mit „Regierungen aus Konzernen, von Konzernen, für Konzerne“ zu tun.
  3. Seit dem Zweiten Weltkrieg erfolgten mehr Regie­rungswechsel mit Hilfe eines Coup d’État als mit irgendei­ner anderen Methode, so Edward Luttwak in seinem ma­chiavellistisch-fröhlichen Büchlein The Coup d’État. Es sind mehr Regierungen über einen solchen Coup gestol­pert als über alle demokratischen Wahlen und Revolutio­nen zusammen. Da jeder Coup per definitionem eine Verschwörung ist, bedeutet dies, dass Verschwörungen in den vergangenen vierzig Jahren Weltgeschichte eine grössere Wirkung hatten als die Summe aller auf freien Wahlen basierenden politischen Strategien und sämtli­cher Volksaufstände. Das ist etwas unheimlich in einer Zeit, in der man als gebildeter Mensch davon ausgeht, schon die Idee einer Verschwörung sei ein Zeichen für Niedertracht, Schwachsinn, Exaltiertheit bis hin zu echter Paranoia. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes verboten, darüber nachzudenken, wie dieser Planet in Wirklichkeit regiert wird.
  4. Wenn Regierungen ohne Erlaubnis der Banken – ohne von Banken gewährte Darlehen oder „Überziehungskre­dite“ – nicht handlungsfähig sind, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten einer Multimillionen (oder -milliarden) Dollar schweren Banken- und Konzernelite „ge­hört“ und wenn jede Menge andere Regierungen Ver­schwörungs-Coups zum Opfer fallen, dann wird der größte Teil der Menschheit ökonomisch und politisch von Personen kontrolliert, die der Öffentlichkeit im allgemei­nen nicht bekannt sind und/oder nie in ihre Ämter ge­wählt wurden. Demokratische Theorien sind wunderbar und sehr inspirierend, haben aber nichts mit der aktuellen Situation domestizierter Primaten auf unserem unterent­wickelten Planeten zu tun.
  5. Während die Massen einerseits, politisch und ökono­misch gesehen, zwielichtigen Finanzleuten und ver­schwörerischen Abenteurern auf den Leim gehen, werden die gleichen Massen intellektuell von Personen kontrol­liert, die zwar sichtbarer, einer rationalistischen Auffas­sung von Geschichte jedoch ebenso widerwärtig sind. Um es mal salopp zu sagen: Fast dreihundert Jahre, nachdem man allzu verfrüht das Zeitalter der Vernunft ausrief, befinden sich die meisten Leute in den meisten Ländern der Welt geistig gesehen meistenteils in totaler Abhän­gigkeit von religiösen Führern, die einfach nur bluffen, d. h. auf der Basis von Behauptungen operieren, die sich nicht beweisen lassen und jedem, der nicht in ihrem System aufgewachsen ist, völlig abstrus erscheinen.

Der Methodist sieht, wie absurd die Überzeugungen eines Katholiken sind. Der Katholik erkennt die offensichtliche Beschränktheit von militanten Sikhs, die Flugzeuge ex­plodieren lassen, nur weil ein paar Hindus an Bord sind. Der Sikh wiederum versteht zweifellos, wie unlogisch die Scientology-Kirche argumentiert. Doch keiner derjeni­gen, den eine dieser Sekten durch die Mühlen ihrer Ge­hirnwäsche gedreht hat, kann erkennen, wie schwachsin­nig seine eigene Theorie ist. Für einen rationalen Beob­achter ist es gar nicht so leicht, zu entscheiden, ob die Führer dieser Sekten nur Zyniker sind, die ihren Anhän­gern das Geld aus der Tasche ziehen, oder genauso be­scheuert wie ihre verwirrten Schäfchen. Es kann schnell passieren, dass einem nachgesagt wird, man sei ein Satiriker, Nestbeschmutzer oder Zyniker, nur weil man Fakten zitiert. Aus dem bisher Gesagten wird klar, dass der überwiegende Teil der menschlichen Gattung politisch und wirtschaftlich von namenlosen Finanzcli­quen und skrupellosen Verbrechern, intellektuell dagegen von Psychopathen und Scharlatanen regiert wird. Doch wir alle sind so konditioniert und indoktriniert, dass einer, der die Dinge beim Namen nennt, den Anschein erweckt, als wollte er unbedingt sarkastisch oder shocking sein. Sehen wir uns doch die Situation auf dem Planeten mal etwas genauer an.

Trügerische Soziobiologie

Alle Menschen sind geborere Lügner.
— Liam O’Flaherty, Autobiography (erster Satz)

Verschwörung ist die erste Manifestation intelligenten Lebens. Die ursprünglich organischen Moleküle bildeten ver­wandte Gruppen und taten sich zusammen, um die Res­sourcen des Planeten auszubeuten. Obwohl sie anfangs in kleinen Zellen operierten, entwickelten sich die DNS­ Konquistadoren schnell zu hochkomplexen Organisatio­nen und überzogen die einstmals tote Erde mit einem Netzwerk aus hungrigem, räuberischem Leben. In weni­ger als 3.500.000.000 Jahren breitete es sich vom Grund des Ozeans bis zu den Gipfeln des Himalajas aus, und heute gibt es keinen Quadratzentimeter Erde, der nicht vom Virus des Lebens befallen wäre. Die Minierspinnen gründeten Geheimgesellschaften und gingen in den Untergrund. Sie lauerten im stillen, ver­borgen unter einer harmlosen Tarnung aus Zweigen und Erde, nur um urplötzlich herauszuschießen und jeden Käfer oder anderen schmackhaften Leckerbissen zu ver­schlingen, der zufällig vorbeikam.

Die Zeit des Geheimagenten war angebrochen. Rasch entpuppte sich die Technik des Sich-bedeckt-haltens und der Verstellung als evolutionärer Erfolg, die überall kopiert wurde. Heute noch verbergen sich Tausende von verschwörerischen Insektenspezies hinter ausgeklügelten Fassaden, die wir fälschlicherweise für Äste, Blattwerk oder Steine halten.

Andere Spezies brachten es noch schneller noch weiter. Der Polarbär legte sich einen weißen Pelz zu, um mit der Schneelandschaft zu verschmelzen. Die Flecken des Leo­parden erinnern an sonnengesprenkeltes Laub und er­schweren es dem Beobachter, ihn auszumachen. Die Norwegische Ratte (mus rattus Norwegius) lernte, sich tags­über zu verstecken und erst im Schutz der Dunkelheit auf Jagd zu gehen. Die ersten Menschen sahen sich um und kamen zu der verständlichen Einsicht: „Ein wahrer Dschungel!“ Die Psychologie des Menschen ist in Wirklichkeit noch immer die des Dschungels. Schon der Historiker Carl Oglesby sagt in The Yankee and Cowboy War: „… Unmengen von Verschwörungen wetteifern in der Nacht … Verschwörung ist die gewöhnliche Fort­setzung gewöhnlicher Politik mit gewöhnlichen Mit­teln … und wo die Macht keine Grenzen erfährt, gibt es auch für die Verschwörung keine.“

Kaum finden sich die ersten Spuren menschlichen Lebens auf dem Planeten, da tauchen auch Zeugnisse für Ge­heimgesellschaften auf. Paläolithische Malereien bewei­sen, dass diese sich bezeichnenderweise in den tiefsten und finstersten Höhlen trafen, um dort böse Zauber und andere Machenschaften gegen rivalisierende Spezies aus­zubrüten. In jedem der Anthropologie bekannten Stamm stößt man heute noch auf Geheimgesellschaften. Die meisten Stämme bilden rein männliche Geheimgesellschaften, viele aber nehmen auch nur weibliche Mitglieder auf. Eine ganze Reihe von Lesern werden sich wahrscheinlich daran erinnern, dass sie in ihrer Jugend eigene Geheimge­sellschaften mit Losungen und freimaurerähnlichen Grif­fen gründeten, die sie ums Verrecken keinem Erwachse­nen verraten hätten. Von dieser evolutionären Warte aus hat jeder Paranoiker teilweise recht. Der Hauptfehler des Paranoikers scheint der typische Glaube an eine einzige riesige Mega-Ver­schwörung zu sein, die alles erklärt. Das aber ist schlicht unmöglich, denn es widerspricht den grundlegenden Ge­setzmäßigkeiten der Primatenpsychologie. Domestizierte Primaten sind ebenso wie wilde Primaten boshaft und verschlagen, und sie besitzen einen ausgeprägten Sinn für Humor: Betrug ist ihre symptomatische Erfindung. George Washington, der an die Macht kam, indem er sich gegen seinen König verschwor, sagte mit entwaffnender Ehrlichkeit: „Nationen haben keine permanenten Ver­bündeten, nur permanente Interessen.“ Das ist der Grund, warum Regierungen, Konzerne und groß ange­legte Verschwörungen wie auch andere Lebenssysteme durchweg eine begrenzte Lebensdauer haben. Es gibt keine Regierung auf diesem Planeten, die in ihrer ur­sprünglichen Form mehr als zweihundert Jahre überdau­ert hat. Mit Ausnahme der holländischen East India Company verfielen die meisten nach (durchschnittlich) hundert Jahren.

Abgesehen von paranoiden Phantasien und romantischer Fiktion geht die Mehrzahl der Ver­schwörungen innerhalb von Monaten oder Jahren an ihren eigenen „inneren Widersprüchen“ zugrunde. (Wenn es also trotzdem eine allumfassende Verschwörung gibt, die den Planeten beherrscht, muss diese, wie Donald Hol­mes im folgenden belegt, nicht-menschlichen Ursprungs sein.) Das Studium der Verschwörung als eines Zweiges der Primatenpsychologie ist für sich genommen äußerst in­teressant – das wusste schon Machiavelli; wirkliche Ver­schwörungen aber sind längst nicht so wohldurchdacht und langlebig wie die in den Köpfen von Paranoikern und Ideologen – sie sind nur schmutziger.

Es ist eine Ironie unserer Zeit, dass Verschwörungen und Geheimgesellschaften üppiger wuchern als je zuvor, wäh­rend es andererseits als unhöflich und unanständig gilt, darüber zu reden. In diesem Sinne besiegten die Nazis im Zweiten Weltkrieg die liberalen Demokratien, denn sie errichteten eine Art Denkkontrolle über den liberalen Geist. Liberale fürchten den Gedanken an Verschwörung, weil er in die einzige riesige Mega-Verschwörung, d. h. „einem Denken wie Hitler“, münden kann. Ein von Ta­bus beherrschter Geist jedoch ist ein unfreier Geist. Ich meine, es ist an der Zeit, Hitlers Macht über unser Den­ken zu brechen und anzufangen, sich Gedanken über die Fakten zu machen, statt sich von Tabus beherrschen zu lassen. Verstellung, Täuschung und Handeln in der Gruppe ha­ben eine lange Entwicklungsgeschichte, und Primaten verfügen über all jene traditionellen evolutionären Ge­wohnheiten, die im politischen Jargon „verschwörerisch“ genannt werden. Auch wenn es ein Tabu ist, darüber nachzudenken: Das scheint der Stand der Dinge auf unse­rem Planeten zu sein.

Aufrichtige Bekenntnisse

Wo vier sich zu einer Verschwörung versammeln, sind drei Dummköpfe und der vierte ein Agent der Regierung.
— Duncan Lunan, Interstellar Communication

Ehrlich gesagt habe ich selbst nie gewagt, gegen das libe­rale Gebot „Du sollst nicht an Verschwörung denken!“ zu verstoßen – bis ich im wahrsten Sinne des Wortes mit der Nase drauf gestoßen wurde. Während der 60er Jahre lebte ich in Chicago und enga­gierte mich in der Anti-Vietnam-Bewegung. Spätere Un­tersuchungen im Kongress brachten an den Tag, dass al­lein in Chicago über fünftausend Regierungsagenten in die Friedensgruppen eingeschleust worden waren – einige davon im Auftrag des Federal Bureau of Investigation (FBI), andere im Auftrag der Central Intelligence Agency (CIA), wieder andere im Auftrag der Army Intelligence. Ab 1968 führte das FBI ein Projekt unter dem Decknamen COINTELPRO durch. Es sollte sicherstellen, dass die Friedensbewegung Kenntnis von der Infiltration erhielt, um Verdacht, Misstrauen und Paranoia unter den Indivi­duen und Gruppen zu säen, die ansonsten harmonisch miteinander kooperiert hätten. Folglich bedeutete die Mitarbeit in der Friedensbewegung damals so etwas Ähn­liches, wie in einem Eric Ambler Roman zu leben. Min­destens dreimal pro Woche wollte mir jemand schonend beibringen, dass einer meiner Freunde in Wirklichkeit ein Regierungsagent sei, und natürlich bezichtigte der, der gerade als Spitzel bezeichnet worden war, am nächsten Tag einen anderen desselben Verbrechens. Nach über zwanzig Jahren weiß ich heute noch nicht, wer damals ein Agent der Regierung war und wer nicht. Allerdings machte mir das alles eher Spaß als Angst, weil ich im Grunde wie Helen Keller der Meinung bin, dass „das Leben entweder ein großes Abenteuer oder nichts ist“.

Derselbe Hauch von Agentenroman begegnete mir An­fang der 70er Jahre wieder, als ich eine Kampagne mit dem Ziel unterstützte, den umstrittenen Wissenschaftler Dr. Timothy Leary aus der Haft zu entlassen. Jeder im Leary Defense Committee beschuldigte von Zeit zu Zeit den einen oder anderen Kollegen, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. (Ich glaube, der Poet Ginsberg hatte mich über ein Jahr lang im Visier.) Schließlich brachte die Presse das Gerücht in Umlauf, „undichte Stellen“ im Regierungsapparat hätten bestätigt, dass Dr. Leary selbst zum Informanten geworden sei. Diese klassi­sche Le-Carré-Note gefällt mir immer noch, vor allem, weil manche Leute das Gerücht tatsächlich glaubten. Schließlich kam heraus, dass die Regierung Learys Schwiegersohn, Dennis Martino, als Agent angeworben hatte. Dennis starb später in Spanien; drei verschiedenen Presseberichten innerhalb von zwei Tagen zufolge war es entweder Mord, Selbstmord oder ein Unfall. Das Rätsel um Martinos mysteriösen Tod blieb ungelöst, zumindest in den Vereinigten Staaten. Die spanischen Behörden sollen schließlich eine gerichtliche Untersuchung des Fal­ls angeordnet haben, doch bis dahin hatten die amerika­nischen Medien das Interesse verloren. Wenn man ame­rikanischen Quellen Glauben schenken will, hat Dennis Martino unbeabsichtigt eine Überdosis Rauschgift er­wischt, sich das Leben genommen und ist gleichzeitig einem Killer zum Opfer gefallen, alles am selben Tag. Offensichtlich hatte kein Pressemensch in den Vereinig­ten Staaten ein Interesse daran, rauszukriegen, was zum Teufel passiert war. Doch in der machiavellistischen Welt greift ein Rädchen ins andere.

Während meines letzten Jahres als Redakteur beim Playboy kam einer meiner Bosse in mein Büro und schloss die Tür hinter sich. Dann eröffnete er mir, dass mein Telefon abgehört und ich selbst vom Red Squad der Chicagoer Polizei überwacht würde. Ich war verblüfft und fragte ihn, woher er das wüsste. Er sagte, gewisse Leute beim Playboy hätten ein Über­einkommen mit einem Polizeibeamten von Chicago ge­troffen. Dieser erhalte regelmäßig Zuwendungen über komplizierte Kanäle, die er mir nicht weiter erläuterte; als Gegenleistung informiere er seinen Kontaktmann beim Playboy, sobald die Polizei sich hinter einen Mit­arbeiter der Zeitschrift klemmte. Bei dieser Gelegenheit begriff ich, wie häufig Spitzel bespitzelt werden.

Als nächstes verriet mir mein Informant, warum ich von der Polizei überwacht wurde. Ein Polizeispitzel bei den Black Panthers, sagte er, habe der Polizei gesteckt, ich unterhielte Verbindungen zu weißen Radikalen, die Waf­fen für die Panthers kauften. Trotz meines Zynismus gegenüber Bullen war ich schockiert. Erregt erklärte ich, dass nichts an der Geschichte wahr sei. „Das wissen wir, das wissen wir“, beruhigte mich der Kollege, der enge Beziehungen zu Hefner hatte. „Wir vertrauen dir.“ Und sie vertrauten mir. Sie versuchten weder, mich durch die Hintertür loszuwerden, noch das Bunny-Impe­rium meinem Einfluss zu entziehen. Im Gegenteil, sie boten mir sogar an, die Gerichtskosten zu übernehmen, falls die Polizei mich wegen dieser absurden Geschichte verknacken wollte.

Es vergingen Jahre, bis ich mich fragte, warum die Bosse des Imperiums in einer derart heißen Sache zu mir hiel­ten. Heute vermute ich, dass sie mich selbst überwacht hatten, genau wie andere Kollegen, aber das ist nur eine Vermutung. Vielleicht lag es daran, dass ich ein vertrau­enswürdiges Gesicht habe. Das wäre mir lieber. Natürlich hatte ich nie Waffen für die Black Panthers gekauft. Ich war einigen Panthers bei Friedensversamm­lungen begegnet, und der Informant hatte mich wohl da gesehen. Wahrscheinlich hatte er – oder sie – die Sache aufgebauscht, um beim Red Squad Eindruck zu schinden. Ein Redakteur des Playboy, der sich mit den Black Panthers unterhält, ist keineswegs eine Sensation; ein Redakteur des Playboy aber, der den Panthers Waffen besorgt – das wäre eine Story, mit der ein Spitzel mög­licherweise einer riesigen Verschwörung auf der Spur war.

Ich könnte Ihnen noch mehr Geschichten dieser Art er­zählen, aber auch dann müsste ich die Namen meiner Informanten schützen, und Sie würden mir nicht glau­ben. Die Wahrheit ist sehr viel merkwürdiger als die Sensation. Statt dessen werde ich mich der Neuro-Ökonomie der Verschwörung zuwenden und von einigen bemerkens­werten Verschwörungen berichten, die ans Licht der Öf­fentlichkeit gelangten. Wir werden sehen, dass die von Dr. Holmes vertretenen Theorien, so schockierend sie auch sein mögen, nicht merkwürdiger sind als die Welt, in der wir leben.

Kapital und Geld

Ein Bankier ist Mann, der einem Geld leiht, wenn man beweisen kann, dass man es gar nicht braucht.
— Mark Twain zugeschrieben

So wie die meisten Menschen nicht wissen, von wem unser Planet in diesem barbarischen Stadium der Evolu­tion regiert wird, haben die meisten auch keinen blassen Schimmer, wo sein „Reichtum“ herkommt. Das liegt daran, dass sie nicht gelernt haben, zwischen „Reichtum“ und „Geld“ zu unterscheiden. Ursprünglich ging das Geld vom Staat aus, wie ich an­fangs erwähnte; deshalb behauptet König Lear, dass seine Verfolger ihn nicht der Geldfälschung bezichtigen könn­ten. In jenen Tagen war der Staat der einzige rechtmäßige Produzent von Münzen: Eine legale Münze war per defi­nitionem eine staatliche Münze. Als die Staaten dahinterkamen, welche Vorteile es brachte, minderwertige Münzen zu prägen – ein Thema, das Jonathan Swift überaus scharfsinnig in seinem wenig bekannten, aber brillanten Werk Drapier Letters behan­delt -, wurde jeder Staat und jedes Individuum zum potentiellen Opfer von Münzen, die nicht genau die Menge Gold enthielten, die ihnen aufgeprägt war. Schließlich traute kein Staat auf diesem Gebiet einem anderen mehr über den Weg, bis immer mehr Papiergeld großer Bankfirmen die Rolle der Münzen übernahm und zum einzigen sicheren Medium des Tauschhandels wurde. Amüsanterweise gesteht die Verfassung der Vereinigten Staaten dem Kongress die Macht zu, Geld zu prägen und seinen Wert zu kontrollieren, der Kongress aber hat dieses Privileg seit mindestens hundert Jahren nicht mehr wahr­genommen. Das offizielle Zahlungsmittel der Vereinig­ten Staaten wird von einer Privatbank ausgegeben, so wie in allen anderen Staaten auch (abgesehen von Albanien, einem einsamen Ketzer). Da nun aber auf allen amerika­nischen Dollarscheinen der Begriff „Federal Reserve Note“ (Bundesreservenote) steht, glauben die meisten Amerikaner, das Geld werde von der Bundesregierung der Vereinigten Staaten ausgegeben. In Wirklichkeit stammt es aus der Federal Reserve Bank* (Bundesreser­vebank), einer Privatbank, die zum Teil den Rockefellers und Morgans gehört.
*Federal Reserve: der Name der zentralisierten U.S.-Bank. Entspricht der Deutschen Bundesbank. Die Federal Reserve setzt die Zins-und Diskontsätze fest und bestimmt, wie viel Geld im Umlauf ist. Alle anderen Banken haben sich nach ihr zu richten. 

Wir „schulden die Staatsschulden nicht uns selbst“, wie Franklin D. Roosevelt einmal sagte, wir schulden sie den Rockefellers und Morgans. Auf irischen Geldscheinen steht „Bank of Ireland“, auf englischen „Bank of England“ und so weiter; in ganz Europa wissen die meisten Menschen, dass Banken, nicht Regierungen die Geldproduktion kontrollieren. Nur in den Vereinigten Staaten – einerseits, weil auf den Dollar­noten „Bundesreservebank“ steht und man meint, Bund stehe für die Regierung, andererseits, weil die Verfassung dem Kongress die Produktion von Geld gestattet -hält sich die Meinung, die Regierung sei eine souveräne Größe und nicht Eigentum der Banken, an die sie sich verkauft hat.

Nichts davon hat mit Realkapital im Sinne der klassischen Volkswirtschaft zu tun. Realkapital im ökonomischen Sinne besteht aus greifba­ren Aktiva. Es umfasst nicht nur Fabriken, die individuel­len oder gesellschaftlich gebundenen Kapitalisten gehö­ren, sondern auch bekannte Rohstoffe, Erfindungen, Brücken, Straßen und wissenschaftliche Daten – kurz, alle Erzeugnisse menschlicher Intelligenz, die konkret dazu beitragen können, die Umwelt für einen oder alle angenehmer zu gestalten. Wenn das gesamte Realkapital über Nacht verschwände, sähe die Welt daher beträchtlich anders aus. Wir wären buchstäblich in die Steinzeit zurückversetzt, und kein Bündel von Bundesreservenoten oder anderen Papieren könnte uns da je wieder herausholen. Wahrscheinlich bliebe uns nichts anderes übrig, als die gesamte Wissen­schaft und Technik der vergangenen 30.000 Jahre Schritt für Schritt neu zu erfinden.

Andererseits könnte alles Geld der Welt – alle Bundesre­servenoten, alle Geldnoten der Bank of England und an­derer Institute, sowie alle Aktien und Schuldscheine – ­über Nacht verschwinden, und die Welt wäre, physika­lisch gesehen, dieselbe wie zuvor. Mag sein, dass man sich darüber streiten würde, wem was gehörte, aber das Real­kapital bliebe immerhin erhalten. Um es für alle verständlich auszudrücken: Realkapital besteht aus „Dingen“, die nicht in Banken oder Compu­tern deponiert werden können; Geld dagegen besteht aus „Vollmachten“ oder Symbolen, die in Banken oder Com­putern gespeichert werden. Natürlich ist Realkapital mehr als ein Haufen von soliden „Dingen“. Über dreißig Jahre predigte ich in zahllosen Publikationen, dass Realkapital im wesentlichen aus rei­ner Information besteht. Schließlich musste ich einsehen, dass das niemand begreift, außer ein paar Mathematikern und Computerfreaks. Deshalb sage ich jetzt, um es zu vereinfachen, dass ich unter Realkapital Ideen verstehe, die funktionieren. Die Terminologie der allgemeinen Se­mantik definiert Reichtum als Ideen, die in ihrem Aufbau den Energiesystemen von Raum-Zeit ähnlich (isomorph) sind.

Reichtum ist eine Folge von Analyse, etwa, wenn man höher geordnete Strukturen aus den von den Sinnen emp­fangenen groben Signalen herausfiltert. Man kann mit­ten in einem Weizenfeld verhungern, wenn man das Energiesystem von Raum-Zeit nicht wenigstens so weit analysiert hat, um zu wissen, dass Weizen essbar und nahrhaft ist. In diesem Fall sind Banknoten also nicht Realkapital, sondern Vollmacht für den Austausch von Realkapital. Derartige Vollmachten sind in einer fortschrittlichen, technologisch-ökonomischen Gesellschaft notwendig, denn der Tauschhandel selbst wird immer mühsamer und umständlicher. Das meiste Geld existiert ohnehin in greifbarer Form, nicht einmal als Papier. In der heutigen fortschrittlichen und technisierten Gesellschaft existiert Geld entweder als Computerwerk oder, in weniger entwickelten Außenpo­sten, als Eintragung in Kassenbüchern. Banken sind be­rechtigt, bis zum Achtfachen der Geldmenge zu verlei­hen, die sie tatsächlich besitzen. Penny Lernoux aber beweist in ihrem unschätzbaren Werk In Banks We Trust, dass sie oft weit darüber hinausgehen, in der Hoff­nung, die Spuren zu verwischen, bevor der Bankprüfer ihnen auf die Schliche kommt.

Michele Sindona, eine der Hauptfiguren der Vatikan­-Mafia-P2-Clique und Begründer der berüchtigten Frank­lin National Bank, wurde in Italien des Mordes an einem Untersuchungsrichter überführt, nachdem er in den Ver­einigten Staaten bereits wegen Unterschlagung und Ver­untreuung von Bankgeldern in fünfundsechzig Fällen an­geklagt worden war. Sein Hauptfehler scheint darin gele­gen zu haben, dass er leichtsinniger war als ältere und weisere Kollegen, die die Welt länger und diskreter re­giert hatten als er. (Auf den Fall Sindona-P2 werden wir noch zurückkommen.)

Wenn Banken bis zum Achtfachen dessen verleihen, was sie in Reserve haben, spekulieren sie damit, dass nicht alle Kunden am selben Tag aufkreuzen und ihre Guthaben einlösen wollen. Da kann im Grunde nicht viel schiefge­hen. Dieses Spiel ist jedoch auch ein Beleg dafür, dass der Reichtum auf dem Papier noch metaphysischer und un­heimlicher ist als die minderwertigsten Münzen der kor­ruptesten Tudor- oder Stuart-Monarchen. Wie durch Magie lässt sich das Realkapital des Planeten manipulie­ren, ganz einfach indem geisterhafte Zahlen von einem Computer zum anderen verschoben werden. Und es be­weist, dass die tollkühnen Abenteurer und Helden von heute imstande sind, gespenstische Summen auf unwirk­lichem Papier alchemistisch in den Besitz von Rohstoffen, Industrieanlagen, Straßen, Brücken und gelegentlich ganzen Staaten umzuwandeln, indem sie Samuel Loyd folgen und „ … einen Aufschwung nach Belieben“ ­oder eine eben solche Baisse – herbeiführen.

Der Leser sollte einige Bücher zu Rate ziehen, die ich im folgenden anführe. Besonders lehrreich ist Richard Ham­mers The Vatican Connection, eine Dokumentation dar­über, wie Johnny Roselli und seine Freunde in der ameri­kanischen Mafia gefälschte Aktien im Wert von einer Milliarde Dollar in den Verkehr brachten, die so in das Schwundsystem der Vatikanbank/Banco Ambrosiano ge­schleust wurden, dass die New Yorker Staatsanwaltschaft, obwohl sie Tonbandaufzeichnungen von Telefongesprä­chen der meisten Beteiligten besaß, nicht rauskriegen konnte, wo 900.000.000 der 100.000.000.000 Dollar ge­blieben waren.

Buckminster Fuller beschreibt, wie die moderne Welt von Machiavelli, Mafia, Atom und Öl (Grunch: Raubzug der Giganten) beherrscht wird. Die Mafia ist allseits bekannt. Atom und Öl stehen für multinationale Konzerne. Ma­chiavelli ist das Vorbild der Papierzauberer oder interna­tionalen Banken, die das ganze System erst ermöglichen. Kurz: ein Buch, das Sie unbedingt lesen sollten.

Neuro-Geographie der Verschwörung

Geh nach Westen, junger Mann.
— Horace Greeley

Wie ich schon in meinem Buch Der Neue Prometheus belegte, hat sich das Realkapital der Welt einmal pro Generation verdoppelt, seit die empirischen Wirtschaftswissenschaftler im 18. Jahrhundert anfingen, Daten zu sammeln. Das ist eine Nebenerscheinung der beschleunigten Verdoppelung von Wissen, die in den letzten zwei Jahrtausenden stattgefunden hat. (Informa­tionen oder Ideen, die funktionieren, sind der Ursprung des Realkapitals – alles klar?) Der französische Statistiker George Anderla stellte fest, dass, wenn wir von dem ge­samten Wissen des Jahres 1 nach Christus ausgehen, es sich folgendermaßen verdoppelt hat:

1 n. Chr. 1 Einheit
1500 n. Chr. 2 Einheiten
1750 n. Chr. 4 Einheiten
1900 n. Chr. 8 Einheiten
1950 n. Chr. 16 Einheiten
1960 n. Chr. 32 Einheiten
1967 n. Chr. 64 Einheiten
1973 n. Chr. 128 Einheiten

Ein Blick auf weltgeschichtliche Gleichungen zeigt, dass diese Verdoppelung von Wissen einem nach Westen (und leicht nach Norden) zeigenden Vektor folgte, so unter anderem Brooks Adams in Law of Civilization and De­cay, Timothy Leary in seinen Intelligenzagenten und Buckminster Fuller in Critical Path. Die Werkzeuge der Bronzezeit tauchten zuerst im südöst­lichen Asien auf, gefolgt von Landwirtschaft in großem Stil, Sklaverei und Krieg. Im Jahre 1 n. Chr. lief die ge­samte bis dahin entwickelte Technologie über die Schulen und Bankniederlassungen von Rom. Als dieser Wissens­stand sich um 1500 verdoppelt hatte, lag das Zentrum der Macht in den Universitäten Norditaliens und bei großen florentinischen Bank-Dynastien wie den Medici. Um 1750 erfolgte die nächste Verdoppelung, diesmal in Eng­land, dem ersten Reich, „in dem die Sonne nicht unter­geht“. Um 1900 bekamen die Engländer Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten; 1950 löste das amerikanische Impe­rium das englische endgültig ab. Die letzten vierzig Jahre haben den von Prof. Oglesby propagierten Yankee and Cowboy War bewiesen: Im Osten klammern sich Banker wie die Rockefellers an die Macht, doch wird ihre Vormachtstellung im Westen mittlerweile von Aufsteigern wie Howard Hughes in Frage gestellt. Innovative Außenseiter und Abenteurer, deren Nerven­systeme von mutierten Genen und/oder bizarren Prägun­gen und Konditionierungen beeinflusst sind, bewegen sich seit fünftausend Jahren ständig in Richtung Westen. Sie streben weg von der zentralisierten Gewalt und hin zu Peripherien und Grenzbereichen, denn dort können Ein­zelgänger und Genies sich am besten entfalten.

Clausewitz beschreibt den Krieg als eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln; Oglesby bezeichnet Ver­schwörungen als „gewöhnliche Fortsetzung gewöhnlicher Politik mit gewöhnlichen Mitteln“. Verschwörung, die­ser düstere Bereich zwischen Politik und Krieg, ist ein Teil unseres glorreichen Primatenerbes, und deshalb defi­nierte Ambrose Bierce den Frieden als „eine Periode der Verstellung zwischen zwei Perioden des Kampfes“. Ich schlage vor, die Rolle der Verschwörung in der Menschheitsgeschichte als eine Periode der Verstellung aufzufassen, in der zwei Machtzentren kämpfen; das eine im Osten – es repräsentiert etablierte Ideen und alten Reichtum; das andere im Westen-es steht für innova­tive Ideen und neuen Reichtum. Enklaven von „Gesetzlo­sen“ fristen in zwielichtigen Territorien zwischen den beiden Machtpolen ihr Dasein, inszenieren ihre eigenen Spielchen und ziehen, wo immer sie können, Nutzen aus der Paranoia auf beiden Seiten. Der Anthropologe William Irwin Thompson hat vor kur­zem in einer Aussprache in Oslo die Ansicht geäußert, die Strategie Defence Initiative – das sogenannte SDI oder Star-Wars Programm – sei radikaler und weniger reak­tionär, als es auf den ersten Blick den Anschein habe. Thompson behauptete, in Wirklichkeit bedeute es unter dem Deckmantel politischen Säbelrasselns eine vollkom­mene Reorganisation der amerikanischen Gesellschaft in ein wissenschaftlich-technologisches Paradigma. Nur mit patriotischer Rhetorik, so fuhr er fort, könne man den Amerikanern ein solches Programm aufschwatzen, eins der teuersten und risikoreichsten Forschungspro­jekte, das die Menschheit je in Angriff genommen hat. In diesem Konzept repräsentiert Reagan die „Cowboy­-Elite“, von der Oglesby behauptet, sie sei dabei, das Yankee-Imperium mit den Rockefellers an der Spitze zu stürzen. Die Cowboys als elektronisch versierte Him­melsstürmer. Wenn wir diese Faktoren in unsere Tabelle zur Verdop­pelung des Wissens (Realkapitals) einbeziehen, ergibt sich folgendes:

Datum Wissensfaktor Machtzentrum Hauptfeinde
1 n.Chr. 1 Rom Griechenland / Ägypten
1500 n.Chr. 2 Florenz Türkei
1750 n. Chr. 4 England Frankreich / Spanien
1900 n.Chr. 8 England Deutschland
1950 n.Chr. 16 New York Russland
1960 n.Chr 32 Kalifornien Russland
1967 n.Chr 64 Kalifornien Russland
1973 n.Chr 128 Kalifornien New York
??? 128 Japan Kalifornen

Die aufkommende Macht scheint immer im Westen oder Nordwesten der untergehenden Macht zu liegen, sie ist stets reicher und mächtiger als alle vorangegangenen Rei­che, und sie erscheint dem alten Machtzentrum (und seinen eingesperrten Intellektuellen) als genau das, was Kalifornien heute zu sein scheint – eine Art soziologi­sches Granola, das zu gleichen Teilen aus Früchten, Nüs­sen und in Honig gerösteten Haferflocken besteht.

CIA & Mafia

Patriotismus, Sir, ist die letzte Zuflucht des Schurken.
— Dr. Samuel Johnson

In den 60er Jahren tat sich der CIA mit zwei Anführern der Mafia, Sam Giancana und Johnny Roselli, zusam­men. Mr. Giancana und Mr. Roselli lieferten professio­nelle Mafia-Killer, die CIA bildete sie aus und schickte sie nach Kuba, um Fidel Castro zu ermorden. Wie die mei­sten echten Verschwörungen blieb auch diese erfolglos; Señor Castro erfreut sich heute noch bester Gesundheit. Schließlich wurde die Verschwörung in einem Kongressausschuss aufgedeckt, und die Medien berichteten welt­weit darüber, so dass es nicht als exzentrisch gilt, darüber zu sprechen. Allmählich wird deutlich, was ich unter der Spaghetti­-Theorie der Verschwörung verstehe, besonders, wenn ich daran erinnere, dass Roselli am Druck von Aktien im Wert von einer Milliarde Dollar ($ 1.000.000.000) betei­ligt war, die für die Vatikanbank bestimmt waren. Ge­naueres finden Sie in The Vatican Connection des New ­York Times-Reporters Richard Hammer, das ich jedem interessierten Leser ausdrücklich ans Herz lege.

Vieles spricht dafür, so Anthony Summers in Conspi­racy, dass Johnny Roselli seine Hände auch bei der Er­mordung von John und Bobby Kennedy im Spiel hatte, und zwar als Partner von Sam Giancana – dem Typ, der mit Roselli zusammen Killer für den CIA rekrutierte. Summers Beweise haben zwar keine rechtliche Beweis­kraft, sind aber doch so plausibel, dass einem die Haare zu Berge stehen. Der Kongressausschuss zu den Kennedy-Morden kam auf­grund von wissenschaftlich ausgewerteten Ton- und Bild­zeugnissen zu der Auffassung, dass es zwei Schützen am Dealy Plaza von Dallas gab – einen vorne und einen hinten. Auf der Basis weniger eindeutiger, doch überzeu­gender Beweise folgerte der Untersuchungsausschuss wei­ter, dass eine Verschwörung von mehr als zwei Personen wahrscheinlich, und eine mögliche Verstrickung der Ma­fia eine eingehendere Untersuchung wert sei. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Prof. Howard Blakey, wurde auf einer Pressekonferenz noch deutlicher. „Ich bin vollkommen überzeugt, dass die Ma­fia dahintersteckt“, erklärte er. „Es ist eine historische Tatsache.“ (Zitiert in Summers Conspiracy.) Sam Giancana wurde im Juni 1975 erschossen, nachdem er einmal vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt hatte und über eine weitere Befragung verhandelte, die nach dem Willen ihres Vorsitzenden unter Eid erfolgen sollte. Giancana wurde in den Mund geschossen – eine klassische Tötungsart der sizilianischen Mafia für ver­meintliche Verräter, die mit dem Ausdruck Sasso in bocca bezeichnet wird.

Johnny Roselli starb ein Jahr später, nachdem auch er vom Untersuchungsausschuss vorgeladen worden war. Der Journalist Jack Anderson sagte später aus, Roselli habe ihm erklärt, er selbst sei nicht an der Ermordung der Kennedys beteiligt gewesen, wohl aber ein anderer Ma­fia-Clan. Die Mafia hat ihr internationales Imperium nur deshalb aufbauen können, weil die populärsten Drogen unserer Zeit illegal sind. In den letzten vierzig Jahren sind die Mafiabosse von Multimillionären zu Multimilliardären avanciert, nur weil völlig absurde Drogengesetze auch heute noch gültig sind. In „liberalen“ oder „gebildeten“ Kreisen ist es durchaus legitim zu behaupten, sie hätten sich aufgrund von Dummheit, konservativen Einstellungen oder Aberglau­ben halten können. Deutet man aber an, dass sie nur deshalb noch wirksam sind, weil bestimmte Leute daran verdienen, gilt man entweder als Sonderling oder als übergeschnappt. Wie auch immer, schon die alten Römer stellten, wenn es um Sozialpolitik ging, die alles entscheidende Frage: Cui bono? (Wem nützt es?)

Interludium & Koan

Im CIA-Jargon ist ein „nützlicher Idiot“ einer, der für ihn arbeitet, ohne es zu wissen. Mein Engagement für radikale Politik hat mir ein blei­bendes Vermächtnis beschert. Immer wenn ich den Ver­dacht habe, dass ich mich oder meine Theorien zu ernst nehme, halte ich inne und frage mich: „Kann es sein, dass ich ein nützlicher Idiot bin?“

Staat als Verschwörung

Ohne Gesetzmäßigkeit keine Gesetzlichkeit.
— Laotse, Tao Te-King

Wahrscheinlich ist der Staat, so wie wir ihn kennen, im Innersten ein verschwörerischer Organismus. Es gebe weder einen anthropologischen noch einen historischen Beleg dafür, dass so etwas wie Rousseaus „Gesellschafts­vertrag“ in der Vorgeschichte bekannt war, behauptet der Soziologe Franz Oppenheimer in seinem Werk Der Staat – im Gegenteil, der Staat als solcher tauche in der Ge­schichte erst nach Eroberungen durch bewaffnete Kräfte auf. Eine Elite der Eroberer schaffe bestimmte Institutio­nen wie Polizei, Armee, Besteuerung, also das Skelett des Staates, so wie wir ihn aus der Geschichte kennen, um ihre Macht über die Eroberten zu behaupten. Es ließen sich keinerlei Hinweise auf Stämme beobachten, die ei­nen solchen Vertrag friedlich eingegangen wären und sich damit selbst einer Maschinerie der Unterdrückung ausgeliefert hätten. Es seien stets die Eroberer gewesen, die sie ihnen aufgezwungen hätten.

Bakunin argumentiert in Gott und der Staat dahinge­hend, dass kein Mensch „Gott“ oder den „Staat“ je gese­hen hat. Das ist zwar verblüffend, aber wahr. Menschen, die sich Priester nennen, behaupten „Gott“ zu vertreten; andere Menschen, die sich Beamte nennen, behaupten den „Staat“ zu verkörpern, und dieser metaphysische Kunstgriff dient dazu, Taten zu rechtfertigen, die nicht nur als kriminell, sondern auch als barbarisch eingestuft würden, wenn man sich vor Augen hielte, dass es nur Menschen sind, die sie verüben. Eine ähnliche verbale Magie – sinnlose Begriffe wie „Ketzerei“ und „Verrat“ ­soll die Opfer überzeugen, dass Widerstand schändlich ist, Flucht oder Kampf verwerflich, und die Meinung, man sei ein Opfer, geradezu frevlerisch.

Mit anderen Worten, jeder, der einen anderen beraubt, ist ein Dieb – es sei denn, er tritt im Namen des Staates auf, dann ist er kein Dieb, sondern lediglich ein Steuer­eintreiber. Jeder, der Millionen von Menschen umbringt, ist ein Verrückter – es sei denn, er behauptet, ein „Diener des Herrn“ zu sein, dann ist er kein Mörder, sondern ein Kreuzritter. Gegen einen Banditen darf ich mich mit Fug und Recht wehren, leiste ich jedoch Widerstand gegen einen Mann der Kirche oder des Staates, muss ich ein schlechtes Gewissen haben, denn dies ist gleichbedeutend mit „Ketzerei“ oder „Verrat“. Da der Staat aus einer Eroberung hervorging und durch Metaphysik (oder im Jargon der Logischen Positivisten, durch „Missbrauch von Sprache“) aufrechterhalten wird, folgt er Oglesbys Gesetz: „Wo die Macht keine Grenzen erfährt, gibt es auch für die Verschwörung keine.“

Wir haben bereits Anthony Summers Conspiracy zitiert, um zu zeigen, dass begründete Hinweise für die Behaup­tung sprechen, die Mafia sei am Mord der beiden Ken­nedy-Brüder beteiligt, wenn nicht gar ihr Urheber gewe­sen. Das ist alles andere als Paranoia. Nach Summers neuestem Werk (Goddess) sprechen zahlreiche Indizien dafür, dass Sam Giancana und Johnny Roselli für die Wanzen im Schlafzimmer eines Hauses verantwortlich waren, das Peter Lawford gehörte, und wo sich Marilyn Monroe und Bobby Kennedy zu angeblich heimlichen Schäferstündchen trafen. Auch Jimmy Hoffa von der Teamster’s Union, den Bobby Kennedys auf eine neue harte Linie eingeschworenes Justizministerium einge­buchtet hatte, soll an der Verschwörung beteiligt gewesen sein. Sie hatte das Ziel, Material zu sammeln, um Bobby zu erpressen. Eine BBC-Dokumentation, die sich auf Summers Buch stützte – Say Goodnight to the Presi­dent (BBC-TV 1985) -, erhärtet seine Behauptungen.

Giancana und Roselli wurden Mitte der 70er Jahre er­schossen. Jimmy Hoffa verschwand einfach von der Bild­fläche und tauchte weder tot noch lebendig wieder auf. Man munkelt, er liege in Illinois unter einem Highway begraben. Norman Mailer gewann während der Recherchen für seine Marylin Monroe Biographie den Eindruck, dass an ihrem Tod etwas vertuscht werden sollte. Mailer schloss sogar die Möglichkeit eines Mordes nicht aus. Laut Summers Goddess und der zuvor erwähnten BBC­ Dokumentation gab es in der Tat eine Verschwörung. Marylins Tod wurde drei Stunden lang geheimgehalten, während unbekannte Personen alle Beweise für die Affäre mit John und Bobby Kennedy aus ihrem Haus entfern­ten. Die Last der Indizien legt nahe, dass diese Verschwö­rung von Peter Lawford initiiert wurde, einem Schwager der Kennedys, der Marylin gelegentlich sein Haus zur Verfügung gestellt hatte. Es ist nicht bewiesen, dass Law­ford je daran dachte, oder daran denken wollte, dass er auch die Spuren eines Mordes verwischte. Wahrschein­lich dachte er, oder wollte er denken, dass er nur die Spuren einer peinlichen Affäre beseitigte. Die Möglich­keit eines Mordes bleibt nach wie vor Spekulation, wenn­gleich Hank Messick, früherer Berater des New Yorker Komitees zur Verbrechensbekämpfung, noch heute daran festhält. Messick behauptet, ungenannte, doch gut unterrichtete Kreise hätten ihm gegenüber erklärt, dass Mary­lin ermordet wurde, um Bobby Kennedy in die Falle zu locken. Man habe Kennedy unter Druck setzen wollen, damit er seinen Feldzug gegen die Mafia einstellte. Möglich, dass an dieser Theorie was dran ist.

Eine andere Geliebte von John F. Kennedy – die er nicht an Bobby weiterreichte – war eine gewisse Judith Exner. Miss Exner war, wie der Untersuchungsausschuss später herausfand, vor, während und nach der Affäre mit dem Präsidenten auch die Freundin des Mafioso Sam Gian­cana. Der Untersuchungsausschuss kam zu der Ansicht, dass Mr. Giancana Miss Exner wahrscheinlich mehr oder weniger überredet hatte, mit dem Präsidenten ins Bett zu gehen, um ihn später erpressen zu können. Mr. Giancana wurde, wie man sich erinnern wird, vom Untersuchungs­ausschuss auch verdächtigt, an der Ermordung John F. Kennedys beteiligt gewesen zu sein, und er wurde er­schossen, kurz bevor er vor dem Ausschuss aussagen sollte. Eine weitere Affäre hatte John F. Kennedy mit Mary Pinchot Meyer, einer höchst interessanten Frau. Verhei­ratet war sie mit Cord Meyer, einem ranghohen CIA ­Beamten, dem einzigen, der dreimal mit der Ehrenme­daille dieser Organisation ausgezeichnet wurde. Außer­dem war Mary Pinchot Meyer eine Intimfreundin von Dr. Timothy Leary, der in seiner Biographie Denn sie wussten, was sie tun beschreibt, wie Mary ihm 1962 verriet, dass der CIA ihn und andere Wissenschaftler hindern wollte, die Ergebnisse ihrer Experimente mit LSD zu veröffentlichen, um die bewusstseinsverändernden Eigenschaften der Droge für sich zu behalten. 1964, etwa ein Jahr nach dem Mord an John F. Kennedy (oder zwei Jahre nach dem mysteriösen Tod von Marilyn Monroe), wurde Mary Pinchot Meyer in Washington auf offener Straße erschossen.

Anschließend ist Dr. Leary wiederholt verhaftet worden. Obwohl jede Anschuldigung gegen ihn bis auf eine fal­lengelassen werden musste, wurde er schließlich wegen Besitz eines halben Joints zu 37 Jahren verknackt und erst nach Verbüßung von fünf Jahren entlassen. Normalerweise hätte die Strafe für dieses Ver­gehen im Staat Kaliformen sechs Monate betragen. Leary behauptete, er sei von dem Beamten, der ihn festnahm, reingelegt worden, und er behauptete auch, dass der Mord an Mary Pinchot Meyer ein Komplott war. Doch nie­mand interessierte sich für die Behauptungen Learys, denn schon über ein Jahr vor seiner Entlassung waren gezielt Gerüchte in der Presse verbreitet worden, wonach die Behörden es geschafft haben sollten, Leary „umzu­drehen“. Komischerweise gibt es keinerlei Beweise dafür, dass irgend jemand aufgrund seiner Aussage verurteilt wurde; trotzdem „weiß“ heute jeder, dass Leary ein In­formant der Bullen ist. Wie der Franzose sagt: Das alles gibt einem gewaltig zu denken.

Propaganda Due (P2)

Mach ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.
— Don Corleone

Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass die Initiation zum Freimaurer ersten Grades eine deutliche Warnung enthält. Sollte der Kandidat je auf die Idee kommen, einen seiner Brüder zu verraten, wird er gejagt und dort gehenkt, wo die Flut seine Leiche bedeckt. Aber das ver­gessen wir am besten schnell wieder. Es ist nur ein „Ri­tual“, das man nicht allzu wörtlich nehmen sollte. Au­ßerdem hatte schon Hitler nichts für die Freimaurer üb­rig, und wenn wir nicht aufpassen und weiter darüber nachgrübeln, warum Freimaurer andere Freimaurer auf­hängen, verwandeln wir uns womöglich selbst in Mon­ster vom Schlage eines Hitler. Am Morgen des 18. Juni 1982 fand man die Leiche des Freimaurers Roberto Calvi. Sie hing unter der Blackfriars Bridge in London – wo die Flut seine Leiche bedeckte.

Ein liberales oder auch „aufgeklärtes“ Bewußtsein verbie­tet uns einen Gedanken, der an dieser Stelle ziemlich einleuchtend wäre. Trotzdem erscheint es möglich, dass Signor Calvi von Freimaurern ermordet wurde, oder von Personen, die sich große Mühe geben, uns glauben zu machen, es seien Freimaurer gewesen. Zur Zeit seiner Ermordung befand sich Calvi auf der Flucht aus Italien, wo er wegen massiven Aktienschwin­dels und Veruntreuung vor Gericht stand. Als Präsident der Banco Ambrosiano gehörte Calvi zu den wenigen Auserwählten, die mit der Regelung der finanziellen An­gelegenheiten im Vatikan betraut waren. Aufgrund der engen Verflechtung zwischen der Banco Ambrosiano und dem IOR (Istituto perle Opere Religiose = Vatikan­bank), sowie seiner finanziellen Eskapaden, hatte er dem Vatikan Schulden in Höhe von Hunderten Millionen Dollar hinterlassen. Seine Witwe Clara Calvi behauptet, „hohe Persönlichkeiten im Vatikan“ hätten die Ermor­dung ihres Gatten inszeniert.

Stephen Knight, ein englischer Journalist, will sich der Auffassung Signora Calvis nicht anschließen. In seinem Buch The Brotherhood vertritt er die These, Calvi sei von seinen Brüdern in der berüchtigten Freimaurerloge P2 (Propaganda Due) hingerichtet worden. Zwei andere Journalisten, Foote und della Torre, bieten eine dritte Variante an. In Unsolved: The Mysterious Death of God’s Banker bemühen sie sich nachzuweisen, dass Calvi, der, wie alle Welt weiß, in der Banco Ambrosiano und der Vatikanbank Geldwäscherei im großen Stil mit Erlösen aus Rauschgiftgeschäften betrieb, der Mafia zum Opfer fiel, weil er sie bei einem Heroindeal reingelegt hatte. Im Verlauf ihrer ersten Sitzung erklärte die zuständige Untersuchungskommission – zugegebenermaßen auf der Grundlage von unzureichenden Indizien -, der Bankier habe Selbstmord begangen. Nach massiver Kritik seitens der Presse trat eine zweite Kommission zusammen und erklärte, nicht entscheiden zu können, auf welche Weise der Mann zu Tode gekommen sei. Das wichtigste Argu­ment, das gegen die Theorie eines Selbstmords sprach und in allen Untersuchungen des Falles Calvi erwähnt wurde, lautet, dass Calvi an einem Träger der Brücke baumelte, der selbst für einen geübten Akrobaten schwer zugänglich gewesen wäre. Calvi war zweiundsechzig, übergewichtig und schien sich aus Sport oder anderen Fitnessübungen nie etwas gemacht zu haben.

Ist es dann paranoid oder an den Haaren herbeigezogen, wenn man hinter Calvis Tod eine Verschwörung vermu­tet?

Als die Leiche gefunden wurde, entdeckte man, dass Cal­vis Hose mit Ziegelsteinen gefüllt war – rational schwer zu erklären, doch deutet dieser Symbolismus eindeutig in Richtung Freimaurerei. Am selben Tag, an dem Calvi unter der Blackfriars Bridge baumelte, starb in Mailand seine Sekretärin Graziella Corocher unter nie geklärten Umständen: Sie stürzte oder sprang aus einem Fenster von Calvis Banco Ambro­siano – oder sie wurde gestoßen.

P2, die quasi-freimaurerische Geheimgesellschaft, der Calvi angehörte, wird von der italienischen Staatsanwalt­schaft zahlloser Fälle von Betrug, Geldwäscherei im Zu­sammenhang mit Drogengeschäften der Mafia, Ein­schleusung von mehr als neunhundertfünfzig Agenten in die italienische Regierung, terroristischer Bombenan­schläge und der Verschwörung beschuldigt, mit dem Ziel, mittels eines Coup d’Etat eine faschistische Regierung in Italien zu etablieren. Die Wirtschaftsjournalistin Penny Lernoux fügt in ihrem Buch In Banks We Trust noch hinzu, zahlreiche Indizien sprächen dafür, dass die P2 die wichtigste Einnahmequelle für faschistische Regime in Lateinamerika sei, und sie zahlreichen nationalsozialisti­schen Kriegsverbrechern geholfen habe, eine neue Identi­tät aufzubauen und einen Job bei den vom CIA unter­stützten Todesschwadronen, Hauptstützen faschistischer Regime, zu finden. Lernoux belegt, dass die P2 für die Rückkehr des faschistischen Peron-Regimes an die Macht verantwortlich war und Peron sich anschließend persön­lich bei Licio Gelli, dem Großmeister der P2, persönlich bedankte.

1978, vier Jahre vor Calvis Tod in London, schickte Mino Pecorelli Papst Johannes Paul I. ein Exemplar der von ihm herausgegebenen römischen Zeitschrift L’Osservatore Politico, in der er über hundert P2-Mitglieder und/oder Mitglieder anderer Freimaurerlogen namentlich auf­zählte. Alle bekleideten Ämter im Vatikan (vor allem in der Vatikanbank, die enge Geschäftsverbindungen mit Calvis Banco Ambrosiano unterhielt). Kurz darauf starb der Papst unter mysteriösen Umständen. Es wurde keine Autopsie angeordnet, und der Vatikan weigerte sich, Journalisten den Totenschein zu zeigen. In seinem umstrittenen Werk Im Namen Gottes? Der mysteriöse Tod des 33-Tage-Papstes ]ohannes Paul I. Tatsachen und Hintergründe versucht David Yallop nachzuweisen, dass der Papst von Vatikanbeamten vergif­tet wurde, die entweder Mitglieder der P2 waren oder aber mit ihr in Verbindung standen. Mr. Yallop kann zwar seine Anschuldigungen, streng juristisch gesehen, nicht beweisen, doch ist seine Argumentation durchaus schlüssig.

Was immer hinter dem Tod von Papst Johannes Paul I. stecken mag, über den Tod Signor Pecorellis, der dem Papst die Liste mit den P2-Mitgliedern im Vatikan zu­spielte, gibt es keinerlei Zweifel. Pecorelli wurde in sei­nem Wagen erschossen. Sein Mörder hatte ihm den Lauf einer Pistole in den Mund gesteckt und dann zweimal abgedrückt – derselbe Sasso in bocca wie bei Sam Gian­cana. Es scheint unbestreitbar, dass Pecorelli der Mafia zum Opfer fiel – oder Personen, die sich große Mühe gaben, uns glauben zu machen, es könnte sich um die Mafia handeln.

Kokain, CIA und der Papst

Kokain ist nur die Art der Natur, einem beizubringen, dass man zuviel Geld hat.
— Richard Pryor

An der zweifellos provokantesten Stelle der berühmten Watergate Tapes willigt Präsident Nixon ein, E. Ho­ward Hunt eine Million Dollar zu zahlen, damit dieser die „Sache mit der Schweinebucht“ für sich behält. Es fällt schwer, sich vorzustellen, welche „Sache“ bis 1973, als dieses Gespräch stattfand, noch nicht herausgekommen war, oder warum Nixon bereit war, eine derartig hohe Summe zu zahlen, um sie geheimzuhalten.

Teilweise liegt die Antwort wahrscheinlich in der merk­würdigen Symbiose zwischen CIA und Mafia begründet, die wir bereits erwähnten. Mr. Hunt arbeitete für den CIA, als dieser mit Unterstützung von Mr. Roselli und Mr. Giancana Mordpläne gegen Fidel Castro schmiedete und die Invasion der Schweinebucht Gestalt annahm. Ein anderer Teil der Antwort findet sich möglicherweise in der Geschichte der World Finance Corporation, einer Bank in Miami, Florida, die Pleite machte, nachdem ihr Vorstand 1981 wegen wissentlicher Geldwäscherei im Zusammenhang mit den Kokaingeschäften diverser la­teinamerikanischer Diktatoren verurteilt worden war. Präsident der World Finance Corporation war ein gewisser Hemandez Cataya, der ebenfalls mit Mr. Hunt im Dienst des CIA gestanden hatte, als die Invasion der Schweine­bucht geplant wurde.

Zwei weitere Geschäftsführer der World Finance Corpora­tion entpuppten sich als ehemalige Angestellte des CIA. „Ehemalige Angestellte des CIA“ kann zweierlei bedeu­ten: entweder, dass die Betreffenden die Organisation verlassen haben und keine Verbindung mehr zu ihr unter­halten, oder dass sie weiter für sie arbeiten und Zuwendun­gen über Schweizer Nummernkonten erhalten, obwohl ihre Namen nicht länger in den Unterlagen des Geheim­dienstes erscheinen. Nur Gott und der Chef des CIA wissen, was der Begriff „ehemalige Angestellte“ im Fall der World Finance Corporation und ihrer lukrativen Ko­kaingeschäfte zu bedeuten hat, die unter anderem der Unterstützung einiger Lieblingsdiktatoren der Organisa­tion dienten.

Die Wirtschaftsjournalistin Penny Lernoux, die in ihrem Buch In Banks We Trust auch diese kuriose Bank unter die Lupe nimmt, zitiert Mitglieder der Staatsanwaltschaft von Dade County sowie eines Kongressausschusses. Ohne Um­schweife räumen diese ein, dass sämtliche Versuche, die Rolle, die der CIA im Fall der World Finance Corporation spielte, zu durchleuchten, an einer Mauer des Schweigens abprallten. Trotzdem kam folgendes heraus: Das Kokaingeld wurde gewaschen, indem es in ein merkwürdiges System einge­schleust wurde, dessen Ursprünge bei einer noch zwielich­tigeren Bank namens Cisalpine auf den Bahamas lagen. Die Haupteigentümer der Cisalpine Bank waren Roberto Calvi (Sie erinnern sich?) und Erzbischof Paul Marcinkus von der Vatikanbank. Miss Lernoux glaubt, dass das Dro­gengeld durch Calvis Banco Ambrosiano und die Vatikan­bank wanderte, bevor es in irgendeinem fahndungssiche­ren Schwarzen Loch verschwand.

Lernoux behauptet – wie auch Yallop in dem bereits zitierten Werk Im Namen Gottes? -, die profitable Ver­schwörung sei von Licio Gelli, dem Großmeister der P2, angeführt worden. Gelli, der in Italien (unter anderem) wegen Verschwörung, Mord, Betrug und der Planung eines Staatsstreichs angeklagt wurde, tauchte in Uruguay unter, nachdem er in der Schweiz verhaftet worden und in weniger als einer Woche aus einem angeblich ausbruchsi­cheren Gefängnis entkommen war.

Es sieht zwar so aus, als habe Signor Gelli von Anfang an hinter der Geheimgesellschaft P2 gesteckt, doch ist diese These von mehreren Journalisten in Zweifel gezogen wor­den. Stephen Knight behauptet in The Brotherhood, Gelli habe für den KGB gearbeitet, und versucht zu beweisen, dass die P2 ein sowjetisches Experiment war, um eine westliche Regierung zu destabilisieren. Knight gründet seine Theorie auf die Aussage eines britischen Geheim­dienstlers, aus der wir folgern können, dass Gelli entweder für den KGB tätig war oder dass die Jungs beim MI-5 ein eigenes Interesse daran hatten, uns glauben zu machen, dass er für den KGB arbeitete.

Sowohl Lernoux wie Yallop sind der Ansicht, es gebe zwar Hinweise darauf, dass Gelli vom KGB angeworben worden sei, noch gewichtigere Indizien aber sprächen dafür, dass er vorher für den CIA gearbeitet habe – in den fünfziger Jahren organisierte er Anschläge auf mehrere italienische Gewerkschaftsführer, deren Politik Washington nicht passte. Die Vermutung liegt nahe, dass Gelli aus dem „Krieg der Geheimdienste“ seinen eigenen Nutzen zog. Viele italienische Journalisten haben nachzuweisen ver­sucht, dass Gelli und die P2 als „Tarnung“ für eine andere, ältere Freimaurergruppe dienten. Larry Gurwin vom In­stitutional Investor (London) zitiert in seinem Buch The Calvi Affair ein früheres P2-Mitglied mit der Behauptung, die mysteriöse Loge habe ihren Sitz in Monte Carlo.

Gurwin weist aber auch darauf hin, dass Gelli Mitglied der Großloge der Hohen Ägyptischen Freimaurerei war, bevor die P2 gegründet wurde. Die Großloge ist Kennern der Verschwörungsliteratur natürlich ein Begriff. Sie wurde 1771 vom Herzog von Orleans und dem geheimnisvollen Grafen Cagliostro gegründet, und viele glauben, dass sie bestimmte Ereignisse während der Französischen Revolu­tion manipulierte, um Orleans auf den Thron zu heben. Wenn das stimmt, so war ihr, wie den meisten derartigen Komplotten, kein Erfolg beschieden: Orleans endete unter dem Fallbeil und nicht auf dem Thron. Trotzdem spielte die Großloge eine so bedeutende Rolle bei vielen politi­schen Abenteuern und Verbrechen großen Stils, dass briti­sche Freimaurer sich weigerten, sie als „echte“ Freimau­rerloge anzuerkennen.

Die Flucht des Großmeisters Licio Gelli aus einem angeb­lich ausbruchsicheren Schweizer Gefängnis hat Spekula­tionen Auftrieb gegeben, wonach die Macht der P2 nach wie vor ungebrochen ist, trotz der Verfolgung Hunderter ihrer Mitglieder in Italien. Yallop und Lernoux kommen unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass die P2 in ganz Lateinamerika äußerst aktiv ist; Yallop behauptet außerdem, dass auch in den Vereinigten Staaten noch eine mächtige P2-Loge operiere.

Vielleicht darf ich an dieser Stelle auf einige Ansichten von Roberto Calvi, einem Kenner dieser Materie, hinweisen. Sowohl bei Yallop wie auch bei Gurwin finden sich Hin­weise, dass Calvi Mario Puzos Roman über die Mafia, Der Pate, bei mehreren Gelegenheiten empfahl und be­hauptete, es sei das einzige Buch, das erzähle, „wie es auf der Welt tatsächlich zugeht“. Calvi glaubte an das, was die Italiener Potere occulto nennen – eine verborgene Macht, die hinter den Kulissen operiert. Sein Sohn Carlo behaup­tet, Roberto sei „von Geheimgesellschaften“ fasziniert gewesen, und Calvis Anwalt erklärte Gurwin gegenüber, Roberto Calvi sei fest davon überzeugt gewesen, dass die Welt von Verschwörungen regiert werde.

Der Plural ist von großer Bedeutung. Amateure auf die­sem Gebiet scheinen immer wieder den Fehler zu machen, von einer einzigen Riesenverschwörung auszugehen. Das rührt daher, dass Verschwörungen – wie ein Teller Spa­ghetti – von unzähligen Verwicklungen und Überlappun­gen gekennzeichnet sind. Die Spaghetti jedoch mit einem kohärenten oder intelligenten Organismus zu verwech­seln ist dasselbe, wie Treibgut auf dem Meer für die Umrisse einer feindlichen Armee zu halten. Es ist bemerkenswert, dass Gurwin, obgleich er für den konservativen Institutional Investor arbeitet, nach Ver­folgung der verschlungenen Wege des Vatikans, der Ma­fia, des CIA und der Freimaurerei durch den Dschungel der Irreführung und Verschleierung zu dem Schluss ge­langt, Roberto Calvis Weltsicht sei möglicherweise weit zutreffender, als irgend jemand sich vorzustellen vermag.

Verquere Songs und muntere Weisen

Das Schachbrett ist die Welt … der Spieler auf der anderen Seite unsichtbar.
— Thomas Henry Huxley, Collected Essays

Sämtliche Geheimgesellschaften haben ihre eigenen Mythen – so die Freimaurer die Allegorie vom Sohn der Witwe -, doch scheint überhaupt allen menschlichen Gruppen das Bedürfnis nach symbolischer oder transzen­dentaler „Wahrheit“, also nach Mythos und Allegorie, gemeinsam zu sein.

Manche Geheimgesellschaften haben natürlich echte Ge­heimnisse, denn konventionelle „Geschichte“ und „Wahrheit“ entpuppen sich, wie Marx deutlich machte, in jedem Stamm, bei jeder Nation als Mythen der herr­schenden Klasse. Die Wahrheit ist immer „mit sieben Siegeln verschlossen“, weil niemand so paranoid ist wie professionelle Verschwörer und die herrschenden Eliten ausnahmslos Angst haben, dass irgendein wirkliches Wis­sen zum Allgemeingut werden könnte.

Diejenigen, die Geld horten, Titel vergeben und so wei­ter, speichern auch Informationen; das ist ein natürlicher Reflex von Säugetieren und zugleich, wie von Neumann und Morgenstern in Spieltheorie und Wirtschaftswissen­schaft mathematisch beweisen, der Schlüssel aller Strate­gie. Informationen zurückzuhalten und falsche Informa­tionen zu verbreiten sind erfolgreiche Strategien beim Pokern, beim Wettbewerb und bei heißen oder kalten Kriegen. Alle Stempel mit der Anweisung VERTRAU­LICH! oder STRENG GEHEIM! sind Beispiele für diese Angewohnheit von Primaten, Information zu horten. Werfen wir in diesem Zusammenhang einen Blick auf Pater Juan Krohn, der 1982 in Fatima versuchte, Papst Johannes Paul II. zu ermorden. Während der Gerichts­verhandlung erklärte Pater Krohn, der Vatikan sei in den letzten Jahrzehnten von „Freimaurern und Satanisten“ übernommen worden. Dies war auch die Theorie des abtrünnigen Erzbischofs Lefebvre in Frankreich, der Pater Krohn zum Priester weihte und in dessen intellektueller Entwicklung eine entscheidende Rolle spielte. Viele Gläu­bige haben sich gefragt, warum Lefebvre, dessen An­schuldigungen gegen den Vatikan Legion sind, nie ex­kommuniziert wurde. Die Autoren Lincoln, Leigh und Baigent zitieren in ihrem umstrittenen und äußerst spe­kulativen Werk Der Heilige Gral und seine Erben die Ansicht eines Anhängers Lefebvres in England, wonach der aufsässige Prälat über eine Waffe gegen den Vatikan verfügen soll, die angeblich „die Welt erschüttern“ wird.

Worum es sich bei dieser Waffe auch handeln mag, es sind wahrscheinlich nicht intime Details über die Unter­wanderung der Vatikanbank durch Freimaurer oder die P2; die sind zur Genüge veröffentlicht worden, und der Vatikan hat sie behandelt wie alle unwillkommenen Nachrichten. Am 23. Juni 1983 veröffentlichte die Irish Press folgende wohlformulierte Stellungnahme des Pap­stes zu einer Untersuchung über vermeintliche Betrüge­reien und Drogengeschäfte, in welche die Vatikanbank verwickelt war:

In den Zeitungen stehen alle möglichen unglaubli­chen Meldungen, die jeder Grundlage entbehren. Sie sollten nicht zulassen, dass Ihr Glaube durch Dinge erschüttert wird, die Sie in der Zeitung lesen. 

W. C. Fields hätte es nicht besser ausdrücken können. Was die gefährliche Waffe angeht, die der abtrünnige Lefebvre möglicherweise gegen den Vatikan in der Hand hat, tappen wir also weiter im dunkeln. Pater Malachi Martin S. J. berichtet in seinem Buch The Decline and Fall of the Roman Church, Lefebvre habe zuerst Papst Johannes Paul I. eine Mappe mit Dokumenten zugespielt, die freimaurerische Verbindungen hoher Vatikanbeamter belegten, zusammen mit Fotos von Kardinälen in Ge­sellschaft ihrer Lustknaben oder ähnlichen Geschmacklosigkeiten. Doch der Papst verschied, ehe er in irgendeiner Form Stellung nehmen konnte. Nach seinem plötzlichen Ableben erklärte Abbe Ducaud-Bourget, Lefebvres rechte Hand, vor der Presse: „Es ist kaum anzunehmen, dass er eines natürlichen Todes starb“, was einen neuen Höhe­- oder Tiefpunkt im Propagandakrieg zwischen Anhängern Lefebvre­s und dem Vatikan darstellte. Irgendwie hat man das Gefühl, dass vieles im dunkeln blieb.

Sowohl der Erzbischof Lefebvre als auch der Abbe Du­caud-Bourget, so Jean Delaude in Le Cercle d’Ulysse, sind Mitglieder der Priorei von Zion. Delaude bezeichnet diese als alten katholischen Orden, streng konservativ, der Le­febvre zum nächsten Papst machen will. Weiterhin be­hauptet er, Abbe Ducaud-Bourget sei der gegenwärtige Großmeister der Priorei, der 1963 die Nachfolge Jean Cocteaus angetreten habe. Eine ganz andere Sicht vertritt Gerard de Sede in La race fabuleuse . Er erklärt, dass die Priorei aus den Nachfahren der Merowinger und einigen ihrer Verbündeten hervor­ging, die sich der Sache der Merowinger verschrieben hätten.

Eine andere, von de Sede nicht benannte Gruppe, die jedoch verdächtige Ähnlichkeit mit dem Vatikan be­sitzt, verfolgt und ermordet die Merowinger seit über tausend Jahren; sie tötete den letzten König der Mero­winger, Dagobert II., am 23. Dezember 689 und (mög­licherweise aus Gründen der Symmetrie) am 23. Dezem­ber 1971 de Sedes Hauptinformanten, einen gewissen „Marquis de B“. Am Ende dieser seltsamen und unbe­wiesenen Theorie offenbart de Sede das Geheimnis der Merowinger und der Priorei von Zion: Übermenschliche Wesen seien es, Abkömmlinge einer Verbindung zwi­schen dem Stamm Benjamin im alten Israel und Außer­irdischen vom Sirius. De Sede verliert kein Wort über Erzbischof Lefebvre, doch ist das auch nicht nötig – die Außerirdischen sind aufregend genug.

Der Schweizer Journalist Mathieu Paoli sah die Sache noch anders, wie er in seinem Buch Les Dessous d’une Ambition Politique darlegte. Auch Paoli erwähnt den abtrünnigen Erzbischof nicht. Er berichtet, dass die Pro­paganda der Priorei von Zion innerhalb der Schweiz über die Großloge Alpina verbreitet wird, der größten Frei­maurerloge des Landes und derjenigen, die angeblich die Kontrolle über das Schweizer Banksystem ausübt. (Ei­genartigerweise deutet Yallop in seinem Buch Im Namen Gottes? an, dass sich unter den Freimaurern in der Vati­kanbank neben Mitgliedern der P2 auch solche der Groß­loge Alpina befanden.) Paoli fand heraus, dass Circuit, das Nachrichtenmagazin der Priorei von Zion, durch die Großloge Alpina vertrieben wurde, hauptsächlich ob­skure Artikel über Astrologie und Okkultismus enthielt und laut Titelseite von einem „Komitee zur Sicherung der Rechte und Privilegien preiswerten Wohnens“ her­ausgegeben wurde, was von einem gewissen hermeti­schen Humor seitens der Priorei zeugt. Tatsächlich stammte Circuit, wie Paoli herausfand, aus dem Büro einer Verwaltungsabteilung namens „Komitee für Öf­fentliche Sicherheit“ in Paris.

Direktoren des „Komitees für Öffentliche Sicherheit“ waren damals Andre Malraux, der bekannte Kritiker und Romancier, und Pierre Plantard de Saint Claire, von dem wir bald mehr erfahren und weniger verstehen werden. Sowohl Malraux wie auch Plantard dienten während des Zweiten Weltkriegs unter de Gaulle in der französischen Befreiungsarmee und blieben nach dem Krieg befreundet. Natürlich wurde Paoli bei seinen Nachforschungen be­züglich der Priorei von Zion behindert, trotzdem gipfelt sein Buch in der Schlussfolgerung, dass der Einfluss der Priorei bis weit in die französische Regierung und das Bankensystem der Schweiz hineinreicht.

De Sedes Buch über die hebräisch-außerirdischen Ur­sprünge der Priorei war noch nicht erschienen, als Paoli Les Dessous veröffentlichte; es ist daher amüsant, dass er darin ohne Kommentar das Titelblatt einer Circuit-Aus­gabe abdruckte. Es zeigt eine Karte von Frankreich mit einem Davidstern, und darüber ein Ding, das aussieht wie ein Raumschiff … noch ein Beispiel für hermetischen Humor, vermute ich. Das Titelblatt scheint bewusst mit der Paranoia nicht nur der Antisemiten, sondern auch der Anhänger teuflischerer UFO-Theorien zu spielen. Es ist (hoffentlich) nur ein Zufall; Paoli jedoch wurde kurz nach der Veröffentlichung seines Buches in Israel als Spion hingerichtet.

Die Literatur über die Priorei von Zion dagegen wächst und gedeiht. Glaubt man Lincoln, Baigent und Leigh (Der Heilige Gral und sein Erben), so besteht das Geheimnis der Priorei von Zion darin, dass ihre Anführer, wie auch de Sede behaup­tet, von den Merowingern abstammen. Die Merowinger ihrerseits hätten jedoch nichts mit Außerirdischen zu tun, sondern gingen zurück auf Jesus Christus und Maria Magdalena. Weiter heißt es (wie bei de Sede nur vage angedeutet), der Vatikan habe Dagobert II. ermorden las­sen, was jedoch nicht unbedingt bedeuten müsse, dass der Vatikan auch den Nachfahren Dagoberts – oder Jesu ­nach dem Leben trachte. Die Autoren bezeichnen Pierre Plantard de Saint Claire, nicht den Abbe Ducaud-Bour­get, als Großmeister der Priorei von Zion und versuchen nachzuweisen, dass Plantard ein direkter Nachkomme von Jesus Christus und Maria Magdalena war.

Monsieur Plantard gab den Autoren tatsächlich ein Inter­view, in dem er sich von einer ausgesucht okkulten und nebulösen Seite zeigte. Er gab keinerlei Auskünfte über seine Abstammung, räumte jedoch ein, dass sich die Prio­rei von Zion im Besitz eines Schatzes befinde, der Israel gehöre, dass dieser Schatz nicht materieller, sondern spiri­tueller Natur sei und dass er Israel „zu gegebener Zeit“ zurückgegeben werde. Dies könnte ein nützlicher Hin­weis, ebensogut aber ein geschicktes Ablenkungsmanöver sein. Folgt man Michael Lamys Werk Jules Verne: Initiate et lnitiateur, so war Verne Mitglied der Priorei von Zion, welche ursprünglich als Fassade für die Verschwörung der Illuminaten in der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts gedacht war. Selbstverständlich waren die Illuminaten und die Großloge der hohen Ägyptischen Freimaurerei, aus der die P2 hervorging, identisch. Das große innere Geheimnis der Priorei besteht in ihrem Wissen um einen Tempel in Rennes-le-Chateau, von dem aus ein Schacht zum Zentrum der Erde führt, und weiter zu einer Rasse von unsterblichen Übermenschen. Verne hat, wie jeder­mann weiß, in mehreren Romanen auf dieses Geheimnis angespielt.

Wie de Sedes Märchen über eine Verbindung zwischen Außerirdischen und Hebräern ist auch diese These, dass Teile von Jules Vernes Science-Fiction in Wirklichkeit wissenschaftliche Fakten seien, nicht hinreichend belegt. Doch gibt es tatsächlich einen Tempel in Rennes-le-Chateau, der auch in den meisten anderen Werken über die Priorei erwähnt wird. Ein exzentrischer Priester namens Sauniere erbaute ihn um 1890, weihte ihn Maria Magda­lena und ließ über dem Eingang eine rätselhafte Inschrift anbringen: DIESER ORT IST VOLLER SCHRECKEN. (Klar, dass die Vorstellung, Jesus habe mit Maria Magda­lena ein Kind gezeugt, dessen Nachkommen heute unter uns weilen, für einen strenggläubigen Christen ihre Schrecken haben muss.)

Eon Begg erklärt in The Cult of the Black Virgin, dass die geheimnisvollen Schwarzen Jungfrauen in europäischen Kirchen – über vierhundert davon soll es geben, die den meisten Historikern unerklärlich und dem Vatikan äu­ßerst peinlich sind – im 13. Jahrhundert durch die Priorei von Zion aufgestellt wurden. Begg, der eher esoterische Anspielungen als deutliche Erklärungen abgibt, geht so­gar noch einen Schritt weiter und behauptet, die Priorei habe gleichzeitig die Tarotkarten in Europa eingeführt und all dies habe mit Maria Magdalena und dem islami­schen Sufi-Orden zu tun. Doch werfen wir noch einen Blick auf Der Heilige Gral und seine Erben. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich in Pater Saunieres Tempel in Rennes-le-Chateau einige höchst unorthodoxe Kreuzwegstationen fänden. Eine davon stelle dar, wie der Leichnam Jesu während der Nacht von Verschwörern aus dem Grab getragen werde, so als sollte eine Auferstehung vorgetäuscht werden. Eine andere, weniger blasphemische als unheimliche, wenn man es recht bedenke, zeige unter den Zuschauern bei der Kreu­zigung einen Schotten im Kilt.

Pater Sauniere war, darüber sind sich alle Quellen einig, ein Anhänger, vielleicht sogar ein Mitglied der Hermeti­schen Bruderschaft des Lichts, einer Pariser Geheimge­sellschaft, der unter anderem auch Claude Debussy, Ge­rard Encause und Aleister Crowley angehörten. Mehrere unserer Quellen bezeugen, dass Debussy Großmeister der Priorei von Zion war. Encause, besser bekannt unter seinem Pseudonym „Papus“, verfasste eines der bedeu­tendsten Werke über das Tarot, war später in Russland eng mit Rasputin liiert und soll in undurchsichtige Machenschaften vor der Russischen Revolution verstrickt gewesen sein. Auch Crowley schrieb ein einflussreiches Buch über das Tarot und wurde Outer Head des Ordo Templi Orientis (eines Geheimbundes, der angeblich vom Sufi-Orden und den Tempelrittern abstammt). Während des Ersten Weltkrieges war Crowley für den deutschen Geheimdienst tätig, blieb jedoch seltsamerweise eng mit dem damaligen Geheimdienstchef der britischen Marine befreundet, was manch einen zu der Vermutung veran­lasste, er sei zumindest ein Doppelagent gewesen. Francis King behauptet in Satanism and Swastika, der Outer Head des Ordo Templi Orientis vor Crowley, Dr. Theodore Reuss, habe ebenfalls für den deutschen Ge­heimdienst gearbeitet und sei speziell auf Karl Marx an­gesetzt gewesen.

Es ist vollkommen sinnlos, all das auf eine einigermaßen rationale Art erklären zu wollen. Erinnern wir uns an die Spaghetti-Metapher und vergessen wir nicht, dass Ver­schwörungen ebenso wie Nationen keine permanenten Verbündeten, nur permanente Interessen haben. Es lohnt sich jedoch, darauf hinzuweisen, dass Pater Sauniere, der Maria Magdalena einen Tempel baute, den er als Ort voller Schrecken bezeichnete, und Beziehungen zur Her­metischen Bruderschaft des Lichts und zur Priorei von Zion unterhielt, aus ungeklärten Gründen später zu gro­ßem Reichturn gelangte. Lincoln, Baigent und Leigh be­haupten, der Erzherzog Johann von Habsburg habe dabei seine Hände im Spiel gehabt.

Maynard Solomon erklärt in seiner Biographie Beetho­ven, die Kantate auf den Tod von Kaiser Josef II., Beet­hovens erstes größeres Werk, sei von den Illuminaten in Auftrag gegeben worden. Die Kantate preist Kaiser Josef als Lichtbringer und Feind von Finsternis und Aberglau­ben. Die Erleuchtung des Kaisers scheint sich vor allem darin auszudrücken, dass er die Freimaurerei in Öster­reich (einschließlich der Illuminaten-Logen) legalisierte und die katholischen Schulen schloss, um sie durch eine öffentliche, säkularisierte Erziehung zu ersetzen. Welch grandiose Schlüsse ließen sich aus der Tatsache ziehen, dass ein Habsburger des 18. Jahrhunderts ein Freund der Freimaurerei und ein Held der Illuminaten war, und ein anderer Habsburger, diesmal des 19. Jahr­hunderts, einem fremden Priester mit guten Beziehungen zur Priorei von Zion zu Reichtum verhalf!

Und welch seltsame, romantische Vorstellungen brächen auf, wenn wir diese Tatsache mit der Genealogie der Merowinger in Verbindung brächten, die sich in der Bi­bliotheque Nationale befindet und Leo Shidlof zuge­schrieben wird! Dieser Genealogie zufolge stammen die Habsburger geradewegs von den Merowingern ab und sind daher Nachkommen Jesu Christi und Maria Magda­lenas, wenn sie Der Heilige Gral und seine Erben zuneigen, bzw. Abkömmlinge außerirdischer Wesen vorn Sirius, sollten sie La Race Fabuleuse vorziehen. Der gegenwärtige Spross der Familie, Dr. Otto von Habs­burg, hat Verschwörungsfreaks auf sich aufmerksam ge­macht, weil er eines der führenden Mitglieder der Bilder­herger ist – eines verschwiegenen Kreises von Finanz­männern, die sich einmal im Jahr (stets an einem anderen Ort) versammeln, ohne der Presse zu verraten, worüber sie verhandeln oder welche Ziele sie verfolgen. Neben Dr. Otto von Habsburg sind die bekanntesten Mitglieder der Bilderherger David Rockefeller, der das Bankensystem der Vereinigten Staaten kontrolliert, sowie Prinz Bern­hard von den Niederlanden. Auch Prinz Bernhard hat Shidlofs Genealogie zufolge merowingische Vorfahren. Das heißt, er ist entweder ein direkter Nachkomme Jesu Christi oder außerirdischer Be­sucher, oder irgendwelche Geheimbündler machen sich einen Spaß daraus, falsche Fährten zu legen, um Nicht­eingeweihte in die Irre zu führen.

Trilaterale Spaghetti

Jede Diskontbank bedeutet offene Korruption, Raub an der Öffentlichkeit zugunsten individueller Bereicherung; und wenn ich dies in meinem Letzten Willen ausspräche, würden die Amerikaner mich posthum für wahnsinnig erklären.
— John Adams, Brief an Benjamin Rush, Works, Bd. IX

David Rockefeller ist natürlich nicht nur der wichtigste Geldgeber der mysteriösen Trilateral Commission, son­dern darüber hinaus auch Besitzer der Chase Manhattan Bank und Mitglied des exklusiven Bilderberger-Clubs. Lyndon Larouche, der exzentrische ehemalige Trotzkist und heutige Konservative, sieht in der Trilateral Com­mission Rockefellers Versuch, die Weltherrschaft an sich zu reißen, aber Larouche glaubt auch, die eigentliche Drahtzieherin des internationalen Drogenhandels sei Kö­nigin Elizabeth II. Doch auch andere, weniger sonderbare Zeitgenossen als er haben ihre Bedenken bezüglich der Trilateral Commission. Zum Beispiel Sean McBride, Trä­ger der amerikanischen Medal of Justice, des Lenin-Frie­denspreises, der Dag-Hammarskjöld-Tapferkeitsmedaille der UNO und des Friedensnobelpreises. Er behauptet ebenfalls, dass die Trilateral Commission im Grunde nichts anderes als eine Fassade für Rockefellers Finanzin­teressen sei. McBride findet es eigenartig, dass ein kleiner Staat wie das neutrale Irland einen Premierminister und zwei Kabinettsmitglieder hat, die der Trilateral Commis­sion angehören. In der ganzen westlichen Welt sind Tri­lateralisten in hohem Maß in Regierungen vertreten, die der NATO angehören.

Penny Lernoux bezeichnet die Trilateral Commission als David Rockefellers größten Fehler. Sollte sie tatsächlich der Versuch gewesen sein, Rockefellers Finanzinteressen zu fördern, müsse man sie als absoluten Fehlschlag ein­stufen, da ihre Mitglieder größtenteils damit beschäftigt seien, sich zu streiten. Kehren wir also zur Spaghetti-Theorie zurück und erin­nern uns, dass der überwiegende Teil aller Verschwörun­gen nicht halb so gut funktioniert, wie ihre Macher es gern hätten. Noch regieren die Trilateristen die Welt nicht, aber sie sind wie Spaghetti in jeder verwandten Gruppierung auf der Welt enthalten, vorausgesetzt, diese verfügt über ein gewisses Machtpotential. Durch Prinz Bernhard besitzen sie einen direkten Draht zumindest zu den Bilderbergern, wahrscheinlich aber auch zu den Hin­termännern der Priorei von Zion, die trotz ihres offen­sichtlichen Mystizismus von einem Büro der de Gaulle­ Regierung aus operierte und heute noch Beziehungen zur Großloge Alpina und den „Gnomen von Zürich“ unter­hält (Harold Wilsons Bezeichnung für das Schweizer Bankkartell) über die Chase Manhattan Bank war Roc­kefeller finanziell in die Machenschaften der World Fi­nance Corporation mit ihren seltsamen Beziehungen zum CIA und zur Mafia verstrickt; durch die Chase Man­hattan Bank unterhält er weiterhin finanzielle Verbin­dungen zur Vatikanbank.

Übrigens war Licio Gelli nicht nur Großmeister der P2 und vorübergehender Mitarbeiter des CIA und KGB, son­dern gehörte auch den Malteserrittern an, einem der geheimsten Orden des Vatikans, der bis ins 12. Jahrhun­dert zurückreicht. Seine Mitgliedschaft verschaffte Gelli gute Beziehungen zu William Casey, dem Kopf des CIA, und General Alexander Haig, der Präsident Nixon als Berater diente und in der Reagan-Administration Außen­minister war. Beide sind Mitglieder des Malteserordens. Vielleicht erklärt dies, warum Michele Sindona, Gellis Partner in Sachen Kokainhandel und Bankbetrug, zum Antrittsball der Nixons geladen war und Gelli selbst auf dem der Reagans erschien.

David Rockefeller ist einer der bedeutendsten Geldgeber der Republikanischen Partei; zwei seiner Brüder wurden Gouverneure von New York und Arkansas. Auch hier muss die Spaghetti-Metapher herhalten, um zu erklären, warum Nixon, der Rockefeller, wie alle republikanischen Präsidenten, eine Menge verdankte, auch ein guter Freund von dessen Erzfeind Howard Hughes war. Der Krieg zwischen Rockefeller und Hughes ist wichtig­stes Thema von David Tinnings Just About Everybody vs. Howard Hughes, ein Buch, das für jemand, der den mo­dernen Kapitalismus verstehen will, mindestens so wich­tig ist wie Machiavellis Fürst für den Politologiestuden­ten. In groben Zügen geht es um folgendes: David Rocke­feller versuchte, Hughes die Kontrolle über die Trans World Airlines streitig zu machen. Der wiederum drohte, die Anlagen lieber dem Erdboden gleichzumachen, als sie Rockefeller zu überlassen. Der Machtkampf zog sich in die Länge, über Jahrzehnte hinweg, und verwandelte Hughes in einen klinischen Paranoiker, der schließlich überzeugt war, Rockefeller sei Herr über die gesamte US-Regierung. Nur: Glaubte Hughes das, weil er schon im­mer zu Paranoia neigte, oder entwickelte sich die Krank­heit erst im Verlauf seiner diversen gerichtlichen Ausein­andersetzungen mit Rockefeller?

Zu den noch ungeklärten Details im Watergate-Prozess gehört auch die Frage, warum Präsident Nixon die soge­nannten „Klempner“ – seine private kleine Spionage­-Gang, die mit ausgesprochen schmutzigen Tricks arbei­tete – an Howard Hughes auslieh, für den sie auf der Suche nach weiß Gott was in das Büro einer Zeitung einbrachen. Hughes hatte zuvor Nixons Bruder Donald eine Million Dollar übergeben, so Carl Oglesby in The Yankee and Cowboy War. Ähnlich spendabel zeigte er sich, wenn es darum ging, die Unterstützung von buch­stäblich Hunderten westlicher Politiker zu erkaufen, um Rockefellers Würgegriff nach Politikern und Richtern an der Ostküste zu verhindern. Am Ende litt Hughes an chronischem Verfolgungswahn, sperrte sich in sein Zim­mer ein und mied jeden körperlichen Kontakt zu anderen Menschen, während die Mafia, die er bekämpft hatte, um Kontrolle über die Spielcasinos von Las Vegas zu erhal­ten, nach und nach sein ganzes Imperium unterwanderte (vgl. Oglesby).

Der Malteserorden, dem unter anderen Licio Gelli, Wil­liam Casey vom CIA und General Haig angehören, ist auch Thema von Gordon Thomas‘ Buch The Year of Armageddon. Thomas behauptet, Papst Johannes Paul II. treffe sich einmal pro Woche in Rom mit Beamten des CIA und setze Malteserritter als Kuriere für Geheimin­formationen ans CIA-Hauptquartier in Alexandria, Vir­ginia ein. All das erinnert mich an eine Äußerung des Philosophen Alan Watts:

Der entscheidende Irrtum der akademischen Historiker ist ihr Glaube, das Römische Reich sei „untergegangen“. Es ist niemals „untergegan­gen“. Noch immer kontrolliert es die Welt mit Hilfe des Vatikans und der Mafia.

Unsere Indizien jedoch legen die Vermutung nahe, dass die Vatikan-Mafia-Verschwö­rung in Wirklichkeit nicht einmal den Westen kontrol­liert, obwohl sie es versucht, und dass im großen Spa­ghetti territorialer Primatenpolitik alle ähnlichen Grup­pen auf ein ähnliches Ziel hinarbeiten. Wenn es sein muss, kooperieren sie; sobald es ihnen aber von Nutzen ist, betrügen sie sich.

Die Franklin National Bank, die den größten Zusammen­bruch der 70er Jahre erlebte, war Kunde von David Rockefellers Chase Manhattan Bank. P2-Mitglied Michele Sindona hatte sie gegründet, nachdem er mit den Finanz­angelegenheiten des Vatikans in den Vereinigten Staaten betraut worden war. Sindona, der seine Karriere als An­walt begonnen und mehrere sizilianische Mafiafamilien vertreten hatte, kaufte im Namen des Vatikans große Anteile an Paramount Films, Procter & Gamble sowie am World Trade Center. Angeblich soll er direkt vor Rocke­fellers Nase – die Chase Manhattan war Hauptbürge für Franklins Anleihen – fünfundfünfzig Millionen Dollar aus der Franklin National Bank unterschlagen haben. Später wurde er in New York des Aktienschwindels und Währungsbetruges in fünfundsechzig Fällen und in Rom des Mordes an einem Bankprüfer angeklagt. Sindona starb im Gefängnis, während er auf eine Gerichtsver­handlung wartete, die ihm, Roberto Calvi, Licio Gelli (Großmeister der P2) und General Musemicci, Chef der italienischen Geheimpolizei, eine Verschwörung im Zu­sammenhang mit dem Bombenanschlag in Bologna (1980) vorwarf. Bis heute ist die Todesursache unge­klärt – Sindona könnte sich selbst umgebracht haben, ebensogut aber von seinen ehemaligen Komplizen vergif­tet worden sein. Welcher Theorie man zuneigt, hängt davon ab, ob man die P2 als Werkzeug des CIA oder KGB betrachtet oder in ihr eine Bande von Abenteurern sehen will, die beide Seiten im Kalten Krieg zu ihrem Nutzen ausbeutet. Fest steht nur, dass Lord Acton recht hatte, als er sagte, alle Macht neige zur Verderbtheit, absolute Macht aber zu absoluter Verderbtheit.


Wer hat hier das Sagen?
von Robert Anton Wilson ist als Einführung zum Buch System Sapiens. Die Verschwörung der Illuminaten (1989) von John Holmes, im Origial The Illuminati Conspiracy (1987), erschienen.

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